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Bailian White saß im Salon seines Onkels in einem der moosgrünen Sessel mit einem Buch in der einen und einem Glas Portwein in der anderen Hand. Eine fast betäubende Stille lag über dem Landsitz und Bailian versuchte, die sich endlos hinziehenden Minuten vor dem Abendessen zu überbrücken. Er warf einen Blick auf die Standuhr an der Wand, deren Ticken ihn schier wahnsinnig machte, nur um festzustellen, dass die Zeiger sich kaum voran bewegt hatten, seit er das letzte Mal hingesehen hatte.

Er klappte das Buch zu und trank sein Glas leer. Seit zweieinhalb Wochen war er bei Lord und Lady McLocklyn zu Gast und ungefähr genauso lange versuchte er, sich nicht zu Tode zu langweilen.

Die Jagdsaison hatte zwar angefangen, aber es war ihm zu eintönig, jeden Tag zu jagen.

Es war ihm aber auch zu eintönig, jeden Tag nur zu lesen.

Oder Briefe zu beantworten.

Oder mit seinem wenig begabten Onkel zu konversieren.

Er stellte das leere Glas auf den Beistelltisch und stand auf. Das letzte Licht der kühlen Herbstsonne fiel durch die großen bodenlangen Fenster und tauchte das Parkett in orangene Töne. Er machte die Tür auf, trat nach draußen auf die steinerne Veranda und ließ seinen Blick über die Landschaft gleiten.

Die Umgebung war für Ausritte mehr als vorteilhaft und ein wenig erheitert überlegte er, ob er seinen schwarzen Hengst satteln lassen sollte. Doch nach kurzer Überlegung entschied er sich dagegen. Sein letzter Ausritt lag zwei Wochen zurück und war nicht gerade ein Erfolg gewesen.

"Ian, was machst du draußen in dieser Kälte?"

Bailian drehte sich zu seinem Cousin Tobias um, der hinter ihn getreten war.

"Ist der heutige Jagdausflug schon vorbei?", fragte er zurück, ohne auf die Frage seines Gegenübers einzugehen.

"Ja, Mr. Chimney ist von seinem Pferd gestürzt."

Bailian biss die Kiefer zusammen. Er hatte erst neulich am eigenen Leib erfahren, wie viele Schmerzen so ein Sturz bereiten konnte. Nur beim Gedanken daran, bekam er schon wieder Kopfschmerzen.

"Nicht weiter verheerend, aber die Herren schienen bei der Aussicht auf einen Drink eher gewillt, zurück auf das Gut zu reiten, als die Jagd fortzufahren. Wieso hast du uns heute nicht begleitet?"

"Ich mag es, wenigstens noch etwas selber bestimmen zu dürfen", brummte Bailian als Antwort und blickte wieder zur Sonne, die mittlerweile tiefer am Horizont hing.

"Du weißt, dass du hier kein Gefangener bist", sagte Tobias leise. Bailian nickte.

"Aber es fühlt sich verdammt danach an."

Er spürte wieder, wie eine unbändige Wut in ihm hochkam. Er saß die nächsten Wochen hier fest, weil sein Vater es gefordert hatte. Er war meilenweit von seinem Alltag, seinen Freunden und seinen Geschäften in London entfernt. Was natürlich Sinn der Sache war. Denn es kam in der Londoner Gesellschaft nicht sonderlich gut an, eine Verlobung zu lösen und dazu noch den Ruf eines spielsüchtigen Trunkenboldes zu haben. Selbst als Lord nicht.

"Wenigstens arrangiert Vater zu deinen Ehren einen Ball. Dann ist auch für uns andere für Unterhaltung gesorgt." Tobias schlug ihm spielerisch auf die Schulter und Bailian lächelte schief. Den Ball hatte er für einen kurzen Augenblick doch tatsächlich vergessen.

"Und je schneller du deinen Ruf verbesserst, desto eher kannst du wieder nach London zurückkehren."

Bailian nickte stumm. Je schneller, desto besser. Und das wusste auch Tobias. Denn er kannte als einziger in seiner Familie den wahren Grund für seinen Aufenthalt auf dem Land.

Was ist da wohl mit dem Ruf passiert?

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Was ist da wohl mit dem Ruf passiert?

Eure
Eliza Hart

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now