Ins Schwarze

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Ryu musste mich mehr schieben, als dass ich selbst lief. Eine innere Unsicherheit hatte sich in mir breitgemacht, wie ich lange keine mehr gespürt hatte. Es grauste mich vor dieser Begegnung. Eigentlich war mein Plan gewesen, dem Suna-Nin so lange nicht mehr über den Weg zu laufen bis diese verdammten Gefühle verschwanden oder für jemand anderen empfunden wurden. Leider meinten es Kopf und Bauch wirklich nicht gut mit mir.

„Sag bloß deine sogenannte Sensei fürchtet sich vor unserem Kazekagen", spottete Ryus Vater.
Mir entrang sich abrupt ein genervtes Schnauben und ich beschloss mitzuspielen.

„Ist Ihnen schon einmal eine geballte Sandwand entgegengekommen. Und das in den Chuninprüfungen, wo jedes Mittel zum Sieg erlaubt ist. Ich denke, dann hätten Sie ähnlichen Respekt wie ich."

Zwar nicht wirklich die Wahrheit, aber eine kleine Ausrede aus dieser Misere.

„Ha. Dass ich nicht lache. Wenn das so stimmt, wie du das sagst, Mädchen...dann...nein...was für ein Unsinn."

Innerlich verdrehte ich die Augen. Wenn der gute Mann wüsste. Noch zu gut erinnerte ich mich an den Kampf. Damals bei den Prüfungen. Ich allein gegen die Sunas. Das mochte jetzt heroisch oder toll klingen. Aber für mich keine schöne Erinnerung. Allein der Gedanke an die Angst, die ich dabei und danach gefühlt hatte. Von Gaaras Sand erwischt zu werden oder Hinatas sich ausbreitende Vergiftung.

Gut, dass sich die Beziehungen zu Suna inzwischen gebessert hatten. Denn nach wie vor wollte ich niemanden von den Geschwistern zum Feind haben. Alle drei mochte ich inzwischen sehr. Wenngleich ich noch immer nicht sicher mit Temari war. Aber war das denn wichtig? Solange es keinen Zickenkrieg gab war doch alles im Lot.

Nervös taste ich nach der Maske, hielt mich dann jedoch selbst davon ab, mir den kühlen Schutz übers Gesicht zu ziehen. Seitlich würde sie mir auch eine gewisse Sicherheit geben.

Mit einem leise Quietschen öffnete Ryu die Türe zu Gaaras Büro. Natürlich nachdem er brav angeklopft hatte. Gut hatte ich ihn erzogen. Mein Blick schweifte interessiert durch das Zimmer. Und eigentlich hatte sich nicht viel verändert. Der Schreibtisch stand noch immer mittig mit all den ganzen Papierstapeln drauf. An der rechten Wand hingen Bilder der vorigen Kazekage, während sich an der linken ein breiter, halbhoher Schrank mit etlichen Ordnern befand.

Und direkt geradeaus saß der rothaarige Kazekage. Noch in eines der unzähligen Formulare vertieft. Konzentriert glitten seine türkisenen Augen darüber. Er ließ sich nicht ablenken, obwohl er längst wusste, dass wir uns im Raum befanden.

Im direkten Gegenteil dazu stand Tsunade. Mit ihrem immer unaufgeräumten Schreibtisch, der bei dem kleinsten Anzeichen von Stress schon um sein Leben bangen musste. Hinzu kam noch der Sake, den sie immer rechts von sich gestellt hatte. Zwei andere Flaschen bunkerte sie immer noch im Aktenschrank. Für die besonders schweren Tage...aber die überlebten nie so lange wie eigentlich vorgesehen.

„Raidon wie mir scheint ist es erneut zu einem Zwischenfall gekommen. Bitte erkläre dich", setzte Gaara im betont ruhigen Tonfall an. Sein Blick war gänzlich auf den Mann neben mir gerichtet...zum Glück. Je weniger Aufmerksamkeit, desto besser.

Ryu, der Idiot, kommentierte meine Unsicherheit mit einem schiefen Grinsen. Argh. Wie gern ich mich in diesem Moment unsichtbar machen und einfach verschwinden würde. Eigentlich war das überhaupt nicht meine Art, an soetwas nur zu denken. Aber diese Situation...bah ich hasste sie.

„Diese Göre hat mich davon abgehalten die Schrottsammlerin einzufangen. Noch dazu wollte ich anschließend zwei kleine Diebe entlarven. Das ging ihr dann anscheinend auch gegen den Strich und sie hat mich geschlagen. Ich muss doch sehr bitten. Die Jugend heutzutage ist unerhört respektlos", schnaubte Raidon.

Also so wirklich abgehalten hatte ich ihn nicht. Mich hatte nur der plötzliche Angriff überrascht. Geholfen hätte ich womöglich trotzdem nicht. Zumal ich zu wenig über sie Bescheid wusste, um wirklich von ihren bösen Absichten überzeugt zu sein, über die der alte Mann auf unserem Hinweg zunehmend gewettert hatte.

„Darf ich darauf hinweisen, dass ich mich ebenfalls in diesen Jugendjahren befinde und sie sogar ein wenig älter ist?", fragte Gaara in ruhigem Ton. Ich verkrampfte mich und biss auf die Lippe, um ein Auflachen zu unterdrücken.

Raidon wurde bleich wie der Tod. Spätestens jetzt hatte er seinen Fehler also erkannt. Also bei dem Gaara vor ein paar Jahren, würde sich bei ihm nun nichts mehr bewegen.

„Zusätzlich noch wissen die Shinobi Konohas eher nichts von der Schrottsammlerin. Wenn dann nur die ranghöchsten..."

„Aber das verstehe ich doch nicht...bei der Unfassbaren...", setzte der ältere Mann verwirrt an.

Als die alte Bezeichnung erklang zuckte ich innerlich zusammen. Also erinnerten sich doch noch ein paar Leute an die Diebin aus Konoha. Schon irgendwie interessant.

„Das war wegen den Händlern...oder vielmehr aufgrund eines einzelnen...aber das ist jetzt eigentlich nicht der Punkt", unterbrach Gaara sich selbst. Ganz leicht angespannt schien er zu sein. Bisher hatte sich der rothaarige noch nicht an mich gewandt.

„Vielmehr interessiert es mich, weshalb du die Kinder des Diebstahls bezichtigt hast..."

„Naja es war offensichtlich, dass es sich um Straßenkinder handelte. Zerrissene Kleidung, dreckig und diese unersättliche Gier nach mehr. Ich meine reichen denen nicht schon diese Hilfskisten, die wir eingeführt haben?"

Nun platzte mir aber endgültig der Kragen.

„Was glauben Sie denn warum die Kinder so Aussehen hm? Kein Zuhause, keine Eltern. Womöglich aber auch verstoßen, da diese daheim genügend hungrige Mäuler stopfen müssen. Sunagakure befindet sich in der Wüste. Hier gibt es nicht viele Ressourcen. Das Wasser ist knapp und somit kostbar. Da kommen dann natürlich nur diejenigen ran, die es sich leisten können. Und die anderen...müssen sehen wo sie bleiben...dieses System, das ihr da habt, ist so uns so sehr fraglich. Ich hoffe, dass da demnächst mal etwas dagegen unternommen wird", zischte ich.

„Was bildest du dir ein dummes Gör? Derart über unser Land und den Kazekagen zu reden. Man könnte meinen du wüsstest nicht, wie sich Erziehung anfühlt."

Ins Schwarze. Mitten in die Wunde. Aber so richtig. Aber er legte ja noch nach. Musste das Messer noch ein bisschen drehen bis es nicht mehr ging.

„Dein Vater hat seine Aufgaben ja regelrecht vernachlässigt."

„Meiner aber auch."

„Du hältst dich da raus Sohn. Mit dir habe ich daheim noch ein ernstes Wörtchen zu reden", drohte Raidon mit erhobenen Finger. Doch so richtig bekam ich das nicht mehr mit.

Alles drehte sich. Ich packte mich an den Kopf, drängte mit aller Kraft die Erinnerungen an meine "Erziehung" zurück. Trauer stieg in mir auf, ebenso wie das Chakra, das ich eigentlich kontrollieren sollte. Doch mit dieser Attacke hatte ich nicht gerechnet.

„Raidon. Das reicht. Raus mit euch beiden!", scharf durchschnitt Gaaras Stimme meinen psychischen Schmerz. „Wir reden ein andermal. Und deinen obersten Posten in der Stadtwache überdenke ich ebenfalls nochmals."

Angesprochenem entwich ein Laut des Protestes. Unglaublich, dass dieser Mann eine derart hohe Stelle innehatte. Kein Wunder, dass manche Teile der Stadt in so einem desaströsen Zustand waren. Von dem der Straßenkinder und Bettler ganz zu schweigen.

„Kazekage-sama. Ich verstehe nicht."

„Komm Vater, ich erklär's außen nochmal", wandte Ryu ein und versuchte seinen Erziehungsberechtigten mit zu zerren. Dessen verständnisloser Blick jedoch noch immer zwischen mir und dem Kazekagen hin und her irrte.

Teilweise konnte ich den Mann ja auch verstehen. Es war ganz und gar nicht normal, dass eine Jonin aus dem benachbarten Land derart vertraut mit dem anderen Kage umging. Vermutlich hätte ich mich nicht getraut Raidon derart anzugehen, wäre meine Beziehung zu Gaara eine andere gewesen. Wobei...was für eine Beziehung das zwischen uns war...wusste keiner so genau...

Nachdem die Tür überraschend leise zugefallen war, setzte sich Gaara wieder auf den Platz und bot mir den Stuhl vor dem Schreibtisch an. Wohl oder übel musste ich der Bitte folge leisten. Schlimmer konnte es ja nicht mehr kommen.

Raidons Aussage steckte mir noch immer in den Gliedern. Das schien auch mein Gegenüber zu spüren, denn der rothaarige Kazekage, stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab, schloss die Augen und für einen Moment herrschte Stille im Raum.

„Für dich ist es unmöglich auch nur eine einzelne Mission ohne Zwischenfall auszuführen, was Tora?", begann er schließlich und ich schnaubte.

„Ist auch nie beabsichtigt. Das kannst du mir ruhig glauben. Nur...was will ich machen...in der einen vom Vater verfolgt. Der nächsten von Akatsuki, dann ein paar Attentäter und jetzt habe ich nur helfen wollen."

„Und das ist auch keine Untat, Tora. Nur hättest du dennoch Raidon nicht schlagen sollen. Von einem Shinobi oder besonders Jonin wird erwartet, dass er seine Gefühle unter Kontrolle hat", wandte er ein.

„Das habe ich auch immer. Nur in dieser Situation sind mir die Nerven durchgebrannt. Jeder andere Shinobi wäre vermutlich ruhig geblieben, nur...", ich stockte, konnte es ihm nicht sagen. Wäre Gaara nicht der Kazekage und nur ein enger Freund...dann womöglich schon. Aber wenn er es erführe...das hieß nicht, dass ich ihm nicht vertraute. Im Gegenteil, das tat ich sehr. Womöglich auch aufgrund der vielen Gefühle, die er in mir auslöste. Aber es ging nicht.

„Nur...?", hakte er nach. Ich versteifte mich. Presste die Lippen aufeinander.

„...bin ich einfach zu...temperamentvoll..."

Im Grunde stimmte es auch. Genma hatte es mir einst gesagt, als wir vor Mutters Grab gestanden waren. Er mir von der Beziehung zwischen ihm und Shizune erzählt hatte und den Teil, den seine Schwester dazu beigetragen hatte. Temperamentvoller als die Mutter. Von wo ich das wohl hatte?

„Das stimmt wohl...aber das ist keine Ausrede", sagte er streng.

„Ich weiß. Was denkst du wie oft ich mir das denke. Aber da ist einfach so viel in meinem Kopf. Ich bekomm keine Pause. Alles passiert um mich herum. So viel ist mir genommen worden. Und es soll nicht noch mehr sein. Darum will ich mir auch keine Pause gönnen", brach es aus mir hervor.

Stille herrschte. Zugegeben war er die erste Person, mit der ich so wirklich über diese Art von Problem sprach. Es war einfach alles herausgebrochen. Unhaltbar. Irgendwann würde bei jedem dieser Zeitpunkt kommen. Und bei eben nun.

„Wie wäre es, wenn du mir nun das gibst, weshalb du den Weg auf dich genommen hast", wechselte der Kazekage äußerst ungeschickt das Thema. Natürlich, er wollte mich ablenken...aber irgendwie passte das nicht so...

Dennoch übergab ich dem Rothaarigen nach kurzem Zögern den Brief. Gezielt öffnete Gaara das Siegel und entfaltete das Schriftstück. Die türkisenen Augen flogen über den Text, zogen sich hin und wieder zusammen, wanderten zu mir. Fast schon, als wolle er vergewissern, dass ich nicht verduftete. Tse. Momentan war ich einfach dankbar für den Stuhl unter meinem Körper und die Lehne im Rücken.

Als mein Gegenüber seine Studie beendete und den Brief wieder in den Umschlag zurückschob, bewegte ich mich unruhig. Seine türkisenen Augen stachen in die meinen. Nachdenklich und leicht abwesend, ehe er schließlich leise seufzte und sich aus dem Stuhl erhob. Kurz einen Blick nach außen warf. Inzwischen hatte es schon begonnen zu dämmern. Bah...wie ich es hasste nachts zu reisen.

„Das kommt nicht infrage."

Irritiert wandte ich mich dem Rothaarigen zu, der nun direkt neben mir stand, auf mich hinabsah. Gerade noch so konnte ich die Hitze zurückdrängen, die drohte in mir aufzusteigen. Für soetwas war nun wirklich keine Zeit. Wenngleich ich zugeben musste, dass ich die Nähe sehr genoss, da sie doch so selten war.

„Zu diesen Zeiten ist es nicht gut in der Dunkelheit zu reisen. Vor allem nicht für dich. Du wirst hierbleiben, dich ausruhen bis dein Geist wieder zur Ruhe kommen kann."

Na, in deiner Nähe leider erst recht nicht, Gaara.

„Und da Temari und Kankuro zurzeit auf Mission sind, wirst du für diesen Zeitraum bei mir unterkommen."

Hatte ich vorhin nicht gesagt es konnte nicht furchtbarer werden? Schlimmer ging immer.

Die Unfassbare IWhere stories live. Discover now