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Wie jeden Morgen wachte Lucinda alleine in ihrem Bett auf und der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss, war, dass Bailian am vorherigen Abend mit keinem Wort mehr darauf eingegangen war, ob er Mrs. Reid nun entlassen würde oder nicht.

Stattdessen hatte er sie mit der Aussicht überrascht, bald mehr über die Themen zu erfahren, die Mrs. Reid so abgrundtief verabscheute. Das war zumindest eine kleine Erleichterung.

Es klopfte an der Tür und kurz darauf erschien Mia, dieses Mal jedoch ohne ein Frühstück in der Hand.

"Guten Morgen, Mylady. Mylord lässt fragen, ob Sie gerne mit ihm frühstücken würden", begrüßte sie Lucinda und diese spürte sofort freudige Röte in ihre Wangen schießen.

"Das würde ich sehr gerne. Hilfst du mir bitte schnell beim Anziehen?"

In Lucindas Bauch kribbelte die Vorfreude. Für jede andere Ehefrau war es mit Sicherheit nichts Besonderes, mit ihrem Mann zu frühstücken, aber in ihrem Fall sah sie jede Kleinigkeit als einen winzigen Schritt zu größerer Nähe und Zuneigung an.

In Rekordzeit war Lucinda angezogen und frisiert und lief nach unten in den Frühstücksraum, in dem Bailian sie schon erwartete. Der kleine Salon, in dem sie ihr Frühstück einnahmen, war wesentlich gemütlicher als der große Salon für die Mittag- und Abendessen.

"Guten Morgen, Bailian", grüßte ihn Lucinda mit einem Lächeln und sofort stand er auf.

"Guten Morgen, Lucinda." Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, von dem sie zwar nicht sicher wusste, ob dieser lediglich für die Augen der Bediensteten war oder tatsächlich von Bailian gewollt, aber dennoch sorgte er für einen kleinen Hüpfer ihres Herzens.

Nachdem Bailian ihr den Stuhl zurechtgerückt hatte, setzte er sich ihr wieder gegenüber und schenkte ihr eine Tasse Kaffee ein.

"Hast du gut geschlafen?" Über die unverfängliche, leichte Konversation, die den Anschein eines völlig normalen Ehepaares erweckte, musste Lucinda lächeln.

"Nach deiner Nachricht von gestern Abend, habe ich überaus wundervoll geschlafen, danke."

"Das freut mich zu hören. Du hast heute viel vor, da brauchst du deine Kraft."

"So, habe ich das?" Verwundert sah Lucinda ihn an.

"Natürlich. Nach dem Frühstück erwartet dich Mrs. Reid zu der nächsten Stunde. Ich weiß, du hattest mich gebeten, dass ich Mrs. Reid wieder ihres Weges schicke, aber ich würde ihr gerne noch eine weitere Chance geben." Er wartete Lucindas Reaktion ab, die nicht sehr damenhaft schnaufte und dann aber widerwillig zustimmte.

"Nun gut, ich werde sehen, was ich Positives für mich mitnehmen kann. Aber, Bailian, ich verspreche dir hoch und heilig, wenn diese Frau mich weiterhin behandelt, als wäre ich der größte Abschaum, der ihr je unter die Augen trat, dann werde ich diese Stunden boykottieren."

Bailian schmunzelte. "Abgemacht. Dann werde ich heute noch einmal vorab ein ernstes Wörtchen mit Mrs. Reid reden und ihr den rechten Platz zuweisen. Nun aber zu den wichtigeren Dingen. Nach deinem Unterricht mit Mrs. Reid werde ich dir deine erste Tanzstunde geben. Und wenn du danach noch nicht zu erschöpft bist, habe ich Mr. Winter gebeten, uns heute Abend einen Besuch abzustatten, um zu besprechen, wann deine Unterweisungen in Medizin stattfinden."

Die Nachricht brachte Lucindas Augen zum Strahlen. "Oh Bailian, heute schon? Das ist ja wundervoll! Ich danke dir! Mit dieser Nachricht werde ich Mrs. Reid heute um einiges leichter ertragen können", versicherte Lucinda und brachte Bailian damit zum Lachen.

Nicht zum ersten Mal fiel ihr auf, dass Bailians Lachen sein ganzes Wesen, die ganze Ausstrahlung veränderte. Und galt dieses Lachen ihr, durchströmte sie ein warmes Gefühl, das kleine Stromstöße bis in ihre Fingerspitzen sandte.

