15 - Hackerangriff

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"Wir hätten nicht so lange wach bleiben sollen", meint Addison müde und schiebt sich ein Stück Pizza in den Mund, als sie, Matt und ich mittags in der Cafeteria sitzen.
Nickend stimme ich ihr zu und bereue es ebenfalls, dass sie und ich gestern noch so lange Filme geschaut haben, als Addison bei mir übernachtet hat.
Matt fragt überrascht:"Deine Eltern erlauben das?
Sonst waren sie doch immer dagegen."
Bestätigend nicke ich erneut und schlucke den Salat.
"Sie waren gestern nicht zu Hause.
Allerdings hat Shane jetzt ein neues Druckmittel.
Wenn er petzt, verrate ich Mum und Dad, dass letzte Woche ein Mädchen bei ihm war."
Meine zwei besten Freunde fangen an zu lachen und ich zucke bloß mit den Schultern.
"Was?"
"Manchmal könnte man echt nicht meinen, dass ihr beide 17 seid", äußert sich Addison zu meinem Plan und ich grinse bloß vor mich hin.
"Wo ist sie?"
Ich zucke bei dem Schrei so stark zusammen, dass ich beinahe vom Stuhl kippe.
Erschrocken drehe ich mich zur Tür und mir scheint das Blut in den Adern zu gefrieren.
Xavier kommt, gefolgt von Sean und Aaron, mit einem wütenden Blick auf mich zu.
Früher hätte ich blöd gegrinst und ihn provoziert, doch jetzt nimmt mir dieser Anblick jegliche Luft zum Atmen.
"Wie konntest du nur?"
Seine laute Stimme lässt mich erneut zusammenzucken und ich betrachte kurz die Ader, die an seiner Schläfe nun besonders hervorsticht und anschließend den Schweißtropfen, der sich eine kleine Narbe am Hals als Fahrbahn nimmt und anschließend unter seinem T-Shirt verschwindet.
Mit einem Knall platziert er sein Handy vor meine Nase auf den Tisch und meine Augen lesen hektisch von links nach rechts.
"Nein", wispere ich und schüttel fassungslos den Kopf, den ich anschließend hoch reiße, um in sein wutverzerrtes Gesicht zu blicken.
"Ich war das nicht!
Ich habe das nicht geschrieben!"
"Achja?"
Beinahe fängt er an zu lachen, als er seinen anderen Arm an meiner Lehne abstützt.
"Wer dann?
Der zweite Nutzer von deinem Twitter Profil?"
Die Frage nimmt mir erneut die Stimme und ich sehe ihn bloß mit offenem Mund an.
Für einen kurzen Moment nimmt er den Blick von mir, um den Kopf zu schütteln und währenddessen über sich selbst zu lachen.
"Du weißt, dass ich bisher immer jeden Menschen in meinem Umfeld genau unter die Lupe genommen habe, bevor ich von Vertrauen und Freundschaft reden konnte.
Ich dachte bei dir wäre das anders.
Ich dachte ich müsse dich nicht ins kleinste Detail kennen, um zu sagen, dass du toll bist, so, wie du bist, Mary."
Die Tatsache, dass er ganz ruhig spricht, lässt die Hand um mein Herz noch fester zudrücken.
Dennoch kann es jeder im Raum hören, da kein Wort gesprochen wird.
Sein verletzter und doch enttäuschter Blick wechselt wieder zu der Wut, mit der er hier aufgetaucht ist.
"Was weiß ich auch schon von dir?
Dass Addison und Matt deine besten Freunde sind und unteranderem die einzigen, die dich nach deinem naiven Fehler mit McNamara überhaupt noch angesehen haben."
Ohne ein weiteres Wort wendet er sich ab und verschwindet aus der Cafeteria.
Alles was übrig bleibt sind seine ratlosen besten Freunde, tuschelnde Schüler, ein grinsender Liam McNamara, meine beiden fassungslosen besten Freunde und der Rest, der noch von mir übrig und nicht gerade zerbrochen ist.

