Missverständnisse

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Temari:

Nachdenklich saß ich auf der kühlen Fensterbank und putzte meinen Fächer. Zwar war dieser schon blitzblank, aber somit hatte ich eine Ausrede, Gaaras durchaus tödlichen Blicken zu entgehen. Zwar war sein jetziges Verhalten zu dem von Vorhin überhaupt kein Vergleich mehr, aber dennoch blieb dieses tiefe Gefühl der Angst, was mein Bruder in seiner Unberechenbarkeit als Nächstes tun könnte. Allein daran zu denken, sorge bei mir schon für eine Gänsehaut.

Warum hatte sie keine Angst? Ich verstand es nicht. Unergründbar schien dies für mich zu sein, fürchtete sich doch jeder, egal ob Jonin, Chunin oder Genin vor Gaara. Sogar Baki. Auch wenn unser Sensei sich das nicht anmerken ließ, aber im Grunde, wusste er genauso gut wie Kankuro und ich diese riesige Kraft tief in Gaara nicht einzuschätzen, war dieser doch auch nicht vollständig in der Lage diese zu kontrollieren.

Hatten wir es doch am eigenen Leib erfahren. Viele waren dabei ums Leben gekommen und das nur, weil unser Vater, der Kazekage von Sunagakure Gaaras Belastbarkeit testen wollte. Noch heute verstand ich nicht, weshalb er das getan hatte. Es war wie ein innerer Zwiespalt in mir. Einerseits hatte Gaara viel Böses getan, aber andererseits war er noch immer mein jüngster Bruder und ich fühlte mich auf eine skurrile Art und Weise für ihn verantwortlich. Und dann war wiederum dieser Teil in mir, welcher sich so sehr vor ihm fürchtete und dauerhaft fragte, ober uns auch eines Tages etwas antun würde. Seinen eigenen Geschwistern.

Und dann gab es dieses Mädchen, Tora hieß sich glaub ich. Stellte sich vor ihn und sagte ihm ihre Meinung. Frei heraus. Ohne vor seiner Art oder den einschüchternden Blicken zurückzuzucken. Jeder fürchtete sich vor ihm. Warum sie nicht? Diese eine Frage beschäftigte mich nun schon den ganzen Abend. Oder sie fürchtete sich vor etwas das schlimmer war als Gaara. Aber was konnte das sein? ES musste so sein, denn niemand war furchtlos oder?

Tora:

Nervös klopfte ich an Shikamarus Haustür. Die Erlebnisse von heute Nachmittag steckten mir noch immer in den Gliedern. Der seltsame Blick in Gaaras Augen und das komische Verhalten seines Bruders. Der Rothaarige schien kalt und emotionslos zu sein, doch ich kam nicht umhin, ihn mit Sasuke zu vergleichen. Von außen her schienen beide unnahbar, wobei auch sie ihre Schwachstellen zu haben schienen, beispielsweiße vertrug keiner von ihnen Kritik. Nicht einmal im Ansatz. Sasuke war sehr ehrgeizig und sprach andauernd von Rache.

Gaara dagegen kannte ich noch nicht besonders gut, doch er schien nicht viel von seinen Mitmenschen zu halten. Beinahe schienen sie ihm sogar gleichgültig zu sein. Nur als Sasuke ihn nach seinem Namen gefragt hatte war soetwas wie Interesse in seinen Augen aufgeflammt. Und irgendwie war ich mir sicher, dass es zwischen den Beiden noch einmal ziemlich krachen würde. Aber den ersten Platz in seiner Todesliste hatte vermutlich ich eingenommen. Todesliste. Wie das klang. Da lief mir doch glatt ein Schauder über den Rücken.

Mit einem Mal hoffte ich, dass dies nicht der Realität entsprach. Zwar fürchtete ich mich nicht vor Gaara, aber ich hatte einen Heidenrespekt vor ihm. Er strahlte mehr Macht, Dominanz und Kälte aus, als Sasuke, was schon eine beachtliche Leistung war.

„SHIKAMARU ÖFFNE GEFÄLLIGST DIE TÜR! WIR HABEN BESUCH!"

Ich zuckte zurück und hielt mir die Ohren. Mann Shikamaru hatte echt nicht übertrieben, was das Dominanzlevel seiner Mutter anging.

Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Tür und ein genervter Shikamaru erschien. Als seine Augen jedoch den Kuchen erfassten, welchen ich bei mir trug, erhellten sich seine Augen etwas. Kurz klopfte er mir freundschaftlich auf die Schulter, ehe er mich in das große Haus geleitete.

Schüchtern betrat ich neben meinem Freund das Esszimmer. Es war recht schlicht eingerichtet. Ein großer Esstisch stand in seiner Mitte, mit vier Stühlen drum herum. Der Duft von Reis und gebratenem Fleisch schwebte mir in Nase und ich atmete ihn genießerisch ein. Da lief mir doch glatt das Wasser im Mund zusammen.

Auf einem der Stühle saß Shikaku und betrachtete mich mit beinahe analysierenden Blick. Shikamaru sah seinem Vater wirklich sehr ähnlich. Nur, dass bei älterem der genervte Blick fehlte. Ich grinste. Mich würde interessieren, wie der junge Nara als Erwachsener wohl so drauf war. Schade, dass die Zeit so langsam verging, wenn man auf etwas warten musste.

„Shikaku, ich hatte dir doch gesagt, dass du den Tisch decken sollst ... oh hallo."

Ich blickte auf. Eine große dunkelhaarige Frau war aus der Küche getreten. Die Hände in die Seiten gestemmt, blickte sie ihren Mann an. Dieser sackte leicht in sich zusammen, nickte erschlagen und begab sich in den Nebenraum. Das Klappern von Geschirr war zu hören, ehe er wieder mit Schüsseln und Besteck erschien.

Shikamarus Mutter kam währenddessen auf mich zu. Alle Strenge schien aus ihrem Gesicht verschwunden zu sein und hatte einem geradezu mütterlichen Ausdruck platzgemacht. Leicht beugte sich die Frau zu mir herunter. Wieder einmal ärgerte ich mich darüber, dass ich so klein war.

„Du bist also Tora. Shikamaru hat schon einiges von dir erzählt", sagte sie freundlich.

„Hoffentlich nur Gutes", sagte ich und blickte gespielt streng in dessen Richtung. Ausdruckslos beobachtete dieser das Mienenspiel seiner Mutter. Ein Lachen erhellte ihre strengen Züge. Ein paar dunkle Strähnen fielen ihr ins Gesicht, welche sie sofort zurückstrich.

„Ich sehe schon, mit dir könnte ich mich durchaus gut verstehen", erwiderte sie, was Shikamaru mit einem genervten Schnauben quittierte. Sofort huschte das Augenmerk seiner Mutter zu ihm und er stand wieder im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Das schien dem Dunkelhaarigen gar nicht zu behagen.

„Shikamaru. Steh nicht so dumm rum. Entweder du hilfst oder unterhältst dich mich uns."

Angesprochener schnaubte.

„Frauengespräche. Nein danke. Das brauch ich wirklich nicht."

UH. Das waren wohl eindeutig die falschen Worte gewesen. Denn mit einem Mal begann die Aura um seine Mutter um einiges dunkler zu werden. Sie richtete sich langsam, aber sicher auf. Ihre Schatten wurden länger und der Ausdruck ihrer Augen schärfer.

Shikaku, welcher mit einer Ladung Besteck aus der Küche kam, blieb wie erstarrt stehen, blickte zwischen Ehefrau und Sohn hin und her. Doch er schien nichts dagegen unternehmen zu wollen. Anscheinend hatte Shikamaru wirklich nicht übertrieben, als er sagte, dass seine Mutter im Haus das Sagen hatte. Wortwörtlich. Ihm würde ich nun alles glauben, was er mir über seine Erziehungsberechtigte erzählte. Wirklich alles.

Und mit einem Mal begann ich mich zu fragen, ob meine Mutter wohl auch so gewesen war. Dieses dominante. Oder eher einfühlsam und verständnisvoll. Vielleicht aber auch frech und neugierig. Ich wusste es nicht, konnte nur mutmaßen. Einzig Genma würde mir etwas über sie erzählen können. Immer mehr beschlich mich ein seltsames Gefühl, dass ich schon einmal gehabt hatte. Als Naruto im Reich der Wellen gewesen war. Ein beinahe schmerzhaftes Ziehen in meiner Magengegend. Und ich begriff, dass ich meine Mutter vermisste, obwohl ich sie nicht einmal kannte. Allein dieser Gedanke machte mich traurig. Zu gerne hätte ich sie kennengelernt. Aber dafür würde ich nun wohl noch eine Weile warten müssen.

Es gab Reis mit Rindfleisch. Dazu Salat und eine gute Soße. Es schmeckte wirklich herrlich. Lächelnd sah ich zu, wie Shikaku und Shikamaru sich übers Training unterhielten. Nachdenklich betrachtete ich den jungen Nara, bemerkte jedoch nicht, dass ich ebenfalls beobachtet wurde.

Schließlich riss mich Shikamarus Mutter aus den Gedanken.

„Sagt mal ihr zwei. Ihr braucht doch nicht so heimlich zu tun."

Verdattert sahen wir sie an. Was meinte sie damit. Wie heimlich? Wusste sie etwa über mich Bescheid? Nein, das konnte sie nicht. Eilig warf ich Shikamaru einen Blick zu, doch der schüttelte kaum merklich den Kopf. Seine Mutter hatte den stummen Austausch zwischen uns bemerkt und klatschte erfreut in die Hände.

„Ich wusste es. Ihr seid ein Paar. Warum habt ihr nur nichts gesagt?"

Mir kam fast das Essen wieder hoch.

Bitte was?!


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