Der Jüngling schleichend

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„Jemand kommt", sagt der Prinz ihm, als er es nach mehreren Tagen zum ersten Mal wieder zu ihm in die Gemächer schafft, frei von dem üblichen Berg an Pflichten. Er ist dem Hausmarschall jedes Mal fortgelaufen, wenn er mit einem neuen Auftrag daherkam und wird morgen wahrscheinlich gar nicht mehr zum Schlafen kommen, als Strafe, aber das ist es wert.

„Sie wollen mir nicht sagen, wer es ist", fährt der Prinz fort. „Ich glaube, ich sollte nicht wissen, dass überhaupt jemand kommt."

Er sieht so müde aus wie Taris sich fühlt, obwohl sein Tag ganz im Gegensatz zu ihm von nichts als Warten und Sitzen und Liegen erfüllt ist. Seine Hände sind keinen Augenblick lang ruhig, sie fahren über die rauen Oberflächen der Möbel, über die kalten Steinwände, die Ecken des Bettes, seine eigene Kleidung, er tippt sich immer und immer wieder auf die Schenkel und verknotet seine Finger bis sie ungesund knacken. Sein Blick huscht noch unsteter umher und Taris erkennt darin die gleiche unterschwellige Verzweiflung wie bei Tieren, die in die Fallen geraten sind.

„Ich sorge dafür, dass wir rauskommen", murmelt er. „Vor dem Morgengrauen hinaus, im Dunkeln wieder zurück, das wird schon irgendwie gehen."

Der Prinz lächelt ihn so dankbar an, dass Taris sich beherrschen muss, ihn nicht vor Freude zu umarmen. Er erfüllt nur seine Pflicht, sich um den Prinzen zu kümmern. Nichts weiter. Oder?

***

Die Gesichter der Würdenträger und Höflinge, die von ihnen wissen, sind verkniffen und unwillig und rau, und Taris weiß noch bevor er zu ihnen gesprochen hat, dass es aussichtslos sein wird, sie davon zu überzeugen, den Prinzen ziehen zu lassen.

Doch andere Wege tun sich auf. Die Diener sehen ihn längst als einen von ihnen, und durch die unermessliche Arbeitslast, die er Tag für Tag ohne Beschwerde auf sich genommen hat, ist ihr Respekt für ihn still und heimlich ins Unermessliche gestiegen.

„Schau her", sagt eine Magd kichernd und zeigt ihm einen verborgenen Gang, der in der Küche hinter dem Speiseschrank versteckt ist. „Falls dich nachts der Hunger packt."

„Im obersten Stock des Westflügels schauen die Wachen in der Nacht nie vorbei, während sich die Herrschaften von dort anderweitig amüsieren", erklärt ihm ein Knecht zwinkernd, „Falls du dich mit einer hübschen Bekanntschaft vergnügen willst."

„Der Waffenmeister würde alles tun für einen guten Schluck Wein", lachen die Küchenjungen abends in der gemeinsamen Stube. „Falls man mal ein Schwert braucht."

Taris hört ihnen allen aufmerksam zu, gibt Acht, niemanden zu viel auf einmal zu fragen und langsam, ganz langsam, kann er die Geheimnisse der Burg zu einem Ausgang für den Prinzen verbinden. Ein wenig Proviant, eine stille Nacht, der richtige Zeitpunkt, viel fehlt nicht mehr für einen schönen Ausflug.

***

Taris sagt dem Prinzen noch nichts, auch wenn es ihm schwerfällt. Er will ihn überraschen, er sieht es schon vor sich: wie er zu ihm in die Kammer kommt und sagt ‚Los, wir gehen!'. Früher fand er es immer besonders aufregend, wenn seine Eltern das mit ihm gemacht haben, ohne Ankündigung, ohne die Möglichkeit, zu lange über alles nachzudenken und irgendwelche Erwartungen aufzubauen, einfach eines morgens früh aufgeweckt zu werden und sich ins Abenteuer aufzumachen.

Bevor es so weit ist, geht er vorsichtig jeden Geheimgang nach, horcht besonders lange an den Wachhäusern, streut Gerüchte über seine heimliche Liebschaft aus dem Dorf, die niemand entdecken darf, um die Sympathien der Diener endgültig auf seine Seite zu ziehen. Verbotene Liebschaften, dafür würden die meisten von ihnen beide Augen zudrücken, das hat er längst herausgefunden.

Der Vergessene PrinzWhere stories live. Discover now