Der Alte und die Ewigkeit

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Die Reisen von damals werden zu Erinnerung von ferner Jugend. Es fällt ihm schwerer, sich im Wald nach den Kräutern zu bücken und wenn ihn der Rücken zu sehr schmerzt dann ertappt er sich manchmal dabei, wie er weit in die Ferne starrt und sich vorstellt, er könnte so rennen wie damals.

Er sitzt zu viel, beschließt er. Seine Ausflüge nach draußen sind zu selten geworden und er ist die Bewegung nicht mehr gewohnt.

Es juckt ihn in allen Gliedern, wieder aufzubrechen, aber der König ist noch älter als er und hat schon angefangen, sich für die kurzen Wege im Schloss auf einen Stab zu stützen. Sie lassen ihn nicht mehr auf die diplomatischen Reisen gehen, seine Berater, weil sich der Hofarzt um seine Gesundheit sorgt.

„Der Husten, das ist das schlimmste", behauptet er. „Er müsste hinaus kommen, weg von der staubigen Luft im Schloss."

Taris hört ihm zu und nickt und denkt an eine ganz andere Luft und als er Altair am Abend für die wenigen Minuten trifft, für die sie noch die Ausdauer haben, da weiß er, was er sagen will.

***

Sie wollen ihm ein großes Fest geben, bevor er abdankt, ihr erlösender König, ein Dank für alles, was er getan hat, für so viele Dinge an die sich der Großteil der Bevölkerung nicht einmal mehr selbst erinnern kann.

Taris sieht Altair die Stirn runzeln, als er von den hochtrabenden Plänen hört und lächelt, weil sie noch ein letztes Mal fliehen können. Es fühlt sich warm und vertraut an, nostalgisch fast, daran zu denken. Viel zu lange war alle Aufregung in ihrem Leben nur der Stoff von langen Diskussionen mit dem Rat, der Gedanke daran, ihre alten Knochen wieder etwas in Schwung zu kriegen macht ihn glücklich.

Er erklärt den Stallburschen, dass sie nur einen kurzen Ausflug zu einer alten Bäuerin machen wollen, die ihnen persönlich danken will, er lässt Proviant einpacken für ein paar arme Bittsteller und er sendet Nachricht an den Hafen, dass zwei andere Männer an Bord gehen und fortsegeln werden und dann sucht er sich zwei dicke, alte Gehstäbe und betritt das Zimmer des Königs, noch bevor die Sonne ganz aufgegangen ist.

„Lasst uns gehen, mein Prinz", sagt er grinsend und reicht ihm einen der Stäbe.

Der König ist so schnell auf den Beinen wie schon lange nicht mehr.

Und so stehlen sie sich fort, ein letztes Mal.

***

Die Seeluft tut ihnen gut, ihnen beiden.

Taris spürt, wie wieder Leben in seine Glieder zurückkehrt, er lässt sich von den Matrosen Knoten erklären und klettert selbst auf die Takelage hoch, um sich zeigen zu lassen, wie man die Segel refft.

„Ich habe zu lange nichts neues mehr gelernt", erklärt er ihnen und die jungen Männer lachen darüber und lachen noch mehr, wenn er und Altair sich unbeholfene Gefechte mit ihren Gehstöcken auf Deck liefern.

„Wenn es je wieder Krieg geben sollte, dann müssten sie Euch vorschicken", sagen sie, „Das allein würde dem Feind schon das Fürchten lehren."

„Glaubt mir, wir haben schon genug Schlachten geschlagen", erwidert Altair belustigt und Taris sieht das Interesse in den Augen der Matrosen aufblitzen, aber sie fragen nicht nach den Geschichten, genauso wenig wie sie nach dem Ziel der beiden wunderlichen Alten fragen.

„Wir könnten weitersegeln", sagt Altair, als sie das Ende der langen Küste fast erreicht haben. „Hinein in den Horizont. Sehen, was danach noch kommt."

Taris lächelt und legt seine eigene runzlige Hand über die seines Freundes an der Reling.

„Unser altes Ende der Welt wird uns reichen, mein Prinz."

***

Die alte Burg thront vor ihnen auf der Klippe, hoheitsvoller als das Schloss, in dem sie so lange gelebt haben.

Der Wind reißt an ihren Kleidern, und wenn sie ihre Gehstöcke nicht hätten, vielleicht hätte es sie hinunter in die Fluten gestoßen. Durch das Jaulen des Windes können sie in der Ferne Schafe blöken hören, und wenn Taris die Augen fast ganz zukneift, dann meint er, blaues Licht und eine ferne, weibliche Gestalt auf der Wiese neben der Ruine erkennen zu können.

„Es wird wahrscheinlich recht staubig sein, dort drinnen", bemerkt Altair heiter. „Und wie der Gemüsegarten aussieht, das will ich mir gar nicht vorstellen."

Taris grinst ihn an und für einen Moment fühlt sich alle Schwäche des Alters wie weggeblasen. Der Prinz sieht ihn an wie damals, jung und voller Tatendrang.

„Wir haben eine Ewigkeit, um alles wieder herzurichten, nicht wahr?", sagt er.

~ Ende ~

Der Vergessene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt