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Mit einem blechernen Krachen knallte die rostige Tür, welche lediglich noch mit einem Scharnier in ihren, bei jeder weiteren Bewegung quietschenden, Angeln hing gegen die massive Steinwand im Inneren der gedrungenen Kneipe.

Gehetzt waren die Schritte der Person, die mich über die hölzerne Schwelle trug.

Schwach knarzten die ausgetretenen Bodendielen unter jedem weiteren Schritt, der auf ihnen getan wurde, heute jedoch schwang in ihrem feinen Knatschen ein beinahe überreizter Unterton, als man mich unter leisem Fluchen durch den stickigen Raum trug; meine Lider waren nicht mehr als halb geöffnet, krampfhaft versuchte ich mich bei Bewusstsein zu halten, während ich dem Mann mit dem schütteren Haar in sein von Falten durchzogenes Gesicht schaute, doch es verschwamm vor meinen Augen.

Er wirkte angespannt, tonlos schien er einige Sachen vor sich hin zu murmeln, ob er gerade mit mir zu sprechen versuchte oder mit sich selbst, vermochte ich nicht feststellen zu können, da ich meine Umgebung seit geraumer Zeit nur noch vernahm, als hätte mir jemand Watte in die Gehörgänge gestopft.

Angestrengt zog ich die Augenbrauen zusammen, als ich mich daran zu erinnern probierte, wie ich überhaupt hergekommen war.

Schlagartig wurde ich von einem grellen Lichtstrahl geblendet, weiterhin drang jedoch nichts außer leises Rauschen an meine Ohren, beinahe als hätte jemand analog den Sender bei einem alten UKW-Radio verstellt.

»Sieht nach einem traumabedingten Pneumothorax aus«, hörte ich eine durchdringend tiefe Stimme sagen. »Zyanose ist bereits fortgeschritten, augenscheinliche venöse Einflussstauung sowie tastbares Hautemphysem, wahrscheinlich freie Flüssigkeit im Pleuraspalt.« Eiskalt spürte ich zunächst einen schmerzhaften Druck auf meiner Brust, ehe ich ein schwaches Klopfen vernahm. »Perkussion zeigt hypersonorischen Klopfschall, ein geschlossener Spannungspneumothorax durch eine gebrochene Rippe, die das Lungen- oder Brustfell perforiert hat, ist wahrscheinlich.« Routiniert und gefasst klangen die Worte, die als einziges Geräusch den Raum erfüllten, das Gesicht des Mannes hingegen wies keine Anzeichen von Gelassenheit auf. »Ein umgehendes Handeln ist erforderlich, um das respiratorische System aufrecht zu erhalten.«

»Bist du dir sicher, dass wir das-« Es war die Stimme einer Frau, hell und klar, jedoch lag deutliche Verunsicherung in ihrem Klang. Jäh wurde sie von der tiefen Männerstimme unterbrochen.

»Wir haben keine Wahl«, entgegnete er und seine Worte ließen keine Widerrede zu. »Ich brauche eine Flexüle, sowie ein volles TD-Set zur Anlage einer TD nach Bülau, Drainage 28-32 Charr«, wies er an. Sogleich entfernten sich Schritte, bis ich eine Tür ins Schloss fallen hörte.

»Das kann so nicht weitergehen, Jeongguk«, murmelte der Mann seufzend, seine Gestalt war unmittelbar über mich gebeugt, durch das grelle Licht, welches unbarmherzig auf mich hinabstrahlte, war es mir jedoch nicht möglich mehr als den scharfkantigen Schattenumriss der Person zu erkennen. »Keine Sorge, wir werden uns um den Jungen kümmern«, flüsterte die Stimme weiter, wodurch mein Herz einen deutlichen Sprung tat.

Redete er von Taehyung?

Krampfhaft versuchte ich meinen Blick zu fokussieren und etwas zu erwidern, doch meine Glieder fühlten sich an wie betäubt.

Unregelmäßig atmete ich flach, erneut schien ich kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, mein gesamtes Denken drehte sich jedoch mit einem Schlag nur noch um den Silberhaarigen.

Schnell entfernte sich die Gestalt aus dem Schein des hellen Lichts, wodurch ich abermalig gänzlich erblindete.

»Das solltest du dir lieber nicht ansehen«, hörte ich die gesenkte Stimme des scheinbaren Arztes eindringlich sagen.

Schwach vernahm ich unmittelbar darauf ein leises Aufschluchzen, welches mich dazu veranlasste, meinen Kopf schmerzhaft mit letzter Kraft zur Seite zudrehen: Taehyung stand, halb zusammengefallen, sich an den Türrahmen klammernd, einige Meter von mir entfernt, der Mantel offen, zerknautscht schaute das dunkelrote Hemd, welches er vor einigen Tagen in Seoul getragen hatte, unter dem schwarzen Pullover, den ich ihm am morgen danach gegen hatte, hervor.