Er schickte ihr noch ein Lächeln, dann schlug er die Zeitung, die neben seinem Teller auf dem Tisch lag, auf und widmete sich einer Sektion auf der ersten Seite. Lucinda beobachtete ihn noch einen kurzen Augenblick, dann nahm sie sich ein Toast und etwas Marmelade. Sie versuchte, sich zu entspannen und das Normale in dieser Situation – sie essend, Bailian Zeitung lesend – zu genießen und nicht auf Anhieb davon auszugehen, dass ihre Gesellschaft Bailian langweilte und er deswegen nicht weiter mit ihr konversierte. Sie hoffte inständig, dass die Unterrichtsstunden mit Mrs. Reid ihr ein vermehrtes Selbstvertrauen ihm gegenüber geben würde.

"In Württemberg ist die erste Teilstrecke der Eisenbahn eröffnet worden", vernahm Lucinda dann Bailians Stimme und sie sah wieder zu ihm. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen. "Die Deutschen hinken wie immer etwas hinterher", amüsierte er sich, sichtlich stolz, in einem Land zu leben, das Vorreiter auf dem Gebiet der Eisenbahnindustrie war.

"Ich bin noch nie mit einer Lokomotive gereist", gestand Lucinda ein wenig peinlich berührt. Wieder einmal fühlte sie sich ungebildet und unerfahren und wappnete sich schon gegen einen überheblichen Kommentar seitens Bailian, doch dieser lächelte sie nur an.

"Dann müssen wir bei Gelegenheit einen Ausflug nach Greenwich unternehmen."

Ganz langsam spürte Lucinda in sich die Entdeckerlust aufkommen. Bisher hatte ihnen immer das nötige Geld gefehlt. Es hatte ihrer Familie nie an etwas gefehlt, sie hatten auch einmal im Jahr einen Ausflug in die nächstgrößere Stadt unternommen, um ein neues Kleid zu kaufen. Lucindas Mutter hatte es sich nie nehmen lassen, dass jede ihrer Töchter wenigstens ein Kleidungsstück nach der neuesten Mode besaß, um in irgendeiner Weise auf dem Heiratsmarkt bestehen zu können. Für Lucinda waren diese Ausflüge eine willkommene Abwechslung, sodass sie sogar die Anproben in Kauf genommen hatte. Aber für mehr hatte das Geld nie gereicht. Deshalb hatte Lucinda sich auch nie ausgemalt, was sie eigentlich alles gerne tun würde, hätte sie die nötigen Mittel dafür. Sie hatte sich lieber mit dem zufrieden gegeben, was sie und ihre Familie hatte, hatte sich über Kleinigkeiten gefreut und auch so ein schönes Leben gehabt.

Aber jetzt war sie mit Bailian verheiratet, einem Mann, der offensichtlich über ausreichende Mittel verfügte, um nicht einmal mit der Wimper zu zucken, wenn sie sich über einen Ausflug mit der Eisenbahn unterhielten.

Lucinda hatte sich fest vorgenommen, trotzdem immer genügsam und bescheiden zu bleiben. Aber es war bestimmt nicht verkehrt, sich über etwas so Einfaches wie einen kleinen Ausflug zu freuen.

Und vielleicht könnten sie mit ihrem Geld ja auch etwas Gutes bewirken? Etwas, das anderen Menschen half? Der Gedanke setzte sich in Lucinda fest und sie nahm sich vor, einmal über sinnvolle Möglichkeiten nachzudenken und diese dann mit Bailian zu besprechen.

Sie schob sich den letzten Bissen in den Mund und spülte ihn mit Kaffee herunter.

"Ich würde mich dann gerne für Mrs. Reid zurechtmachen, wenn es dir nichts ausmacht, Bailian." Überrascht sah er sie an und musterte dann ihr Kleid.

"Zurechtmachen? Du bist doch zurechtgemacht."

"Ich möchte einen guten Eindruck hinterlassen und ich habe dir versprochen, Mrs. Reid noch eine faire Chance zu geben. Also werde ich es ganz oder gar nicht durchziehen."

"Also gut, das freut mich zu hören." Lächelnd stand Bailian auf und verabschiedete sie mit einem Kuss auf die Wange. Er sah ihr mit einem Lächeln hinterher, bis der Diener die Tür hinter ihr geschlossen hatte.

Ihr Lieben, es tut uns so wahnsinnig leid, dass wir in letzter Zeit so wenig von uns hören lassen

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Ihr Lieben, es tut uns so wahnsinnig leid, dass wir in letzter Zeit so wenig von uns hören lassen... Aber hier ist endlich mal wieder ein neues Kapitel - wir haben Lucinda definitiv nicht vergessen! ;)

Wir hoffen, wir konnten euch eine kleine Freude zum Start ins Wochenende damit machen <3

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now