Die Steine des Schornsteins drücken mir unangenehm in den Rücken.
Meine Haut ist kühl und blass, der Pullover kratzt an ihr.
Die Tasse mit dem heißen Kaffee in meiner Hand erwährmt meine Handfläche, während der Dampf in mein Gesicht geweht wird.
Ein LKW fährt mit schneller Geschwindigkeit über die Pflastersteine unten vor dem Haus.
Das laute Rütteln vermischt sich mit der Musik des Nachbarn und ist nichts weiter als ein nervtötendes Geräusch.
Teenager unterhalten sich laut auf der anderen Straßenseite, Autos fahren durch die Straßen und ein Kind schreit.
Ich lege den Kopf in den Nacken.
Betrachte den Himmel, der immer weiter zu zieht und von hier oben gar nicht so weit entfernt scheint.
Das erste Mal nehme ich Matts Dach als nervig, unbequem und kalt wahr.
Die Tatsache, dass ich Xavier enttäuscht habe, macht mich traurig.
Zumindest in seinen Augen enttäuscht, denn ich war das nicht.
Sowas würde ich niemals schreiben, aber ich weiß auch nicht, wie ich ihn davon überzeugen soll.
"Ich dachte mir schon, dass du hier bist."
Komischerweise erschrecke ich mich überhaupt nicht und lasse den Blick weiterhin im Himmel, auch, als Matt sich mir gegenüber nieder lässt.
"Du würdest sowas niemals öffentlich schreiben."
"Dann erklär das mal Xavier."
Ich ziehe meine Knie ran und umschließe sie, nachdem ich ihm die Tasse gegeben habe, aus der er nun trinkt.
"Wie kann er überhaupt glauben, dass ich einen Tweet schreibe, in dem ich sage: Die Klassenfahrt wird mega.
Schade, dass Xavier nicht mitkommen kann, jetzt, nachdem er krank ist und zu der Zeit nicht mehr anwesend sein wird.
Ich bin doch nicht bescheuert", erkläre ich ihm und meide seinen Blick.
Zumal das total lächerlich ist.
"Irgendjemand muss mein Profil gehackt haben", sage ich ruhig und beobachte die lauten Teenager auf der anderen Straßenseite.
Allerdings klingt das genauso lächerlich.
"Wieso sitzt du dann noch hier so rum?
Ist dir klar, was derjenige alles anstellen kann?"
"Das ist mir jetzt auch egal."
Müde rappele ich mich auf und steige durch das Fenster wieder in die kleine Wohnung.
Matt folgt mir.
"Und das willst du jetzt alles so stehen lassen?"
"Was willst du denn jetzt von mir hören?"
Fragend und leicht genervt bleibe ich stehen und drehe mich zu ihm um, bevor ich seufze.
"Du hast ja Recht."
Mit diesen Worten nehme ich mir meine Tasche, hebe als Verabschiedung nochmal kurz die Hand und verlasse dann die Wohnung.

Unsicher laufe ich auf Xaviers Haus zu und frage mich, ob wohl seine Mutter da ist.
Kurz muss ich über diesen Gedanken grinsen.
Was für ein Déjà-vu, wie als ich ihm damals Hausaufgaben aus einem Kurs gebracht habe, welchen er nichtmal besetzt.
Der Unterscheid; damals habe ich ihm alles über Liam erzählt - dieses mal komme ich mit dem Wissen her, dass er dies vorhin als naiven Fehler von mir bezeichnet und vor der halben Schule hinaus posaunt hat.
Tatsächlich kann ich gar nicht richtig wütend sein, denn erstmal will ich ihm erklären, dass ich sowas niemals machen würde.
Aber wer steckt dahinter?
Niemand weiß von seiner Krankheit, außer Aaron, Sean, Addison, Matt und ich, und ich glaube kaum, dass es einer davon war.
Vor allem hätte derjenige die Nachricht auch anonym irgendwo veröffentlichen können, aber allen Anschein nach hat das nicht gereicht und es musste unbedingt in meinem Namen sein.
Seufzend klingle ich zwei mal und nach einiger Zeit öffnet Xavier die Tür.
Verwuschelte Haare, T-Shirt, Jogginghose und ein müder Blick signalisieren mir, dass ich ihn gerade geweckt habe.
Unsicher schlucke ich.
Das macht die Situation auf jeden Fall nicht besser.
Kaum realisiert er, dass ich es bin, was nach einem Mittagsschlaf ein wenig länger dauert, will er die Tür wieder schließen, doch ich drücke dagegen.
"Hör mir doch erstmal zu!", rufe ich flehend und er sieht mich durch den kleinen Schlitz, von dem ich gerade noch so verhindern kann, dass er ganz zugeht, an.
"Du weißt, dass ich die Tür problemlos schließen könnte", meint er mit hochgezogenen Augenbrauen und ich gebe die Hoffnung auf, dass ich die Tür aus eigener Kraft ein wenig offen halten könnte.
"Ich war das nicht, wirklich!
Wieso sollte ich sowas schreiben?
Du kennst mich doch."
"Nein, anscheinend kenne ich dich überhaupt nicht."
Er öffnet die Tür ein wenig weiter und ich bin doch etwas dankbar, dass er noch ziemlich müde ist, sonst wäre er wahrscheinlich viel wütender.
"Jemand hat mein Profil gehackt!", versuche ich es weiter, worauf er bloß die Hände in die Hosentaschen steckt.
"Und nehmen wir an, das wäre tatsächlich so, dann müsste es jemand von deinen besten Freunden oder von meinen gewesen sein.
Glaubst du das?"
Fragend zieht er die Augenbrauen hoch, obwohl er die Antwort kennt.
Ich senke den Blick.
Niemand von ihnen würde sowas machen, erst Recht nicht in meinem Namen.
Darauf kann ich nichts antworten.
"Glaubst du wirklich, dass ich es war?"
Die Frage ist ruhig und leise, nachdem ich ihm in die Augen sehe.
Für ein paar Momente sagt er nichts und in mir ist tatsächlich noch ein wenig Hoffnung übrig, die allerdings sofort erlischt.
"Ja."

Das letzte halbe Jahr Where stories live. Discover now