Der Jüngling in der Dunkelheit

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Wenn sich der Weg einfach anfühlt, dann nur, weil sie vergessen, dass es andere Gefahren gibt, als erkannt zu werden.

Es ist Herbst, als ihnen die Wegelagerer begegnen, kurz bevor sie hoch in die Berge steigen und nur darauf hoffen können, sie schnell überquert zu haben, und es ist allein ihren Schwertübungen und der neu erstarkten Kraft des Prinzen zu danken, dass sie die Begegnung überleben.

Fünf lauern ihnen auf, und als sie von den Pferden springen um sich zu verteidigen da reiten zwei von ihnen mit den Tieren davon, ohne dass sie etwas dagegen tun können. Taris hat noch keinen einzigen echten Kampf geschlagen und schwingt die Klinge nur zögerlich, aber als er einem tödlichen Schlag nur um Haaresbreite entgeht, wird er sicherer.

Der Prinz kämpft gegen gleich zwei der Männer, und obwohl er so lange krank und geschwächt war und sich seitdem kaum im Kampf erprobt hat, führt ihm dennoch Übung den Arm sicher und zielgerichtet, und der erste Mann liegt bald stöhnend am Boden. Taris spürt den Triumph darüber durch sich blitzen genauso wie die Klinge des Wegelagerers in dem kurzen Moment der Ablenkung, und ihm muss wohl ein Schrei entfahren sein, denn der Prinz dreht sich sofort zu ihm um, Sorge und Angst auf seinem Gesicht geschrieben, die dort am Anfang des Kampfes noch nicht zu sehen waren.

„Nein, mein Prinz", presst Taris unter Anstrengung hervor, auch wenn die Schmerzen noch gar nicht wirklich zu ihm vorgedrungen sind, sein ganzer Körper steht unter Schock. Er bemerkt erst, dass er einen Fehler gemacht hat, als sich das Gesicht des Wegelagerers zu einem hämischen Grinsen verzieht und er sich sofort dem Prinzen zuwendet, ohne noch auf Taris zu achten.

Der Prinz hat sein Schwert sinken lassen, hinter ihm kommt der erste Wegelagerer auf ihn zu, vor ihm wendet sich der Wegelager von Taris zu ihm und Taris weiß sofort, durch das dumpfe Pochen in seinem Körper hindurch, dass er sich nicht gegen beide auf einmal verteidigen kann.

Die Vergessenen Worte kommen zu ihm wie eine Vision, wie ein längst verloren geglaubter Reflex.

Zeit.

Er spricht die Worte, die Ilfrid ihm vor so vielen Jahren schon beigebracht hat, er sagt klar und deutlich jede Silbe und den Namen, Altair, und in den zwei Atemzügen, die sie haben, zwingt er sich nach oben, den Arm zu heben und das Schwert mit aller Kraft vorwärts zu stoßen, hinein in den Körper des Wegelagerers. Für den Prinzen ist es Zeit genug, um sich von dem Schock zu erholen und als der letzte von ihnen schließlich aus der Starre gelöst wird, da wartet das Schwert bereits auf ihn.

Taris sieht den Prinzen keuchend zwischen den Körpern stehen und merkt, wie ihn gleichzeitig die letzte Kraft verlässt und der Schmerz ungebrochen in ihn hereinschwappt. Seine Sicht wird rasch dunkler, obwohl es helllichter Tag ist.

„Altair", flüstert er, bevor er fällt.

***

Er zittert vor Hitze. Die Kälte bringt ihn zum Schwitzen. Kalter Wind glüht auf seiner Haut.

In seinen Träumen tummeln sich hässliche Biester, Wichtel, Gnome, Kobolde, die ihm die Glieder abreißen und sich bei lebendigem Leibe an seinen Eingeweiden gütlich tun, und immer wenn er vor Schmerzen schreien will fängt alles von vorne an.

Manchmal hört er seinen Namen, sanft gewispert oder herrschend gebrüllt. „Taris, Taris!"

Es ist seine Mutter, die ruft, oder der Prinz, oder Ilfrid, oder Nemeris, aber nicht immer erkennt er die Stimme.

„Taris!"

Er sitzt auf einem Pferderücken und presst dem Tier die Fersen in die Seiten, damit es schneller läuft, fort von der unendlichen Dunkelheit hinter ihnen, die sie zu verschlingen droht. Aber wenn es über den Graben springt, fällt er von seinem Rücken und fällt, fällt, fällt, in eine Dunkelheit die noch viel grausamer ist und ihn herumwirft wie ein Blatt im Wind eines Sturmes.

Der Vergessene PrinzWhere stories live. Discover now