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Ihr wurde bewusst, dass sie ihm alles zu verdanken hatte. Nur war sie sich noch nicht im Klaren darüber, wie sie ihm das zeigen konnte.

"Dies ist meine private Bibliothek", sagte Bailian, als sie im zweiten Stock angekommen waren und er die nächste Tür aufgemacht hatte. Das Zimmer war klein und eng möbliert, aber genauso stilvoll eingerichtet wie die restlichen Räumlichkeiten des Hauses.

"Wieso hast du zwei Bibliotheken?", fragte Lucinda erstaunt, als sie sich einmal im Kreis drehte und sich umsah. Sie war von der Hauptbibliothek schon überwältigt gewesen.

"Nun ja, die Bücher im Erdgeschoss habe ich größtenteils geerbt oder geschenkt bekommen. Aber diese Bücher hier... Diese habe ich selbst erworben. Manche habe ich sogar im Ausland gekauft. Und sie werden nicht ausgeliehen", fügte er grinsend hinzu. "Gäste dieses Hauses haben zur Bibliothek im Erdgeschoss freien Zutritt, ich befürworte die literarische Weiterbildung und Unterhaltung, aber meine private Sammlung bleibt privat und wird nicht öffentlich zugänglich."

Lucinda nickte, sah sich einige Buchrücken an und drehte sich dann wieder zu Bailian. "Und ich?", fragte sie gespielt kokett, denn in Wirklichkeit brannte sie darauf, jedes einzelne Buch aus Bailians Kollektion zu lesen. Sie war sich sicher, dass sie ihn dadurch viel besser kennenlernen und einen besseren Einblick darin erhalten würde, was ihn bewegte.

"Du", fing Bailian an und kam ihr gefährlich nahe. „Du bist kein Gast in diesem Haus", sprach er leise und sah sich einige Bücher an. Seine Schulter berührte ihre, dann drehte er sich zu ihr. Ihre Blicke verhakten sich und einige endlose Sekunden der Stille verstrichen. „Du lebst nun hier", flüsterte er und holte tief Luft, während er seinen Blick über sie gleiten ließ.

Lucinda sah ihn wortlos an. Wurde wie magisch von ihm angezogen, ohne sich dieses Gefühl aber erklären zu können. Erwartungsvoll sah sie zu Bailian auf.

„Ob es uns gefällt oder nicht." Seine Gesichtszüge verschlossen sich und er trat einen Schritt nach hinten, distanzierte sich mit einem Schlag buchstäblich und emotional von ihr und Lucinda hatte das plötzliche Gefühl, dass sie wieder ganz am Anfang standen. Dass sie sich wieder einfach nur auszuhalten hatten, von Freundschaft keine Spur.

Warum zum Teufel machte er das immer? Konnten sie nicht wenigstens vernünftig miteinander umgehen? Ihm musste doch bewusst sein, dass die Heirat und der Umzug für Lucinda eine mindestens ebenso große Veränderung bedeutete wie für ihn selbst. Konnten sie dann nicht einfach gemeinsam das Beste aus der Situation machen?

"Dann habe ich ja noch viel vor mir", sagte Lucinda aber nur, ließ im Raum stehen, ob sie damit nur die Bücher oder auch ihre Beziehung meinte und wandte sich wieder den Büchern zu. Welches wollte sie als erstes lesen?
Bailian räusperte sich. „Dürfte ich dir etwas empfehlen?"

„Sehr gerne!", stieg Lucinda auf dieses kleine dargebotene Friedensangebot ein und Bailian griff zielstrebig nach einigen Bücher und zog sie aus den Regalen.

„Dieses hier ist von einem deutschen Schriftsteller. Es heißt ‚Maria Stuart' und erzählt die Geschichte der schottischen Königin. Charles Dickens ist ebenfalls empfehlenswert. Und da du eine Liebe zur Medizin hegst", er hielt kurz Inne und zog dann einen dicken Band aus einem Regal, „kann ich dir dieses Buch empfehlen. Es erklärt die aktuellsten Fortschritte der Wissenschaft und besonders der Medizin. Es ist nicht mehr ganz aktuell, soweit mir bekannt ist, aber es zeigt dadurch zumindest auch die medizinische Geschichte."

Lucindas Augen begannen zu leuchten, als Bailian ihr das dicke Buch mit dem edlen Ledereinband reichte. Das Buch hatte bestimmt ein kleines Vermögen gekostet!
Aber was hatte ein Buch über medizinisches Wissen in Bailians privater Bibliothek verloren?
„Wieso besitzt du dieses Buch?", platzte Lucinda da auch schon heraus, aber Bailian zuckte nur mit den Schultern.

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now