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Jeongguk PoV

Ein leises Schluchzen ließ mich jäh zusammenfahren, panisch schlug ich die Augen auf, welche aufgrund der verkrusteten Lider unmittelbar stark zu brennen begannen.

Scharf sog ich die Luft ein, sobald ein unglaublicher Schmerz durch meinen Körper fuhr bei dem Versuch, meine geschundenen Glieder zu strecken.

Leise hörte ich das Zirpen der Vögel in den Baumkronen zu mir herunterdringen sowie das Knacken der vertrockneten Äste und Zweige, während ich mich schmerzlich erhob.

Irgendetwas stimmte nicht.

Beinahe automatisch fasste ich mir mit einer Hand an die nackte Brust, geschockt schaute ich an mir herunter, als ich die dicke, bröckelnde Kruste ertastete, ehe mir auch schon das bereits getrocknete Blut, welches im Sonnenlicht schwach schimmerte, ins Auge fiel.

Mühsam hob ich den Blick, während meine Hände schon beinahe wie von selbst nach meinem mittlerweile abgegriffenen, schwarzen Notizbuch suchten, doch die ausgebeulten Taschen meines schweren Mantels waren bis auf ein paar winzige Fussel und Krümel vollkommen leer.

Ohne auch nur eine Möglichkeit es abzuwenden, wurde ich von einem überraschten Hustenanfall geschüttelt, der mich würgen ließ und den bereits getrockneten Blutschlieren auf meinem zitternden Handrücken neue frische Spritzer des hellroten Lebenssaftes hinzufügte.

Scheinbar blieb mir nun doch weniger Zeit als zu Beginn angenommen, dachte ich mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen.

Rasselnd atmete ich abermals die kalte Waldluft um mich herum ein, währenddessen ertastete ich bereits die feine Erhebung an meinem Brustkorb.

Es gab sicherlich schönere Wege zu sterben; für so etwas wie mich jedoch schien dies genau richtig zu sein.

Unsicher stützte ich mich weiterhin an der feuchten Rinde ab, ehe ich auch schon meine schmerzenden Glieder zum Weitergehen zwang.

Die Gedanken in meinem Kopf ließen mir indes keine Ruhe, immer weiter schienen sie auch die letzten mir verbleibenden Stunden auf dieser Erde so unerträglich wie möglich machen zu wollen.

Verzweifelt kniff ich die Augen zusammen, als mir sogleich wieder das makellose Gesicht des Silberhaarigen in meinem Geiste erschien.

Aufdringlich stieg mir der Geruch von Regen auf trockener Erde in die Nase, als ich meine vom Waldboden verdreckten Handinnenflächen achtlos an meinem bereits schmutzigen Mantel abwischte.
Einige der der abgebrochenen Zweige und vertrockneten Blätter fielen tonlos herab.

Petrichor, schoss es mir zusammenhangslos durch den Kopf, während ich den Tremor, der meine Pupillen peinigte, versuchte, unter Kontrolle zu bekommen, doch die unkontrollierten Muskelzuckungen nahmen immer weiter zu, zusammen mit dem quälenden Bild Taehyungs in meinem Schädel sowie der vor mir erbebenden Außenwelt stapfte ich blindlings voran, ehe mich erneut der körperlose Schwindel erfasste und unbarmherzig in die Knie zwang.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt ich mir die mittlerweile stark pochende Brust, die schwarzen Haare klebten glänzend an meiner erhitzten Stirn, unwirsch strich ich sie mir aus meinem verschwommenen Blickfeld, als ich erneut ein gedämpftes Schluchzen vernahm, da erblickte ich ihn: keine fünf Meter entfernt sah ich den bebenden Körper des Silberhaarigen, sein Gesicht meinen Blicken verborgen, hatte er mit seinen Händen fast gänzlich verdeckt, unregelmäßig stieß der Ältere ein herzzerreißendes Wimmern aus, welches meine Brust auf eine weitere, um einiges schlimmere, Art und Weise brennen ließ.

Nein, nein, murmelte ich, meine Augen indes nicht von dem verzweifelten Jungen vor mir abwendend. Das kann nicht sein, das darf nicht sein.

Völlig von Sinnen begann ich meinen schmerzenden Kopf hin- und herzuwerfen.

Ich habe doch alles getan. Ich habe ihn doch beschützt. Warum weint er denn jetzt? Was habe ich schon wieder falsch gemacht?

Gnadenlos streckten mich die Fragen, die sich quälend durch mein Unterbewusstsein frassen, gleich einem Tornado, der alles um sich herum in Schutt und Asche zu legen vermochte, nieder und ließen meinen bereits erschwerten Atem sich noch um einiges beschleunigen.

Was habe ich nur getan? Ich muss ihn trösten, ich muss- STOPP!, ermahnte mich eine weitere Stimme, die in meinem Gedankenkäfig unablässig von den Innenwänden meiner Schädeldecke widerhallte. Du bist überhaupt erst der Grund für seine Misere. Willst du es wirklich noch schlimmer machen, als du es bereits getan hast?

Durch einen dichten Tränenschleier blickte ich flachatmend sehnsüchtig hinüber zu dem Älteren. Was hast du nur getan?, skandierten die Stimmen immer lauter, verzweifelt presste ich meine blutverkrusteten Hände an meine dröhnenden Schläfen, leise knackend riss der dicke Grind ein, als ich gewaltsam meine Finger zu Fäusten ballte, doch das tückische Säuseln schien sich lediglich weiter hochzuschaukeln.

Vielleicht bildest du ihn dir auch nur ein?, flötete eine weitere Stimme. Vorsichtig öffnete ich meine schmerzenden Augenlider.

Ein letztes Aufbäumen meines schlechten Gewissens, bevor mein Körper sich endgültig von dieser Welt verabschiedete?
Das klang nach mir.

Als könnte ich den Älteren alleine durch mein durchdringendes Starren beruhigen, schielte ich weiter unablässig zu ihm hinüber; trotz meines flirrenden Blickfelds, welches sich konstant verkleinerte, konnte ich seinen hellen Haarschopf wunderschön im Licht der wenigen Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die engstehenden Baumkronen bahnten, glänzen sehen.

Wie konnte ich nur- Plötzlich hallte ein lautes Knacken über die kleine Lichtung, fluchend schaute ich an meinem zitternden Körper herunter und erblickte sogleich den morschen Ast, der dem Gewicht meines Fußes wohl nicht mehr länger standhalten konnte, als ich mich versucht hatte, vorsichtig zu erheben.

Blitzschnell wandte ich meinen Blick wieder auf Taehyung, der abrupt seinen Kopf gehoben hatte und zu mir herüber stierte.

Ich konnte nicht genau sagen, ob es der Ausdruck in seinen Augen, sein gerötetes aufgedunsenes Gesicht oder die glitzernden Tränenbahnen, die beinahe theatralisch die vereinzelten Sonnenstrahlen brachen, gewesen war, welches meinen Geist nun vollkommen zum Ausrasten brachte.

Stumm spürte ich die heißen Tränen über meine Wangen laufen und sich mit dem frischen Blut aus meinen unzähligen Wunden vermischen. Mein Körper indes befand sich in einer Art Schockstarre.

Alles in mir schrie, sich dem Älteren zu nähern, ihn fest in meine Arme zu schließen, an meine Brust zu drücken und alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den Kleineren wieder zum Lächeln zu bringen.

Doch das durfte ich nicht.
Ich war der Grund für seine Trauer.
Ich war Schuld.

Zwar hatte noch keiner von uns das Wort erhoben, jedoch wusste ich es einfach. Es funkelte mir aus seinen tränenbenetzten Augen förmlich entgegen. All der Schmerz, all das Leid vermischt mit einer unbändigen Furcht.

Natürlich hatte er Angst vor mir.
Wie könnte er das auch nicht haben, nach alledem, was ich bereits getan hatte.

Beinahe wie in Zeitlupe erhob sich Taehyung und wirbelte meine, sich ohnehin schon auf Abwegen befindlichen, Gedankengänge auf ein Neues komplett durcheinander.

Als würde mich jemand mit Eiswasser bespritzen, zuckte ich bei jeder weiteren Bewegung, die der Kleinere tat, um sich mir zu nähern, heftig zusammen.

Mein Körper gehorchte mir nicht mehr, schwerfällig holte ich einmal tief Luft und krallte meine Finger noch etwas tiefer in die feuchte Rinde der Tanne, die mir den letzten Halt spendete.

Es fühlte sich an, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegziehen. Langsam und quälend, jedoch stetig zerrte diese unsichtbare Macht an dem kühlen, knackenden Waldboden unter meinen Schuhen, erneut verschwamm meine Sicht durch die vielen Tränen, die unablässig meine Wangen hinunterströmten.

Das war alles nicht richtig.

Wie konnte ich es mir anmaßen, Trauer zu zeigen, wo ich es doch war, der diese Trauer überhaupt erst über andere brachte?

DAS LACHEN DER TRAUERWEIDEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt