~ 20.7 ~

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Ein lautes Hupen fuhr durch die unüberschaubaren Blechmassen, die sich dicht an dicht auf den hoffnungslos überfüllten Straßen der Metropole quetschten, als ich, meinen Blick starr auf das kleine Telefon, welches ich mit beiden Händen fest umklammert hielt, gerichtet, mich achtlos zwischen den Autos, die den Highway verstopften, hindurchschlängelte.

Auf dem winzigen Display flimmerte matt ein grober Stadtplan der umliegenden Bezirke Seouls. Das Gespräch mit Yoongi hatte mir die Augen geöffnet, wenn Jeongguk zu irgendwem in seiner Not gehen würde, zu Leuten, die er selbst als Familie ansah, dann doch wohl zu den Parks. Das hatte ich zumindest angenommen.

Überstürzt war ich also aufgebrochen, hatte mir ein Ticket gekauft, und hatte den nächsten Zug direkt in die große Stadt genommen in der verzweifelten Hoffnung, diesmal der richtigen Spur zu folgen.

Die ganze Fahrt über war ich mir sicher gewesen, Jeongguk hier anzutreffen.

Zwar war mein Gehirn immer noch gänzlich überfordert damit, die neuen, vielen Informationen entsprechend zu kategorisieren und einzuschätzen, jedoch hatte mich der stille Glauben, dass der Jüngere wohl und munter bei Sung und Ji-Woo untergekommen war, gerade so bei Verstand gehalten.

Doch ich hatte mich getäuscht.

Völlig aufgelöst hatte ich, den Tränen nahe, an der morschen Eingangstür der Bar über den Wolken gehämmert, währenddessen bereits vorfreudig immer wieder den Namen des Jüngeren gerufen, nur damit nach einer kleinen Ewigkeit das Schloss langsam entriegelt wurde und zwei völlig verdutzte Augenpaare mich verwirrt anblickt und gefragt hatten, was ich denn hier wollen würde.

Allein die Erinnerung an den Blick, den die Beiden nach Darlegung meiner Geschichte erst sich gegenseitig und daraufhin mir zugeworfen hatten, ließ mein Herz sich schmerzhaft zusammenziehen.

Sie waren sehr wortkarg gewesen und mehr darauf bedacht, mich zu trösten, als mir bei der Suche zu helfen.

Warum verstand denn niemand, dass ich nicht derjenige war, der so dringend Hilfe benötigte?

Warum endete denn wirklich jede meiner Bemühungen, den Jüngeren zu finden, in einer Sackgasse, das war doch zum Verrückt werden.

Mit gemischten Gefühlen hatte ich die Parks dann auch schnell wieder verlassen. Ich war am Ende meiner Kräfte und wenn außer den bedeutungsschwangeren Blicken, die sie sich immer wieder zugeworfen hatten, nichts aus ihnen herauszubekommen war, musste ich eben alleine weitersuchen.

Doch wo sollte ich anfangen?

Verzweifelt strich ich mir die strähnigen Haare aus der Stirn, die der kühle Wind immer wieder eifrig durcheinanderwirbelte, währenddessen galt sämtliche Aufmerksamkeit der kleinen Karte vor mir; angestrengt betrachtete ich die karikierten Stadtviertel, als würde ich hoffen, sie würden, unter genügend Druck von meiner Seite, mir freiwillig den Standort des Schwarzhaarigen preisgeben.

Dabei konnte ich nicht einmal sicher sein, dass dieser sich überhaupt in Seoul befand.

Verärgert zischend, pöbelte mich plötzlich eine scheinbar ausländische Passantin an, mit der ich mit voller Wucht zusammenstieß, jedoch schenkte ich ihr keinerlei Beachtung, als sie mir noch einige unschöne Worte auf englisch hinterherrief; nichtmal eine Sekunde hob ich den Blick, so vertieft war ich in meine schier aussichtslosen Suche.

Als hätte jemand mit einer Fernbedienung sämtliche Umgebungsgeräusche ausgeschaltet, rauschte die Umgebung, die Menschen und alles andere tonlos wie gehaltlos an mir vorbei.

