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Seit sie die Einladung nach Longwood Manor erhalten hatten, herrschte im Haus der Thorntons eine heitere Stimmung. Mrs. Thornton und Lucindas Schwestern Kate und Caroline sprachen über nichts anderes und ihnen schienen nie die Ideen auszugehen, wie sie sich auf den Ball vorbereiten konnten.

Lucinda war froh, denn für eine kurze Zeit galt die Aufmerksamkeit ihrer Mutter anderen Dingen, als sie für ihr Interesse an medizinischen Belangen zu tadeln. Obwohl dies auch bedeutete, dass sie unter anderem der Schneiderin im Dorf einen Besuch abzustatten hatte, damit sie beim Ball ein neues Kleid tragen konnte.

"Ich werde den ganzen Abend mit Edward Hunt tanzen", hörte sie in dem Moment Kate schwärmen, die dicht gefolgt von Caroline die Küche betrat.

"Und ich mit Charles Miller!", sagte diese mit einer Innigkeit, die Lucinda zum Schmunzeln brachte.

"Und wollen die beiden Herren denn auch mit euch tanzen?", fragte sie und lächelte süß.

"Lucinda, nur weil keine Gentlemen oder Lords in der Nähe an dir interessiert sind, muss das nicht auch für uns der Fall sein", kommentierte Kate säuerlich. Lucinda nahm ihr die Bemerkung nicht übel, sie hatte lediglich bei Kate einen wunden Punkt getroffen. Sie wollte unbedingt eine gute Partie machen und am besten auch eine bessere Partie als ihre Schwestern. Und mit Lord Hunt würde ihr das sicherlich gelingen.

Nur zweifelte Lucinda sehr daran, ob der fast dreißigjährige Lord an ihrer siebzehnjährigen Schwester aus nicht adeligem Stande interessiert war.

"Wer weiß, vielleicht wird morgen ein Herr endlich ein Auge auf Lucinda werfen", sagte Caroline verträumt.

"Lasst uns dafür beten!", hörten sie in dem Moment ihre Mutter sagen, die die Küche mit einem Korb voller Pfifferlinge betrat.

Lucindas Schwestern lachten, sie selber schüttelte nur resignierend den Kopf. Es hatte in den letzten Jahren das ein oder andere Eheangebot gegeben, aber keiner der Verehrer war ihr verlockender erschienen als ihre Freiheit. Selbst ihre Eltern hatten dem zugestimmt.

Leider wusste Lucinda aber auch, dass diese Freiheit nur begrenzt war. Irgendwann würde sie alleine ohne Einkommen dastehen und dann würde sie sich nicht versorgen können. Und ob ihr Traum, Ärztin zu werden, je in Erfüllung gehen würde, war auch stark zu bezweifeln. Irgendwann also müsste sie ein Kompromiss eingehen.

"Wir müssen wohl viel und inbrünstig beten, denn sogar den fremden Patienten hat sie verscheucht", fuhr Kate die Hänselei fort. Sie konnte manchmal ein wahres Biest sein.

"Nur Dank meiner Pflege war er überhaupt dazu im Stande, aufzustehen und unser Zuhause zu verlassen", verteidigte sie sich und stand auf. Lucinda hatte den Fremden im Laufe der Wochen mehr und mehr vergessen. Keiner im Dorf schien etwas über ihn zu wissen, sie hatte ihn nicht wiedergesehen und sie hatte sich damit abgefunden, dass sie es wahrscheinlich auch nicht tun würde. Trotzdem schmerzte Kates Kommentar, denn sie hatte sich wirklich in ihrer Ehre gekränkt gefühlt, als der Mann sich für ihre Fürsorge nicht einmal bedankt hatte.

"Kate, deine Schwester hat Recht", kam Lucindas Mutter ihr unerwarteter Weise zur Hilfe. "Lucinda hat ihn nicht vertrieben, sein eigenes ungehobeltes und schamloses Verhalten hat das für ihn erledigt. Bei so einem Benehmen können wir von Glück reden, dass wir uns nicht mehr um ihn kümmern müssen."

Lucinda musste schmunzeln, als sie Kates verdutzten Gesichtsausdruck sah. Bevor diese ihr aber mehr Beleidigungen an den Kopf werfen konnte, verließ sie die Küche. Ein Spaziergang in Gesellschaft der Vögel und scheuen Rehe war ihr momentan lieber, als die Gesellschaft ihrer Schwestern.

***

"Kate, hast du mein blaues Band?" Carolines Stimme klang schrill und panisch. Kate steckte den Kopf aus dem kleinen Zimmer, in dem immer der Badezuber stand, ein blaues Band in ihre Haare eingeflochten.

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now