War er seitdem nicht mehr zuhause gewesen?
Wie lange hatte er wohl nicht mehr geschlafen?

Schuldgefühle übermannten mich, als ich den Jungen dort so kraftlos und ausgelaugt hängen sah.

Es war alles meine Schuld.

»Aber, kann ich nicht-«, krächzend brach seine Stimme ganz.

»Nein«, entgegnete der Mann. »Hier muss gleich alles vollkommen steril sein, um ein Infektionsrisiko der Inzisionsstelle so gering wie möglich zu halten. Ich mache das nicht zum ersten Mal, dennoch birgt so eine prähospitale Versorgung immer ihre Tücken.«

»P-prähospital? Also bringen Sie ihn gleich noch ins Krankenhaus?« Aufkeimende Hoffnung meinte ich seiner Stimme entnehmen zu können.

»Nein«, entgegnete der Mann lediglich. »Und nochmal: Nenn mich doch bitte einfach abeoji. Der Freund von Jeongguk gehört für uns selbstverständlich zur Familie.« Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

»S-sung«, versuchte mein Mund tonlos den Namen des alten Kneipenbesitzers zu formen, doch ihm entwich nichts außer Luft.

Es rührte mich, dass auch er sich nach all den Jahren noch als eine Art Vater für mich sah.

Automatisch entspannte sich mein Körper ein wenig, sobald mir bewusst wurde, dass ich mich um Taehyung vorerst nicht weiter zu sorgen brauchte.

Trotz der anhaltenden Punkte, die ungehalten durch mein ohnehin schon verschwommenes Blickfeld tanzten, versuchte ich weiter, den Älteren anzusehen.

Mein Herz wurde schwer bei seinem desaströsen Anblick gehüllt in meinen schweren, übergroßen Mantel, an dessen Saum er nervös mit seinen Fingern zu spielen schien.

Ich hatte beabsichtigt, dass er etwas von mir besaß, welches in seinem Glanz erstrahlte, wenn es schon nicht ich sein konnte. Etwas, dass ihn beschützte, wenn es schon nicht ich tun konnte.

Das hatte mir zu Zeiten ein beruhigendes Gefühl gegeben.

Doch wenn ich ihn jetzt so betrachtete, erkannte ich, wie sträflich falsch ich damit gelegen hatte.
Ich hatte ihn weder selbst beschützen können, noch hatte mein symbolischer Mantel dies geschafft.

Eher schien es, wie er gerade dort so kraftlos im Türrahmen stand, als würde der Mantel tonnenschwer auf seinen Schultern wiegen, als wäre die Last, die auf seinen Gliedern ruhte, erst mit dem Kleidungsstück gekommen.
Erst mit mir.

Ruckartig richtete ich meinen Blick abrupt nach vorn, als mir der beißende Geruch von Iod in die Nase stieg.

Ich vernahm schwach das Rascheln von Plastik und das Klirren von Metall, ehe die helle Stimme erneut den Raum erfüllte, von der ich nun Grund zur Annahme hatte, dass diese von Ji-Woo stammte. »Nun geh schon, Junge. Du stehst hier nur im Weg«, richtete sie harsch, jedoch trotzdem einfühlsam wahrscheinlich das Wort an den Älteren, der immer noch auf der Türschwelle lauerte. »Es wird schon alles gutgehen«, fügte sie noch hinzu.

»D-danke«, ertönte die brüchige Stimme des Silberhaarigen. »Ich- ich meine wir- w-wir wussten nicht wohin und-«

»Kein Wort mehr«, fiel sie ihm abwinkend ins Wort. »Und nun ab mit dir, du kannst dich unten etwas ausruhen.«

Zuckend erschrak ich, als ich erneut die kühlen Fingerkuppen auf meiner Brust bemerkte. »Das wird jetzt etwas wehtun, Jeongguk.« Sung hatte sich unmittelbar neben meinem Gesicht aufgebaut, geschult winkelte er meinen Arm leicht ab, während der die bräunliche Tinktur auf meiner Haut verteilte. »Das Lokalanästhetikum wird schnell anschlagen«, murmelte er leise. Schwach raschelnd sah ich das blaue Abdecktuch, welches Ji-Woo sorgfältig mit ihren behandschuhten Fingern über meinem Brustkorb glattstrich. »Aber wir machen das ja nicht zum ersten Mal«, fügte Sung noch hinzu, ehe ich auch schon die spitze Kanüle meine Hautschichten durchdringen spürte, gefolgt von dem kribbelnd, unangenehmen Gefühl, sobald sich das Betäubungsmittel quälend langsam zirkulär um die Einstichstelle auszubreiten begann.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 25, 2019 ⏰

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