5. Kapitel: Sarah

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Mittwoch, 29. Juli

Wieso verhielt sich Nathan so? Wieso sagte er mir nicht, was ihm passiert war? Ich war doch kein kleines Kind mehr, dem man die Wahrheit vorenthalten musste. Wieso war er jetzt so ruhig? Vielleicht sollte ich doch meine Mum anrufen und sie fragen, was sie über seine Arbeit hier wusste. Möglicherweise hatte Nathan diese Narben ja auch schon länger und sie kannte die Geschichte dahinter? Irgendwann musste er ihr doch mal zumindest im Ansatz etwas davon erzählt haben oder irgendetwas anderes, womit das zusammenhängen konnte.

"Ich muss noch schnell bezahlen. Willst du mitkommen?", sprach mich plötzlich Nathan neben mir an. Ich zucke unweigerlich zusammen, da ich so in meinen Gedanken versunken gewesen war, dass ich nicht einmal bemerkt hatte, dass er an eine Tankstelle gefahren war, getankt, die Seitentür geöffnet hatte und mich nun fragend ansah. Er war immer noch die Ruhe in Person. Ich gab kein Wort von mir, sondern löste einfach nur meinen Gurt und drückte mich unter seinem Arm, der die Tür festhielt durch und steuerte auf den Tankstellenladen zu. Ich meinte ein genervtes Seufzen hinter mir wahrgenommen zu haben, doch ich war mir nicht sicher. Was ich aber mit absoluter Sicherheit hörte, war das laute Zuschlagen der Beifahrertür und die trottenden Schritte unweit hinter mir. Beim Eintreten hörte ich das leise Läuten einer Glocke, die sanft gegen die Tür schlug.

"Warte hier, ich bin gleich zurück", murmelte Nate hinter mir, bevor er in die Richtung der Kasse lief und ich mich mit nicht wirklich großem Interesse der riesigen Wand mit unzähligen Magazinen, Zeitschriften und ein paar schnulzigen Büchern widmete. Wahllos blätterte ich in einem Starmagazin und las die völlig schockierenden Berichte über Beziehungsprobleme einiger unbekannter Promis. Sehr überraschend und total spannend - solche Probleme hätte ich gerne.

"Hey du, kennst du den Kerl?", sprach mich auf einmal eine tiefe Stimme hinter mir an, die mich so erschreckte, dass ich das Magazin achtlos zu Boden fallen ließ. "Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Sag schon, kennst du ihn?"

Mein Herzschlag beruhigte sich wieder etwas und als ich mich umdrehte und diese rostbraunen Augen meines Gegenübers sah, war plötzlich alles in bester Ordnung. Vor mir stand ein von der Haut her auf jeden Fall einheimischer Hawaiianer, der nicht viel älter als ich sein konnte. Sein kurzes braunes Haar war völlig zerzaust, aber irgendwie sah das gleichzeitig auch verdammt gut aus.

"Äh, ja. Das ist mein Onkel", erklärte ich nachdem ich auf einmal festgestellt hatte, dass ich ihn viel zu lange angestarrt hatte. Erst jetzt, nachdem ich meine Gedanken wieder einigermaßen geordnet hatte fiel mir auf, dass der Junge eine Art Uniform trug. Er arbeitete wohl hier.

"Dein Onkel? Pass bloß auf dich auf, der Mann ist gefährlich, hörst du? Du darfst ihm nicht vertrauen", flüsterte er schon fast und der nun noch mehr besorgte Ausdruck in seinen Augen entging mir nicht.

"Ich weiß nicht was...", begann ich, doch in diesem Moment hörte ich erneut Schritte hinter mir und verstummte augenblicklich. Der Junge drehte sich hastig um räumte weiter neue Ware in das Regal zu unserer Linken ein.

"Sarah, alles klar? Komm, wir gehen", verkündete Nathan und ging bereits in Richtung Ausgang, da er wohl der Ansicht war, dass ich ihm unmittelbar folgen würde, doch ich zögerte, bis ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.

"Du musst weg von ihm, ich warne dich. Bitte, du musst mir vertrauen. Pass auf dich auf", flüsterte er mir diese Warnung so nah ans Ohr, dass ich bereits seinen warmen Atem auf meiner Haut spürte, was mir eine Gänsehaut über den kompletten Körper laufen ließ.

"Aber ich..."

"Nein, geh. Er darf nichts merken, darf uns nicht zusammen sehen", unterbrach er mich und schob mich kaum merklich in Richtung Ausgang.

Keepers of Fate [abgeschlossen] #UrbanFantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt