FÜNF - ٥

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LAMEES| Ich entriss ihm schneller meine Hand, als er sie festhalten konnte. Verwirrt und überrascht schaue ich ihn an, schüttle mein Kopf und presse meine Augen zusammen. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass alle schon weiter ins Wohnzimmer gelaufen sind. Mit zusammengezogenen Augen drehe ich ihm mein Rücken zu und bleibe kurz so stehen. Mein Herz pocht so stark, dass ich Angst kriege gleich zu kollabieren. Ich atme tief aus und überwinde mich ins Wohnzimmer gleich um die Ecke zu streben. Vorort schauen mich alle an, da ich reingeplatzt kam. Aus Verlegenheit streiche ich eine Strähne hinter mein Ohr und schaue planlos durch die Menge. Die Mutter von meinem Zukünftigen ruft mich zu sich.

„Lamees, mein Liebling setzt dich doch hier zu mir!", sagte sie freudig und machte Platz, als Zeichen mich in ihre Richtung zu bewegen. Mit lächelnden Ausdruck gehe ich auf sie zu und lasse mich neben ihr nieder. Die Älteren reden über meiner Meinung nach unwichtigen Kram, weswegen ich nicht hinhörte. Ich sah mich im „Wohnzimmer" um und bewunderte die schongebaute Decke. Selbst diese ist aus wunderschönem Mamor und verziert mit tollen Mustern. Die Wände besitzen große breite Fenster, warme Strahlen besetzen den ganzen Saal. Ich schaue raus aus den Fenstern und erblicke einen schönen Garten, man könnte sogar Wiese sagen. Sie geht bestimmt einen Hektar entlang, wenn nicht sogar mehr.

„Wir sollten bald einen Termin beim Standesamt machen.", hörte ich es von meinem Onkel, weshalb mein Kopf zurück zu ihnen steuert. Stimmt ja. Wir sind ja nur wegen der Eheschließung eigentlich hier. Heute werden wir uns die Ringe anstecken, unsere familiäre Verlobung. Sie wird unter uns gemacht. Ich atme flach aus. Ich werde heiraten. Selbst kann ich es immer noch nicht fassen. Ich hörte einen Klingelton. Meinen Klingelton.

„Entschuldigung.", sagte ich und kramte mein Handy aus meiner Handtasche. Ich ergriff diesen und entschuldigte mich erneut, um aufzustehen und im Garten in Ruhe zu telefonieren. Kurz blicke ich auf meinem Display und sehe, dass meine Mutter anruft.

„Hallo, Mama.", sagte ich erfreut, als ich abnahm. Ich stehe im Garten und schaue geradeaus zur Landschaft. Wunderschön und beruhigend. Die Vögel fliegen hier in Gruppen hin und her, selbst diese haben ihren Spaß.

„Çiçe.", sagt meine Mutter. Ihre Stimme hört sich nicht erfreut nach. Im nu werde ich stutzig. Was hat meine Mutter?

„Mama?", fragte ich vorsichtig nach. Sie müsste jetzt eigentlich rausgehört haben, dass ich ihre Stimme bemerkt habe. Sie war ruhig. Es war leise an der Leitung. Einen Moment wartete ich noch, bis ich mein Mund wieder öffnete. Aber sie schnitt ihn mir ab.—

„Mach das nicht.", hörte ich sie leise sagen. Ich verstehe nicht. Was soll ich nicht machen?

„Wir werden einen anderen Weg finden. Ich will dich nicht weggeben, damit wir wieder in Deutschland sind.", fügte sie wimmernd hinzu. Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. Jetzt verstehe ich.

„Ich spüre, dass es nicht gut ist.", ich hörte sie schluchzen. Überfordert blicke ich gerade aus. Meine Kehle ist wie zugeschnürt.

„Mama.", gab ich trocken von mir. „Alles wird gut, wenn ich das jetzt eingehe."

„Ich will dich aber nicht unglücklich machen, Çiçe.", sagte sie sorglich. Ich bin schon unglücklich, weil ihr nicht hier seit. Denkt du, diese Scheinehe wird mich unglücklicher machen, Mama?

„Verstehst du nicht?", ihre Stimme wurde wieder fester. „Wir verkaufen dich indirekt, nur damit wir wieder zurück kommen können. Wie soll ich je wieder in Ruhe schlafen können, ohne an Schuldgefühlen zu ersticken?", sagte sie. Ich war leise. Ich hatte keine Worte. Was soll ich denn dazu sagen?

„Deshalb bitte ich dich, mein Schatz.", meinte sie schweren Herzens.

„Tu mir das nicht an. Sag „Nein" zu dieser Ehe.", gab sie schmerzhaft von sich. Meine Sicht wurde verschwommen. Es ist schwer, dass meiner Mutter das jetzt zu sagen.

„Hör mir zu, Mama.", sprach ich fest und stark. „Ich werde diese Ehe eingehen und euch von diesem Loch rausholen. Gerade ist es mir egal, dass du das nicht willst. Gerade will ich nur, dass ihr wieder bei mir seid.", sagte ich. Ich hörte nur noch, wie meine Mutter widersprechen wollte, doch ich beendete den Anruf. Überfordert wische ich die kleinen Tränen aus meinem Augenwinkel weg und überkreuze meine Arme ineinander. Bedrückt atme ich tief ein. Eine leichte Windbrise weht mir um meine Haare umher, weshalb ich meine Augen schließe. Es war hart, meiner Mutter zu widersprechen, doch das musste ich tun. Ich will nicht meine Eltern endgültig verlieren, ihnen geht es nicht gut dort. Ich öffnete plötzlich meine Augen, als ich jemanden aggressiv diskutieren höre. Als ich mich dann umdrehe, sehe ich dass es Arda ist, der gerade aus dem großen Küchenfenster ins Garten gelangt ist. Er spricht kein Deutsch, sondern arabisch und das sehr harsch. Mit Gefühl und Seele. Er spricht die Wörter sehr genau aus und betont die Buchstaben dominant. Seine Hände sind geballt oder öffnen sich nur, wenn er eine offensive Bewegung macht. Es sieht nicht sehr friedlich aus. Leider kann ich kein arabisch, dafür erkenne ich einige Wörter die er benutzt. Oft fällt das Wort „ya kalb" oder „al'abalah" was sowas wie „Hund" und „Idiot" heißen soll. Doch jetzt stelle ich mir die Frage, von wo er arabisch gelernt hat. Dazu spricht er sehr gut die Sprache, soweit ich ihn belauscht habe. Irgendwann landen seine lodernden eiskalten Augen bei mir, weshalb sich sein Gesichtsausdruck drastisch verändert. Er schaut jetzt gefühllos zu mir und beendet das Telefonat. Wir haben einen Abstand von etwa drei Metern, doch erst jetzt erkenne ich ihn ganz klar. Ich erschaudere, als er nicht wegguckt, sondern mir mutig in die Augen blickt. Nervös verstecke ich mein Gesicht hinter meinen Haaren und schaue auf den Boden. Was mache ich noch hier? Ich sollte wieder zurück rein. Also schlucke ich stark runter und laufe in die Richtung, wo er rausgekommen ist. Ich will gerade an ihn vorbeilaufen, doch er hält mich abrupt an meinem Oberarm festhält. Ich pralle an seine linke Brusthälfte, schau deshalb aufgebracht nach oben. Gerade wollte ich mein vorlautes Mundwerk öffnen, doch bleibe ich leise als ich in sein Gesicht schaue. Ich bekomme eine Gänsehaut, da er mir viel zu nah ist. Seine Augen durchbohren mich, aber ich fasse mich. Kurzerhand reiße ich mich von ihm los und laufe gegen seine Schulter, weshalb er nach hinten taumelt. Ich spüre, dass er mir hinterherschaut. Mein Rücken brennt und ich habe das Gefühl, gleich einen Gehfehler zu bekommen. Er folgt mir, das höre ich an seinen Schritten.

„Da seid ihr ja!", hörte ich meinen Schwiegervater. Ich halte an und schaue zu ihm.

„Die Ringe werden jetzt angesteckt.", fügte er hinzu. Mir kommen sofort die Worte meiner Mutter in den Sinn. Schnell schlucke ich diese Gedanken weg. Ich werde das tun. Das muss schon das Richtige sein. Mein Schwiegervater greift nach meiner Hand und läuft mit mir zu den Ringen. Arda stellt sich dazu und schaut runter zu mir. Sein Blick ist wie immer kalt und undurchdringlich, genauso wie ich ihn auch kennenlernte. Aus Reflex schaue ich runter und fühle mich unwohl in seiner Gegenwart. Und ihn soll ich heiraten?

„Arda, stecke deiner zukünftigen Frau den Verlobungsring an.", sprach meine Schwiegermutter. Er ergriff meine Hand mit einem festen Griff. Ich glaube sogar, dass er mit Absicht zudrückt. Langsam und quälend nimmt er den Ring in die Hand und steuert mit Schneckentempo zu meiner Hand. Ungeduldig warte ich darauf, dass er mir diesen Ring an den Finger steckt, damit er meine Hand loslässt. Seine Hand brennt auf meiner Haut, es ist nicht zum Aushalten. Als er mich endlich loslässt greife ich nach seiner Hand. Aus Prinzip ramme ich heimlich meine Nägel in sein Fleisch, weshalb er sich etwas versteift, was aber nur ich sehe. Genauso langsam nehme ich den Ring in die Hand. Ich fahre den Ring seinen Finger entlang und merke, dass dieser Ring ihm etwas zu eng ist. Trotzdem drücke ich ihn durch, auch wenn er etwas unruhig sich bewegt.

„Omid, schneide das rote Band ab.", sagt meine Schwiegermutter, die Amina heißt. Mein Schwiegervater greift nach der Schere und schneidet das rote kleine Band ab, dass unsere Ringe verbindet. Alle im Raum klatschen. Schlagartig spüre ich seinen Arm um meine Schulter. Ich beiße mir auf die Zunge, als ich sein Atmen an meiner Wange spüre.

„Sahira.", flüsterte er nur. Ich trete ihm auf den Fuß, da ich sehr gut verstanden habe, was er von sich gegeben hat. Auch wenn es auf arabisch war.

„Kêr.", antworte ich selbstsicher. Ich weiß, dass er kurdisch versteht, aber das ist mir im Moment egal. Ich wollte einfach nur zeigen, dass er mich nicht unter Kontrolle hat.

Was für ein schöner Start in diese scheiß Verlobung.


*Sahira= Hexe
*Kêr= Esel

ÇAVZHÎNWhere stories live. Discover now