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Das Wetter passte zu Lucindas niedergeschlagener Stimmung. Der Regen prasselte gegen die Fenster, der Wind peitschte durch die Bäume.

Zwei Wochen waren nun seit Lucindas missglückter Aussprache mit Bailian vergangen und sie hatte das Gefühl, dass sie in ihrer Beziehung keinen Schritt weitergekommen waren.

Bailian blieb verschlossen wie eine Auster, anscheinend wirklich verärgert oder gekränkt – genau wusste Lucinda es ja auch nicht, da er nicht mehr als das Nötigste mit ihr redete.

Ihre Flitterwochen hatte sie sich wahrlich anders vorgestellt. Wenn es schon keine Heirat aus tiefer, echter Liebe war, so hatte sie sich wenigstens Freundschaft, Zuneigung und Respekt gewünscht.

Genau das, was sie so kurz erhascht und durch einen unbedachten Moment zunichte gemacht hatte.

Ihre Lichtblicke waren die Klavierstunden, die sie einmal in der Woche von Walters erhielt – wobei diese manchmal noch ein wenig mühsam waren, da sich ihre Finger noch wahnsinnig steif anfühlten – und ihre Treffen mit Dr. Winter.

Elliot.

Erst gestern hatte er darauf bestanden, dass sie ihn beim Vornamen nannte und dieser wollte ihr noch nicht so recht über die Lippen kommen.

Elliot kam zwei- bis dreimal die Woche und Lucinda saugte jedes Wort in sich auf. Er war beeindruckt von ihren bereits recht umfangreichen Kenntnissen und gestand ihr nach den ersten paar Stunden ein wenig beschämt, dass er ursprünglich damit gerechnet hatte, einer gelangweilten Dame Unterricht geben zu müssen, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wusste und seiner bald überdrüssig werden würde.

Daraufhin hatte Lucinda von Herzen gelacht und gefragt, ob sie ihn denn inzwischen vom Gegenteil überzeugt habe.

Seine Augen hatten gefunkelt, kleine Fältchen hatten sich um seine Augen gebildet, als er gelächelt und ihr geantwortet hatte, dass seine Erwartungen in jeder Hinsicht übertroffen wurden.

Und nun saß sie hier und kam sich wirklich langsam wie eine gelangweilte, reiche Ehefrau vor, die von ihrem Mann bereits in den Flitterwochen gänzlich vernachlässigt wurde. Aber schon diese Woche würden sie auf ihren ersten gemeinsamen Ball gehen und als frisch Vermählte würden sie in den nächsten Wochen keine freie Minute haben, dank all der gesellschaftlichen Verpflichtungen, die anstanden.

Allein bei dem Gedanken wurde Lucinda unbehaglich. Mrs. Reid hatte ihr in der Tat bereits viel beigebracht, auch wenn sich Lucinda noch immer oft genug über ihre Lehrmethoden ärgerte. Trotzdem hatte Lucinda manchmal dieses überwältigende Gefühl, sie würde der Gesellschaft zum Fraß vorgeworfen werden. Was natürlich nicht stimmte. Sie wusste, dass sie Bailian immer an ihrer Seite haben würde, egal wie er sich gerade benahm. Dafür war er durch und durch Gentleman und er würde nichts auf den Ruf seiner Frau und damit seine Ehre kommen lassen.

Seufzend wickelte sich Lucinda noch ein wenig fester in ihre Stola. Obwohl im Zimmer ein Kamin brannte, fröstelte es sie.

Die Rückschritte mit Bailian frustrierten sie. Er konnte auf der einen Seite so zauberhaft zuvorkommend sein und im gleichen Moment zu zurückhaltend und unendlich verschlossen und das, obwohl Lucinda sehr schätzte, dass er keine Mühe scheute, um ihren Bitten nachzukommen, erst in Bezug auf die Medizin-Stunden mit Elliot und dann auch noch den Klavierunterricht mit Walters.

Ob sie wohl einmal ihrem Vater schreiben und um Rat fragen sollte?

Die Entscheidung auf diese Frage wurde vorerst unwichtig, da es in diesem Moment an der Tür klopfte.

"Herein!", rief Lucinda und setzte sich aufrecht hin. Winston trat ein, kündigte Dr. Winter an und trat dann beiseite, um selbigen eintreten zu lassen. Elliot schien genauso gut gelaunt wie bisher bei jedem ihrer Treffen und stand daher heute in umso krasserem Kontrast zu Lucindas Gemütszustand. Aber schon bei seinem fröhlichen "Guten Tag, Lady Lucinda!", spürte sie, wie sich ihre Mundwinkel wie von selbst hoben. Einer solchen Frohnatur konnte man sich kaum entziehen.

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now