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Während Bailian sich den ganzen Tag in seinem Büro verschanzte und arbeitete, machte Lucinda sich mit dem Haus und den täglichen Routinen vertraut. Ms. Davies zeigte ihr auf eine fast mütterliche Art und Weise die Abläufe und erklärte ihr die verschiedenen Funktionen der Dienerschaft.

"Ich weiß, dass man von mir erwartet, ich könne einen Haushalt dieser Größe wie eine Selbstverständlichkeit handhaben, aber ich werde besonders anfangs auf Ihre Hilfe angewiesen sein, Ms. Davies", gestand Lucinda ihr ehrlich, als sie auf dem Weg in den Keller waren, um sich die Küche anzusehen.

"Mylady, ich bin zuversichtlich, dass Sie schon bald ihr Können unter Beweis stellen dürfen", antwortete die Hausdame diplomatisch.

"Nein, Ms. Davies, Sie verstehen nicht. Zu Hause habe ich Kartoffeln geschält und Kühe gemolken. Ich bin es gewohnt, selbst die Arbeit zu verrichten, die hier von meinen Bediensteten erwartet wird."

Die Hausdame blieb abrupt stehen und sah Lucinda mit einem ganz irritierten Gesichtsausdruck und voller Erstaunen an. Lucinda spürte, wie ihr warm wurde und bereute ihre Offenheit, als Ms. Davies leicht den Kopf schüttelte und weiterging.

"Hier befindet sich die Küche", sagte sie und ignorierte somit Lucindas Aussage. Anscheinend war der Dienerschaft nicht bewusst, aus welchen Verhältnissen ihre 'Lady' stammte. Kurz überlegte Lucinda, ob das zum Problem werden könnte, wurde im nächsten Augenblick aber von lauter Eindrücken förmlich erschlagen. In der Küche herrschte ein Trubel ohnegleichen. Brodelnde Töpfe, zischende Pfannen, hackende Messer und ein himmlischer Duft erfüllten den Raum, der proppenvoll schien. Ms. Davies zog die Aufmerksamkeit der Köchin auf sich, die sofort herbeieilte.

"Mylady", sagte sie und knickste kurz.

"Dies ist Mrs. Scott, sie wird mit Ihnen das Wochenmenü durchgehen."

"Natürlich, Mylady. Wir können den Plan gerne sofort besprechen."

"Sehr gerne." Lucinda lächelte die kleine, zierliche Frau an. Wie Ms. Davies könnte sie ihre Mutter sein und ihr gefiel es nicht, Frauen mit so viel mehr Erfahrung, Anweisungen geben zu müssen.

Alle drei setzten sie sich an einen Tisch und Mrs. Scott holte ein kleines, ledergebundenes Büchlein aus der Tasche ihrer Schürze hervor und schlug es auf. Lucinda staunte nicht schlecht. Dass selbst dieses Notizbuch so wertvoll war, zeigte nur zu deutlich, welcher Standard im Haus herrschte.

"Ich habe mir die Freiheit genommen, den Plan für diese Woche schon zu machen", murmelte die Köchin kleinlaut und drehte das Buch um, sodass Lucinda die verschnörkelte Schrift begutachten konnte.

"Natürlich, Sie haben gestern in meiner Abwesenheit schon Entscheidungen treffen müssen", meinte Lucinda freundlich und freute sich im Stillen darüber, dass die Köchin so selbständig war. Dann wandte sie sich dem Menü zu und beim Gelesenen lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Lucinda war selbst in keiner Weise wählerisch und sie war auch offen für neue Gerichte oder Zutaten.

"Hat... Bevorzugt Lord White bestimmte Gerichte?", fragte sie dann vorsichtig. Wieder einmal störte es sie, dass sie so gut wie nichts über ihren Ehemann wusste und das abermals vor den Bediensteten offen zur Schau stellen musste. Sie wollte Bailian jedoch gerne eine Freude bereiten und im Laufe der Woche vielleicht sogar seine Lieblingsspeise einplanen.

Mrs. Scott lächelte breit. "Der Herr hat einen großen Appetit und findet generell viel Freude an meinen Menüs. Aber wollen Sie ihn ganz besonders verwöhnen, würde ich meinen Pie mit Hühnchen und Pilzen vorschlagen."

Lucinda hob fast schon ruckartig den Kopf. "Oh", war alles, was aus ihr herauskam. Sie hatte mit Austern, Muscheln, Wachteln oder Wild gerechnet. Aber mit einem Pie? Die Damen vor ihr lächelten verschmitzt.

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now