Der Mann und das Menschsein

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Eianda fügt sich nahtlos in ihre kleine Gruppe ein wie es einst Ilfrid getan hat, auch wenn ihre Worte herausfordender sind, die Weisheit in ihr noch reifend und verwirrt mit ihrer freien Jugend.

Sie und der Prinz wechseln nur wenige Worte, aber sie verstehen sich ohnegleichen, wenn er sie nur ansehen muss und sie die Hand hebt und die Augen schließt und ihnen dann zuflüstert, welchen Weg sie an der nächsten Kreuzung zu gehen haben. Ihre stummen Gespräche und stillen Übereinkünfte lassen Taris manchmal innehalten und sie von weitem betrachten und dann kommen sie ihm beide wie ferne, unreale Wesen aus alten Geschichten vor, ihre Menschlichkeit wenig mehr als ein Nachgedanke, eine schmückende Zierde auf ihrem außergewöhnlichen Wesen.

Wer bin ich, mit ihnen zu reisen, denkt Taris dann, wer bin ich, mich als ihr Begleiter anzumaßen.

Es braucht einige Monate ihrer Reise, die er entweder mit einer spottenden Eianda Seite an Seite wandert oder mit Altair scherzend allein am Feuer sitzt, in denen er nie mit ihnen gemeinsam einfach sein kann, bis er versteht, dass sie voneinander noch nicht wirklich verstanden haben, wie menschlich sie eigentlich sind.

Er ist nicht zu gewöhnlich, um mit ihnen zu kommen – er ist die Menschlichkeit zwischen ihnen, die sie verknüpft wo sie verknüpft sein müssen, aber sich von allein noch viel zu fremd dafür sind.

***

Die Dörfer sind leer und trostlos auf dem Weg zur Burg des Verräterkönigs, und es sind nur leere und trostlose Blicke, die ihnen begegnen.

Calred hat sie ausgehungert, sagen sie, solange bis der Wille von ihnen gebrochen war und sie ihm ihre Unterstützung geschworen haben. Jetzt interessiert er sich kaum noch für sie und die kläglichen Reste ihres Reiches, allein dass der Prinz sich ehrlich kümmert scheinen sie kaum glauben zu können.

Taris beißt sich auf die Lippen und vermeidet den Blick des Prinzen, wenn er ungläubig den Kopf schüttelt über so viel Grausamkeit.

Eianda bemerkt es sofort und stößt ihm hart den Ellbogen in die Seite, bis er sich ihr widerwillig zuwendet und sie ansieht.

„Was soll das?", zischt sie ihm zu und dann bemerkt es auch der Prinz und runzelt verwirrt die Stirn.

Taris atmet tief durch. „Als der König dieses Landes Euch ausliefern wollte, geschah das nicht aus Bosheit", sagt er langsam. „Er hätte Euch eingetauscht gegen Rationen und das Wohlwollen Calreds."

Er begegnet dem Blick des Prinzen und für einen Moment fürchtet er, dass er sich wortlos abwenden wird und nie wieder mit ihm sprechen, aber der Prinz steht wie eingefroren da, die Stirn in nachdenklichen Falten.

„Warum hast du es mir damals nicht gesagt?", fragt er leise.

„Ihr wärt nicht mitgekommen", antwortet Taris fest.

Der Prinz nickt nur, verständnisvoll und ein bisschen wehmütig. Er ist nicht wütend auf Taris und spricht die nächsten Tage wie gewohnt mit ihm, aber sein Umgang mit den Leuten wird bedächtiger, ruhiger, schwermütiger und auch Taris kann den Kloß in seinem Hals nicht herunterschlucken, wenn er das allgegenwärtige Leid sieht.

„Ihr seid mir zwei Witzbolde", sagt Eianda zu ihnen. „Rationen und Wohlwollen hin oder her, so wie es jetzt in den Ländern aussieht hätte ein ausgelieferter Prinz mehr nicht viel hier geändert. Calred hätte auch so den Hals nicht voll genug bekommen – nur, dass es dann niemanden gegeben hätte, um sich ihm noch entgegen zu stellen."

Taris schämt sich fast dafür, wie dankbar er ihre Worte annimmt. Aber er erkennt, dass sie keine Zeit mehr für Schuldgefühle haben, wenn ihr Weg zurück Erfolg haben soll.

Der Vergessene PrinzWhere stories live. Discover now