20 - Gefühlschaos

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Wo gehen wir hin?
Woher kommen wir?
Und wie sollen wir leben, um unseren Daseinszweck zu erfüllen?
Fragen über Fragen, die mit dem Sinn des Lebens in Verbindung stehen.
Warum sind wir hier auf der Erde?
Eine Art Experiment von einer höher gestellten Macht?
Eine Macht, die dort oben im endlosen Universum herrscht?
Vielleicht ist das aber auch einfacher Blödsinn.
Vielleicht hat uns unser Erschaffer hergeschickt, ohne selbst zu wissen, wozu.
Und vielleicht ist genau das der Punkt.
Es gibt keinen Sinn des Lebens, zumindest keinen festgelegten, denn wir haben alle die freie Entscheidung ihn zu wählen.
Der wohl meist angegebene Grund ist dabei der Kontakt zu anderen Menschen, aber es gibt noch so vieles mehr.
Konzentriert starre ich auf den Brief, der mit Mary Stone unterschreiben ist und an Xaviers Vater geschickt wurde.
"Ich komme mir vor wie Sherlock Holmes", seufze ich, erhebe mich von Matts Schreibtischstuhl und nehme mir ein Glas von den zwei, die er gerade in sein Zimmer trägt.
"Ein schlechter Sherlock Holmes."
"Kein Wunder", erwidert er.
"Indem du Ewigkeiten auf das Blatt starrst wirst du nicht herausfinden, wer hinter diesen ganzen Aktionen steckt."
Und damit muss ich ihm eindeutig Recht geben, allerdings kenne ich keine abgefahrenen Methoden, mit denen ich diese Person aufspüren könnte.
"Das hat doch alles keinen Sinn", seufze ich müde und lass mich neben ihn auf die Matratze fallen, während er seinen Laptop hoch fährt.
"Inzwischen habe ich auch komplett die Hoffnung aufgegeben, dass ich ihn ohne Beweise überzeugen kann, dass ich es nicht war."
Eigentlich hätte ich gedacht Xavier würde es als selbstverständlich sehen, dass irgendein Volltrottel das war, aber dass er es tatsächlich mir zutraut hätte ich nicht erwartet.
Meine Enttäuschung darüber wird immer größer, aber im Moment ist es das letzte was ich brauche, wenn auch noch ich gegen ihn schieße.
"Du vermisst ihn, oder?"
Ich hebe den Blick, bevor ich mein Gesicht in den Händen vergrabe und nicke.
"Komm her."
Matt schiebt den Laptop beiseite und breitet die Arme aus, bevor ich wie ein kleines Kind zu ihm krabble und ihn in die Arme schließe.
"Ich werde Beweise finden.
Versprochen."

"Mary!"
Mitten auf der Treppe bleibe ich ruckartig stehen und drehe mich zu meiner Mutter, die mit verschränkten Armen und bösem Blick am Eingang der Küche steht.
Während ich fiberhaft überlege, was ich angestellt habe und die Treppen langsam runter gehe, lässt sie die Arme auf einmal erschöpft sinken, als wäre sie einen Marathon gerannt und seufzt.
"Bitte rede mit mir oder deinem Vater, das kann doch so nicht weiter gehen", bittet sie und streicht sich die glatten Haare aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Dutt gelöst haben, der mir signalisiert, dass das Abendessen in der Vorbereitung ist.
Ich schlucke schwer und zupfe unsicher an meinem Rucksack herum, den ich nur an einer Schulter hängen habe.
Irgendwann musste das kommen.
Seit Wochen blocke ich immer ab und wechsle direkt das Thema, wenn meine Eltern auf das Thema Mary und ihre seltsame Laune kommen.
Dennoch kann ich ihr Handeln voll und ganz nachvollziehen.
Sie sind schließlich Eltern und ich ihre Tochter, die seit einer gefühlten Ewigkeit scheinbar alles verschweigt, ständig im Zimmer ist, keine besonders gute Laune hat und mitten am Tag in der Schule eine Panikattacke bekommt.
Die meisten Eltern würden mich direkt in ein Verhör nehmen, aber meine haben mir erstmal Zeit gegeben, das allein zu regeln, wofür ich ihnen auch sehr dankbar bin.
Jetzt allerdings merken sie, dass ich das nicht auf die Reihe bekomme und das ist ihr Signal einzugreifen.
Ich öffne den Mund, allerdings bloß, um ihn dann wieder zu schließen.
Mein Kopf bringt keinen Satz zustande, den ich auch wirklich aussprechen kann.
Was will ich überhaupt aussprechen und wieviel will ich erzählen?
Am besten gar nichts.
"Macht euch keine Sorgen, ich habe momentan einfach eine komplizierte Phase", beginne ich und entscheide mich tatsächlich dafür, nichts von Xavier und der Krankheit zu erzählen.
Zum einen will ich sie nicht komplett beunruhigen und zum Anderen kann über dieses Thema nicht erneut von Anfang bis Ende sprechen.
Sie werden Fragen stellen, die ich nicht beantworten kann, weil ich selbst in einem großen Chaos stecke und diese Fragen werden mich anschließend noch mehr zum Nachdenken zwingen.
"Gefühlschaos", sage ich monoton und zwinge mir ein kleines Lächeln ab.
Meine Mutter seufzt erneut und kommt auf mich zu, um mich in die Arme zu schließen.
Sie braucht mir nicht zu sagen, dass sie und mein Vater immer für mich da sind, oder, dass es bald wieder bergauf geht.
Sie braucht dazu nicht zu sprechen, allein ihre Umarmung, Ausstrahlung und die Art, wie sie mir über meine braunen Haare streicht, erinnern mich wieder an diese Worte.

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