~ 19.3 ~

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Obwohl unser Aufeinandertreffen erst wenige Stunden her war, fühlte es sich bereits an wie Äonen von Jahren, die verstrichen zu sein schienen.

Rasselnd zog ich die kühle Nachtluft ein, wie ein kaltes Tuch kleidete der schneidende Wind abermals meine nur noch zum Teil funktionalen Lungenflügel aus.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt ich mir den Brustkorb: Es war nicht das erste Mal, dass ich einen traumabedingten Pneumothorax erlitt; wenn die Begleiterscheinungen meiner Verletzungen sonst drohten aus dem Ruder zu laufen, führten meine Eltern oder ein anwesender Arzt in der Regel die lebensrettenden Maßnahmen, wie etwa das Legen einer Pleuradrainage, ohne Betäubung, meist selbst durch.

Das medizinische Wissen wurde innerhalb der Sekte weitergegeben, um unangenehmen Fragen etwa in der Notaufnahme aus dem Weg zu gehen; dieses Mal jedoch würde ich mich nicht mehr wehren, wenn der letzte Schleier sich erlösend über meine Glieder legen und der brennende Schmerz durch die dauerhafte Sauerstoffunterversorgung meines Blutes erlösend abebben würde, wenn die Dunkelheit Besitz von mir ergriff.

Dieses Mal würde ich mich nicht mehr an das Leben, welches mir schlicht nichts mehr zu bieten hat, wahrscheinlich sogar niemals gehabt hatte, klammern.

Ich würde mich einfach treiben lassen.

Doch als aller Erstes würde ich mich nun ins Seouler Nachtleben stürzen.

Trotz der Kurzatmigkeit und dem stechenden Schmerz in meinem Brustkorb war ich noch nicht tot umgefallen, was darauf hindeutete, dass die Rippe, die wahrscheinlich an- oder gar gänzlich gebrochen war und schmerzhaft mein Lungenfell punktierte, nur winzigste Verletzungen angerichtet hatte, wodurch es mir etwas Zeit verschaffte, da sich bisher nur geringe Luftmengen im Pleuraspalt befinden müssten.

Eine Behandlung würde mir nur unnötig Zeit stehlen und wäre schlicht vergebene Liebesmüh, da ich mein Leben ohnehin kurz davor war zu enden.

Mit einer schnellen Bewegung zurrte ich meinen dunklen Mantel enger um meinen ausgelaugten Körper, ehe ich die Tür zu der Bar anstieß, die sich vor geraumer Zeit bereits zu meiner Stammkneipe und Zufluchtsort gemausert hatte, wenn die Stimmen mal wieder ohrenbetäubend laut wurden.

Die stickige Luft schlug mir unmittelbar, als die schwere Holztür quietschend hinter mir zu schwang, entgegen, wodurch mich ein hartnäckiger Husten schüttelte.

Schmerzhaft räusperte ich mich, ehe ich mich auch schon auf einen der ausgeblichenen, speckigen Barhocker an der Theke setzte und mir mit einer kraftlosen Handbewegung bei dem älteren, kahlköpfigen Kellner meinen ersten Doppelten bestellte.

Die Bedienungen kannten mich hier bereits, doch sie stellten keine Fragen.

Wahrscheinlich sahen sie in mir nicht mehr als einen der typischen zwielichtigen Kerle, die solche Etablissements auf der Suche einer schnellen Nummer betraten; im Prinzip war ich, sobald ich über diese Türschwelle trat, auch nicht mehr.

Suchend ließ ich meinen Blick durch die heruntergekommene Kneipe schweifen. Die dunkelgehaltenen Wände waren über und über mit den verschiedensten, eingerahmten Postern und Schildern behangen, große, kleine, schmale, verrostete und nigelnagelneue, fast wie poliert, bedrängten einen mit, in die dünne Legierung eingeprägten, Abbildungen von Autos, Bier und oberkörperfreien Männern.

Glänzend reflektierten diese Reliquien ihrer Zeit das schummerige Licht der wenigen runden Lampenschirme, die an der dunkel vertäfelten Decke angebracht waren und trugen, zusammen mit den speckigen roten Polstern der alten Sitzbänke, die in regelmäßigen Abständen im Innenraum um mit kitschigen Platzdecken überzogenen, schmalen Tische, still ihren Teil zum nostalgischen Charme der Bar bei.

DAS LACHEN DER TRAUERWEIDEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt