16.Kapitel

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Mit müden und verquollenen Augen saß Miss Sophie am nächsten Tag beim Frühstück. Der Tisch der McAlisters war reichlich gedeckt. Allerdings nicht so reichlich, wie Sophie dies aus Burghley House gewohnt war. Statt Spezialitäten aus der Region wurden bei den McAlisters Köstlichleiten angeboten, die aus der ganzen Welt importiert waren.

Mr McAlister war so sehr in seine Zeitung vertieft, dass er von der verkaterten Stimmung seiner Familie kaum etwas bemerkte. Die jungen Leute waren hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt oder besprechen die Ereignisse des vergangenen Abends im Flüsterton.

"Ich werde heute morgen Miss Lydia Carstairs einen Besuch abstatten" flüsterte James seinem Bruder zu, "sie ist die Tochter eines Countes aus Cambridgeshire."

Lucas grinste, "angeheirateter Adel ist besser als keiner..."

Die beiden jungen Männer grinsten und warfen ihrem Vater einen kurzen Blick zu, doch dieser hatte von ihrer Unterhaltung kein Wort gehört.

Ein Klopfen an der Tür kündigte den Diener mit der morgendlichen Post an.

Behutsam reichte er Sophie einen an sie adressierten Brief, welchen die junge Dame sogleich neugierig öffnete.

Er war von ihrer Freundin Caroline, welche schrieb:

Meine liebste Sophie,
hier bei uns ist alles beim Alten, auch wenn deine Abwesenheit überall deutlich erkennbar ist. Es finden die selben Abendgesellschaften, mit immer denselben Gästen und denselben Gesprächen, wie gewohnt statt. All dies macht mir jedes mal aufs neue Bewusst, wie sehr du mir fehlst... Ohne dich gleicht jeder Tag dem anderen, sodass ich die Hoffnung hege, dass du so bald wie möglich wieder nach Hause zurückkehren wirst.

Gerade kommt mir in den Sinn, dass es doch eine Veränderung bedeutsamer Art in unserer Nachbarschaft ging. Mr Kingsley reiste gestern nach London ab, ohne einen Zeitpunkt für seine Rückkehr zu nennen, was mich ungemein betrübt.

Ich hoffe, dass du wohlauf bist und deinen Aufenthalt in der Stadt vollauf genießen kannst.

deine Caroline

P.S. du musst mir unbedingt die neuste Londoner Moden beschreiben und natürlich brenne ich darauf zu erfahren, wie die Londoner Herren Welt ist

Ein wenig enttäuscht legte Sophie ihren Brief zu Seite. Insgeheim hatte sie gehofft, dass es interessantere Neuigkeiten aus der Heimat gäbe. Aber dass Mr Kingsley nach London aufgebrochen war beunruhigte und erfreute sie gleichermaßen.

***

Seit der Ankunft jenes Briefes erwartete  Sophie beinahe täglich, Mr Kingsley wieder zu sehen. Sobald ein Besucher bei ihnen Versprach, hoffte sie, dass es sich um besagten jungen Mann handelte. Immer hielt sie nach ihm Ausschau, im Theater, in der Oper oder während der großen öffentlichen Bälle. Aber jedes Mal wurden die Hoffnungen der jungen Frau enttäuscht. Je mehr Tage vergingen umso mehr schwand ihre Hoffnung und sie begann zu bezweifeln, dass sie der Grund für seine Abreise gewesen war. Mit ihrer Hoffnung schwand auch ihr sonniges Gemüt und ihre Freude am Tanzen, der Literatur und der Musik dahin.

"Sie ist krank vor Liebe" flüsterte Amalia eines Tages ihrer Mutter zu, während sie beobachteten, wie ihr Gast lustlos an einem Fenster saß und hinaus in die grauen Regenschauer starrte.

"Vor Liebe wird man nicht krank" flüsterte Mrs McAlister ihrer Tochter zu, "es ist die Sehnsucht, die krank macht."

***

Erst ungefähr zwei Wochen nach Mr Kingsleys Ankunft in der Stadt war Sophie das Glück zugeneigt.

Amalia, die weiter darauf bestanden hatte, das Sophie sie und ihre Brüder zu den verschiedenensten Bällen und Abendgesellschaften begleitete, hatte ihre Cousine auch an diesem Abend mit auf einen großen, pompösen Ball genommen.

Miss SophieWhere stories live. Discover now