7. Kapitel: Sarah

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Donnerstag, 30. Juli

Eigentlich war ich unter dem Vorwand hergekommen, dass Kaden und ich surfen gehen würden. Zumindest war es die Version, die ich meinem Onkel auf einem hastig bekritzelten Zettel hinterlassen hatte. Naja, Kaden hatte immerhin sein Surfbrett dabei, aber in erster Linie waren wir nicht zum Surfen hier. 

„Also, was machen wir hier?", fragte ich schließlich Kaden, als ich sein Schweigen einfach nicht mehr aushalten konnte.

Er hatte mich mit seinem Bike abgeholt und seit ich da sein Gesicht gesehen hatte, war mir definitiv klar gewesen, dass ihn und Nate etwas viel Tieferes verband, als ich es angenommen hatte. Ich hatte den Hass und gleichermaßen auch die Angst in den Augen des hawaiianischen Junges gesehen. Aber wieso? Wir hatten auf der Fahrt hierher kaum gesprochen und selbst die Tatsache, dass ich meine Arme erneut fest um ihn schlingen durfte, hatte dieses mulmige Gefühl tief in der Magengrube nicht verschwinden lassen. Ich musste es einfach wissen.
Kaden seufzte und lehnte sich nun zurück an den Stamm der Palme, an welcher auch sein riesiges Surfbrett ruhte.

„Es gibt da einiges, was du wissen solltest, Sarah. Ich weiß nur nicht so genau, wo ich anfangen soll. Ich will dir auch keine Angst machen, es ist nur eine Geschichte, eine Legende, die mir mein Großvater immer erzählte, als ich noch etwas jünger war. Er ist der Dorfälteste, weißt du? Mein Dorf liegt etwas außerhalb von Kona", begann er, doch er wagte es nicht mich anzusehen.

„Du machst mir keine Angst. Ich will herausfinden, was los ist", berichtete ich und merkte endlich, dass er seinen Kopf gehoben hatte und mich nun stirnrunzelnd ansah. 

„Es gibt in unserer Ahnengeschichte eine Göttin des Schicksals und des Gleichgewichts namens Nauk. Sie ist eine noch ziemlich junge Göttin im Vergleich zu allen anderen in unserer Mythologie und bei weitem die grausamste. Sie und ihre Diener bemühen sich angeblich darum, eine gewisse Balance zu halten, doch in Wirklichkeit gab es bereits einen Gott, der dafür die Verantwortung trug. Nauk verriet diesen und tötete ihn, um selbst die Macht über diesen Teil des Lebens zu erlangen, da ihr Vorgänger in ihren Augen nicht hart genug durchgriff. Mein Großvater sagte mir immer, dass Nauk keine sehr angesehene Göttin ist. Die meisten bevorzugen die friedlichere Art ihres Vorgängers", erklärte er mir und ließ mich keine Sekunde mehr aus den Augen. Immer wieder sah er mich abschätzend von oben bis unten an, wohl um herauszufinden, ob ich ihn gleich für verrückt erklären würde oder nicht.

„Nauk sagtest du?", fragte ich nach, um das doch ziemlich abstrus klingende Gespräch langsam in die Gänge zu bekommen.

„Ja, sagt dir der Name etwa was?", wollte er sofort wissen und sah mich neugierig und gleichzeitig auch etwas besorgt an.

„Naja, nicht wirklich. Mein Onkel hat diesen Namen einmal genannt, als er sich gestern hat... Hm, egal. Nicht so wichtig", unterbrach ich mich schleunigst selbst, doch Kadens Interesse war jetzt erst recht geweckt. „Und was hat das mit meinem Onkel zu tun?", fuhr ich schnell fort.
Kaden schwieg eine ganze Weile ohne mich anzusehen und spielte mit einem kleinen Ast in dem Sand zu seinen Füßen herum.

„Hast du schon einmal etwas von der Legende der Keeper gehört?", fragte er mich plötzlich so unvermittelt, dass er mich gnadenlos aus meiner verworrenen Gedankenwelt riss. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er geschwiegen hatte.

„Nein, wie sollte ich auch? Ich bin nicht oft hier und kenne mich mit eurer doch sehr komplexen Ahnengeschichte nicht aus", gab ich stirnrunzelnd zurück, als mir sein stechender Blick auffiel, mit dem er mich nun anstarrte. Es schien fast so, als ob er innigst gehofft hatte, ich wüsste wovon er redete.

„Es ist zwar ein Mythos und ich glaube nicht wirklich daran, aber mein Großvater hatte schon immer darauf bestanden, dass es sie wirklich gibt. Er ist sehr alt, musst du wissen. Er kennt alle Traditionen, Geschichten und Bräuche. Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich ihn besuchen wollen, doch als ich gerade mein Motorrad abstellen wollte, habe ich gehört, wie er sich mit jemandem stritt. Und zwar ganz gewaltig. Noch nie hatte ich ihn so erlebt. Ich habe nicht verstanden, um was es eigentlich gegangen war, aber es schien nichts Banales gewesen zu sein. Als ich sah, wie der Fremde meinem Großvater den Stützstock aus der Hand riss und ihn unsanft gegen die Fassade presste, ging ich natürlich sofort dazwischen. Ich schaffte es sogar, den Kerl von ihm zu lösen und ihn nach hinten zu schubsen, doch mehr auch nicht", berichtete Kaden und mir war noch nicht ganz klar, was er mir damit nun sagen wollte, doch dann schüttelte er nur unschlüssig den Kopf und seufzte. 

Keepers of Fate [abgeschlossen] #UrbanFantasyWhere stories live. Discover now