11.Kapitel

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Lautes Hufgetrappel riss Sophie aus ihren Gedanken und brachte sie in die Gegenwart zurück. Erschrocken drehte Sophie sich um.

Erbarmungslos prasselte der Regen auf das matschige Feld nieder. Sophies Kleid war vom Regen durchtränkt und sie hatte begonnen zu frieren. Durch die dicken Dunstschwaden konnte sie einen Reiter erkennen, der in scharfem Galopp auf sie zupreschte...

Erst als das Pferd bis auf wenige Meter herangekommen war, zügelte der Reiter sein Tier. Und zu Sophies Entsetzen war der Reiter kein anderer als Mr Kingsley.

Leichtfüßig sprang er von seinem hohen Ross. Sein Haar war vom Wind leicht zerzaust, was ihm keineswegs schlecht zu Gesicht stand.

Erschrocken trat Sophie einen Schritt zurück.
"Guten Morgen, Miss Badford" grüßte Mr Kingsley, zog seinen schwarzen Zylinder und verneigte sich vor ihr. Wie der Anstand es verschrieb, knickste Sophie, wodurch ihre Schuhe noch ein wenig tiefer im Matsch versanken.

Ihr Blick wanderte zu den Augen des jungen Gentlemans, die so lebhaft strahlten als es sie betrachtete.

"Miss Sophie, was führt Sie bei einem solch grauenhaften Wetter hinaus?"
"Der Wunsch nach ein wenig Einsamkeit und Frieden" antwortete Sophie, der bewusst war, dass diese Antwort den jungen Mann möglicherweise verärgern könnte, doch so schnell wie sie gehofft hatte, wurde sie ihn nicht los.

Einige Augenblicke standen sie schweigend beieinander. Gerade als Miss Sophie sich mit dem Gedanken herumschlug zu gehen, begann Mr Kingsley zu sprechen: "Miss Sophie, ich fürchte, dass ich mich in der Vergangenheit sehr ungebührlich und unverschämt Ihnen gegenüber verhalten habe. Und ich würde mich gerne bei Ihnen entschuldigen, in der Hoffnung, dass sie das schlechte Urteil, welches Sie sich zweifellos über mich gebildet haben, noch einmal revidieren."

Der Blick, mit dem er Sophie bedachte, ließ keinerlei Zweifel an seiner Aufrichtigkeit in ihr aufkommen. Mr Kingsley hatte aus tiefster Seele und womöglich großer Hoffnung im Herzen, zu ihr gesprochen.

"Wer sagt denn, dass ich mir ein Urteil über sie gebildet habe, ganz zu schweigen von einem negativen Urteil."

Mr Kingsley lächelte dieses Verschwörerische Lächeln, welches wahrscheinlich schon tausende von Frauen Herzen zum Schmelzen gebracht hatte.

"Dass Sie mir auf dem Ball keine Antwort gegeben haben, war mir antwort genug." Verlegen richtete Sophie ihren Blick auf ihre schlammverkrustetn Schuhspitzen.

"Soll ich Sie nach Hause begleiten" bot Mr Kingsley aufmerksam an. Aus seiner Stimme konnte Sophie nicht nur Aufmerksamkeit sondern auch Besorgnis heraushören, was sie ein wenig stutzig machte.

"Das wäre in der Tat sehr freundlich von Ihnen, Sir, doch Sie müssen sich meinetwegen nicht solche Umstände machen."
Mr Kingsley war drauf und dran zu antworten, für Sie würde ich jederzeit solche Umstände machen, doch er hielt sich zurück und antwortete stattdessen: "wir wären bedeutend schneller, wenn wir reiten würden."

Schockiert wich Sophie zurück und rief: "ich werde nicht mit ihnen auf dieses Pferd steigen."
Mr Kingsley packte sie am Arm und flüsterte: "nun beruhigen Sie sich doch."
Trotzig sah Sophie dem jungen Mann direkt in die Augen und flüsterte ebenfalls: "so etwas gehört sich nicht."

Mr Kingsley, der sich offenbar erst wieder in diesem Moment an seine guten Manieren zu erinnern schien, ließ ihre Hand los und trat respektvoll einen Schritt von ihr zurück.

"Ist dies das Verhalten, welches Sie in London an den Tag legen?" Fragte Sophie herausfordernd und wohlwissend, dass sie auf seinen Ruf in der Stadt anspielte.
"Um ehrlich zu sein, Schert es mich nicht, was die Leute von mir denken. Und wenn die Leute nicht über mich sprechen würden, fänden sie mit Sicherheit einen anderen."

"Es ist also etwas dran an dem, was man sich über Sie erzählt" neckte Sophie ihren Begleiter, der nachdenklich neben ihr herschritt. Er seufzte kaum hörbar und antwortete: "ich weiß nicht, was genau Sie über mich gehört haben, doch ich kann Ihnen versichern, dass es für eine Frau von Vorteil ist, wenn ein Mann gewisse Erfahrungen hat."

Bestürzt blickte Sophie zu Mr Kingsley auf und errötete dabei bis an die Haarspitzen. Peinlich berührt wandte sie den Blick ab.
Mr Kingsley fixierte sie mit seinem Blick, denn in seinen Augen war sie noch nie so schön und lebhaft gewesen, wie bei diesem verregneten Spaziergang.

"Ein Gentleman sollte nicht über solche Dinge sprechen" murmelte Sophie, die ihr Selbstbewusstsein noch nicht wieder erlangt hatte.
"Halten Sie die Etikette wirklich so hoch?"
"Ich habe die Regeln nicht gemacht, trotzdem muss ich sie befolgen, um nicht aus der guten Gesellschaft verstoßen zu werden."

Mr Kingsley musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, brach sein Schweigen aber nicht. Sie waren stehen geblieben und sahen einander forschend an.

Noch immer trommelte der Regen ohne Unterlass auf die Landschaft, wie auf eine Pauke. Miss Sophie, die keine Jacke trug begann zu frösteln und auf ihren nackten Armen bildete sich eine Gänsehaut. In diesem Moment bereute sie bitterlich, dass sie am morgen Hals über Kopf das Haus verlassen hatte, ohne an eine Jacke zu denken.

"Ist Ihnen kalt" fragte der Gentleman die junge Dame fürsorglich. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern antwortete Sophie: "nein."
"Gestehen Sie nur sich selbst eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe zu? Halten Sie mich für so beschränkt? Selbst ein Blinder könnte sehen, dass sie mehr Gänsehaut haben als alle meine Gänse zusammen..."

Ohne noch weitere Zeit zu verlieren zog der besorgte junge Mann seine Jacke aus und legte sie seiner bildhübschen Begleiterin um die Schultern. Bei seiner Berührung zuckte die junge Dame erschrocken zusammen und sah ihn aus großen Augen an, wie ein verschrecktes Reh.

"Miss Sophie, vergessen Sie bitte für ein paar Minuten die strengen Regeln, die sonst ihr Leben bestimmen" wisperte er und Sophie war sich sicher, dass er diesen Satz nicht zum ersten Mal gebrauchte.
"Wir wollen schließlich nicht, dass Sie sich erkälten."

Sophie atmete erleichtert auf, als sie unweit entfernt endlich den Landsitz ihrer Eltern auftauchen sah. Mr Kingsley lief neben ihr her, wobei er sein großes, starkes Pferd locker am Zügel führte.
Den restlichen Weg unterhielten sie sich über unverfängliche Dinge wie Literatur, Spaziergänge oder die aktuellen Theatervorstellungen in London. Und Sophie hatte feststellen müssen, dass sie und Mr Kingsley mehr Gemeinsamkeiten hatten, als man auf den ersten Blick vermutet hätte. 

Miss SophieWhere stories live. Discover now