17 - Universum

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Biozentrismus.
Der Tod ist bloß eine einzige Illusion und das Lebensende nur eine Realität, die in unseren Köpfen existiert. Dementsprechend gibt es keine Grenzen des Lebens.
So wie in vielen Universen alles möglich sei, so könnte unsere Vorstellung von Zeit und Fortdauer nur eine Alternative von vielen anderen sein.
Eine Idee des Paralleluniversums.
Wenn wir erwarten, dass die Wiese grün ist, dann ist sie grün.
Trainieren wir unsere Gehirnzellen allerdings, dass sie blau ist, dann würden wir sie auch blau sehen.
Wenn man dieses Prinzip auf das Leben überträgt, ist das Fazit klar.
Während wir sterben, verwandelt sich unser Leben zu einer ewigen Blume, die als Blüte im Multiversum zurückkehrt.
Ruhig atmend öffne ich die Augen und sehe an die weiße Decke meines Zimmers.
Mein Brustkorb hebt und senkt sich in einer gleichmäßigen Bewegung, während mir die frische Luft, des gekippten Fensters, eine Strähne ins Gesicht pustet.
"Darf ich dir mal einen guten Rat geben?" Ich muss mich nicht aufrichten, um zu wissen, dass Shane am Türrahmen lehnt.
"Wenn ich eine Sache nicht mehr hören kann, dann sind es gute Ratschläge", sage ich wahrheitsgemäß in einem entspannten Ton und entscheide mich doch dazu, mich aufzusetzen.
Die lockigen braunen Haare sitzen, doch dieselben grünen Augen, die auch ich habe, sehen mich nicht so an, als wäre alles gut. "Dann lass es mich anders ausdrücken. Eine Hilfestellung von mir."
Er setzt sich langsam an mein Bettende und schaut mir mit dem typischen Shane Blick entgegen, den er schon immer drauf hatte.
Ob ich nun seine Schaufel kaputt gemacht, unseren Eltern gepetzt habe, dass ein Mädchen bei ihm war oder ich traurig war, weil ich meine erste schlechte Note geschrieben habe, seine Augen haben mir nie Wut, Enttäuschung oder übertriebenes Mitleid signalisiert.
Es war immer dieser Ausdruck, der mir sagt, dass ich nicht allein bin und er nicht wütend auf mich ist.
"Ich weiß, du hältst es wahrscheinlich nicht für nötig, mit deinem alten Sack als Bruder zu sprechen, aber vielleicht wäre das mal ganz gut."
Ich erwidere sein kleines Lächeln und betone:"Es ist nur ein knappes Jahr."
Nach einer kurzen Pause, in der ich auf meine Hände gesehen habe, spreche ich weiter.
"Addison und Matt haben es dir erzählt, oder?"
Er reduziert seine Antwort auf ein einfaches Nicken und auch ich steige langsam mit ein.
Ich bin ihnen nicht böse.
Früher oder später hätte er sowieso von dieser Krankheit und davon, welche Rolle Xavier und ich dabei spielen, mitbekommen.
Vor allem, nachdem ich vor zwei Tagen so einen Zusammenbruch in der Schule hatte. Meinen Eltern konnte ich bis jetzt aus dem Weg gehen, was dieses Thema angeht, aber Shane ganz offensichtlich nicht.
"Sie wissen einfach nicht, wie sie zu dir durchdringen sollen.
Es hat Addison das Herz gebrochen, dich so zu sehen."
Da er nicht wirklich weiß, wie er mit dem Thema und mir umgehen soll, macht er erstmal eine Pause.
"Manchmal darf man einfach nicht zu viel erzwingen", spricht er dann seine Hilfestellung aus.
"Damit meine ich vor allem, dass du überhaupt nicht traurig sein sollst und wissen musst, dass es ihm nach dem Ende des Lebens besser geht.
Klar sind Tränen nach einem Tod nichts tolles, aber rede dir nichts ein und lass dir auch nichts einreden, wovon du weißt, dass es deine ursprüngliche Einstellung nicht ändern wird.
Ebenso solltest du dich nicht so unter Druck stellen lassen, von dieser Diagnose und der Zeit, die immer weniger wird." Shane dreht sich komplett zu mir und hockt im Schneidersitz auf meinem Bett, während er bewusst meinen Blick sucht. "Ich weiß, du hast noch so viel zu sagen, obwohl dir im Moment wahrscheinlich keine einzige Sache davon einfällt.
Ebenso weiß ich, dass du dir wahrscheinlich über manche Dinge selbst noch unschlüssig bist, wie zum Beispiel deine Gefühle ihm gegenüber und du willst sofort los rennen, um ihm alles sagen zu können, bevor die Zeit um ist, aber ..." Seine Stimme bricht ab und er versucht, sich nicht auf die Träne zu konzentrieren, die meine Wange hinab läuft.
"Aber manche Dinge müssen einfach nicht ausgesprochen werden und das sind die, die du am Ende der Tage immer noch in deinen Gedanken haben wirst."

Das letzte halbe Jahr Where stories live. Discover now