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Bailians Blick huschte für den Bruchteil einer Sekunde zu ihren Händen auf Elliots Bein und obwohl Lucinda wusste, dass dies lediglich Teil des praktischen Unterrichts war, fühlte sie sich ertappt, als hätte sie etwas Verbotenes angestellt und würde dabei seinen Zorn hervorrufen. Der Blick, den Bailian ihr kurz schickte, bestätigte ihre Befürchtung.

"Elliot!", sagte er jedoch und ging lächelnd auf den Arzt zu, von seiner Missbilligung keine Spur. Hatte Lucinda sich dies einfach eingebildet?

Sie legte ihre Hände in ihrem Schoß ab und Elliot erhob sich, um seinen Freund und ihren Ehemann zu begrüßen. "Bailian", lächelte er und deutete eine Verbeugung an. Bildete sich Lucinda auch die leichte Röte ein, die sich dezent auf seinen Wangen abzeichnete?

"Wie ich sehe, seid ihr bereits in vollem Gange und es ist mir zuwider, den Unterricht zu stören", fuhr Bailian unbeirrt in seiner freundlichen Art und Weise fort, während er seiner Frau einen undefinierbaren Blick schickte. "Ich wollte mich entschuldigen, dass ich dich nicht früher willkommen geheißen habe."

Während Bailians Fokus auf Elliot gerichtet war, ruhten Lucindas Augen auf ihrem Ehemann, den sie am heutigen Tag zum ersten Mal sah. Seine Erscheinung war wie immer tadellos und auch seine Manieren ließen in keiner Weise zu wünschen übrig. Doch sie kannte ihren Mann mittlerweile so gut, dass ihr das Brodeln hinter der Fassade nicht entging. Bailian war unzufrieden. Wegen was, würde sie sicherlich erfahren, sobald sie wieder alleine waren.

"Du störst doch nie", meinte Elliot ehrlich.

"Wie schreitet der Unterricht voran?", fragte Bailian, anstatt auf Elliots Kommentar einzugehen, und sah wieder kurz zu Lucinda, die bisher noch kein Wort geäußert hatte.

"Oh, Lady White ist nicht nur eine reizende, sondern auch eine intelligente und lernbereite Schülerin. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich über ihren Wissensstand beeindruckt bin."

Bailian nickte langsam. "Ist das so?"

Diese Bemerkung konnte Lucinda nicht anders als sarkastisch auffassen und sie spürte, wie ihr diesmal vor Zorn die Röte in die Wangen schoss. Sie hatte gedacht, Bailians herablassende Art würde endlich der Vergangenheit angehören. Doch anscheinend zweifelte er immer noch an ihren Fähigkeiten und ihrem Können und sie fragte sich, ob er wohl je ihre niedere Herkunft würde vergessen können.

Neben der Wut verspürte Lucinda jedoch auch eine andere Emotion. Eine, die zur Zeit ihr konstanter Begleiter war. Traurig über die Entwicklung ihres Verhältnisses zu Bailian schlug sie die Augen nieder und betrachtete ihren Ehering, der lieblos glänzend an ihrem Finger saß.

Dann jedoch reckte sie den Hals. Was erwartete Bailian eigentlich? Er hatte ihr die letzten zwei Wochen kaum Beachtung geschenkt, schien nicht daran interessiert, sich auszusprechen und generell war nur daran, dass sie sich ein Bett teilten, zu erkennen, dass sie überhaupt Mann und Frau waren. Sie hatte nichts anderes getan, als sich unglaubliche Mühe zu geben, immer versucht, die Lebensweisen einer Lady zu lernen und nachzuahmen. Um Bailian eine Freude zu bereiten, ihn stolz zu machen.

Und was war der Dank?

Die Unterrichtsstunden mit Elliot hatte sie als ein Geschenk seitens Bailian gesehen. Hatte er Hintergedanken gehabt, als er eingewilligt hatte?

"Wie dem auch sei", vernahm sie nun seinen angenehmen Bariton. "Liebling, es tut mir leid, aber ich muss dringend ein paar Worte mit Elliot wechseln."

Überrascht darüber, dass Bailian sie so liebevoll ansprach, sah Lucinda ihm direkt in die Augen. Und wartete.

Die Stille zog sich einige Momente, dann räusperte Bailian sich. "Alleine", fügte er hinzu und Lucinda verstand. Sie verstand nicht nur, dass Bailian sie bat, das Zimmer zu verlassen, sondern auch, dass er nicht imstande war, ihr auch nur den geringsten Respekt entgegenzubringen.

Lucinda Roseजहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें