23. Kapitel: Sarah

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Mittwoch, 12. August

Die Bilder wollten einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden – die leblosen Augen, das seltsame Lächeln auf seinen Lippen, die reglosen Gliedmaßen. So sehr ich es auch probierte nicht daran zu denken, es ging einfach nicht. Ich hätte mich nicht noch einmal umsehen können – vermutlich hätte ich meinen Blick nie mehr von seinem toten, leblosen Körper wenden können. Die ganze Zeit schon kämpfte ich gegen meine sich in Litern ansammelnden Tränen an, doch so langsam wurde es richtig schwer dagegen anzukämpfen. Wenigstens hielt Samantha ihr Versprechen und hielt ihre verdammte Klappe. Diese elende Verräterin, bei der ich gedacht hatte, dass ich ihr vertrauen könnte. Wieso hatte sie ihn nicht aufgehalten? Wieso hatte sie mich im entscheidenden Moment zurückgehalten? Wir hätten ihn noch retten können! Ich hätte ihn noch retten können! Auch wenn ich bisher noch nicht wusste, was in Kaden gefahren war: Ich hätte ihm verziehen – ich liebte ihn wirklich.

Bei dem Gedanken daran, ließ ich es endlich zu und gab es auf. Tränen um Tränen rannen mir die Wangen herab und ich konnte mir ein verzweifeltes Schluchzen auch einfach nicht mehr zurückhalten.

Ich spürte Samanthas Blick auf mir Ruhe, wie sie mich im Innenspiegel besorgt musterte, aber es spielte keine Rolle, diese Person war für mich gestorben, es interessierte mich nicht, was sie dachte. Am liebsten wäre ich doch lieber zu Fuß gegangen oder mit dem Bus gefahren – es hätte zwar um einiges länger gedauert, um von dieser verdammten, verfluchten Insel runterzukommen, aber ich hätte meine absolute Ruhe gehabt. So hatte ich sie bei mir, in meiner unmittelbaren Nähe – eine wie ich mittlerweile wusste mehr als dumme Entscheidung zu ihr ins Auto zu steigen.

Auch wenn ich sie ignorierte merkte ich sehr wohl, wie sie diverse Worte auf der Zunge liegen hatte und sich extrem selbst kontrollieren musste, um diese nicht einfach zu äußern, doch sie wusste, dass ich es ernst meinte: Ein Wort und ich war weg.

Obwohl mir der Anblick von Kaden immer noch im Kopf umherspuckte, kam es mir so vor, als ob diese Erkenntnis dahinter, dass Kaden tot war immer noch nicht ganz angekommen war – vielleicht war das auch ein Schutzreflex meines Körpers, der warten wollte, bis ich ganz alleine und für mich war und all das Leid, die Trauer und Verwirrung erst dann geballt mit einer Ladung auf mich niederfahren würde.

Ich würde nie wieder sein von mir so heiß geliebtes Lachen hören, nie wieder sein schiefes Lächeln sehen, nie wieder seine dummen Witze über mich ergehen lassen müssen.

„Wir sind da", sprach mich Samantha dann doch ohne jegliche Vorwarnung an, bis ich herausfand, dass der Motor ihres Wagens schon seit einer ganzen Weile verstummt sein musste.

Ich wusste nicht wie lange wir schon still und völlig lautlos hier im Auto gesessen hatten, denn eigentlich war es von ihrem Haus ein durchaus weiter Weg zum Flughafen in Kailua-Kona gewesen, doch offenkundig war ich so dermaßen in meinen Gedanken vertieft gewesen, dass ich um mich herum nichts mitbekommen hatte. Ein Wunder, dass ihre scheinbar so harmlose Stimme überhaupt noch zu mir durchdrang – für mich war sie so gestorben wie Nate es auch war. Ein für alle Mal und für immer und ewig, auf alle Zeit.

Ich beachtete sie nicht, sondern griff nur nach meinem Koffer und meinem Rucksack und stieg aus. Meine Sachen in Nates Haus hatte ich schnell zusammengepackt, während Sam draußen auf mich gewartet hatte. Es war ein mehr als nur absolut seltsames Gefühl gewesen noch einmal dorthin zurückzukehren – ein allerletztes Mal. Keine Ahnung wieso ich trotz allem noch so verhältnismäßig ruhig geblieben war – vielleicht stand ich einfach unter so einer Art Schockzustand, der es mir nicht erlaubte emotional komplett zusammenzubrechen, der mich davor bewahrte, mich so vor Samantha zu zeigen.

Glücklicherweise war ich kein typisches Mädchen, was bedeutete, dass meine Sachen schnell zusammengesucht und irgendwie kreuz und quer in meinem kleinen Koffer gelandet waren.

Keepers of Fate [abgeschlossen] #UrbanFantasyWhere stories live. Discover now