Mein völlig übernächtigtes Gehirn hatte sich mittlerweile derart in der Suche verbissen, dass es keine Pausen, keine Rast und kein Ruhen mehr zuließ. Klanglos wurde ich eins mit der anonymen Masse, die unablässig die riesige Einkaufsmeile entlang strömte, ein nicht abreißend wollender Strom aus Menschen, die hektisch durcheinander liefen, alle mit einem festem Ziel im Kopf, einem Plan, einem Sinn ihres Weges, immer noch alle außer mir; ich war vollkommen allein ohne auch nur einen Anhaltspunkt, wo der Jüngere aufzufinden sei.

Ruckartig hob ich meinen steifen Nacken und schaute mich um; die Menschen, die mich umgaben, schienen immer näher zu kommen, hilfesuchend wand ich meinen Kopf, doch ich sah keinen Ausweg aus dem tosenden Chaos, welches mich zur Gänze geschluckt hatte.

Unruhig begann ich mich harsch durch die Masse zu kämpfen, doch egal in welche Richtung ich blickte, traf ich auf mehr Haarschöpfe, mehr Leiber und mehr Gesichter, die mich mit ihren fragenden Blicken weiter in die Ecke drängen zu schienen.

Immer ungehaltener fuhr ich mittlerweile die Ellenbogen aus, mein Herzschlag beschleunigte sich wie auf Knopfdruck, ich musste hier raus. Weg von den Menschen, weg von dem Treiben.

Sobald ich mich mit zunehmender Panik durch eine Gruppe Touristen gequetscht hatte, sah ich einige Meter von mir entfernt eine lichte Stelle in dem sonst durchgängigen Strom Körper.

Schnell hetzte ich in entsprechende Richtung und schlüpfte auch sogleich durch den sich mir bietenden Ausweg ins Freie.

Keuchend ging mein Atem, als ich mich kraftlos an den wackligen Stand eines Händlers, der für wenige Won frittiertes Hähnchen verkaufte, lehnte und die ersten Schweißperlen mit dem Ärmel meines übergroßen Hoodies von der Stirn wischte.

Da ich jedoch die bohrenden Blicke der ersten Schaulustigen nicht ertragen konnte, stieß ich mich schnell von besagtem Wagen ab und verschwand leise in einer der schmalen Seitenstraßen des Viertels.

Mein Herz pochte immer noch wie verrückt, als der schmutzige Pflasterstein sich in einen Weg aus abgeflachten, ausgetretenen Natursteinen, die Zwischenräume ausgefüllt mit buntem Kies, verwandelte und ich überrascht den Blick hob, um meine Umgebung zu betrachten.

Eine Welle der Geborgenheit durchströmte meinen Körper. Wie von selbst beschleunigten meine Beine ihre Schritte durch den verlassenen Yeontral-Park, lediglich einige vereinzelte Pärchen kamen mir händchenhaltend entgegen, doch ich beachtete sie gar nicht. Blind steuerte ich den Ort an, an dem ich hoffte, zumindest für einen kurzen Moment wieder durchatmen zu können.

Das vertrocknete Laub in Kombination mit den abgebrochenen Ästen auf dem unebenen Boden knirschten leise unter meinen Füßen, als ich das kleine Waldstück betrat.

Achtlos drang ich weiter ins Unterholz vor, bis ich mich schließlich mit einem tiefen Seufzer auf der morschen, mit Moos überzogenen Bank niederließ.

Einige wenige Sonnenstrahlen drangen spärlich durch die kahlen Kronen der Bäume, die mich beinahe schützend umgaben, allmählich beruhigte sich auch mein aufgeregtes Herz.

Erschöpft streckte ich die geschundenen Glieder von mir, den Kopf in den Nacken gelegt, schloss ich für einen Moment die Augen und lauschte dem Rauschen des Windes, der durch die blattlosen Äste der hohen Bäume fuhr, sowie dem fröhlichen Zwitschern der Vögel und genoss die schlichte Abwesenheit jeglicher von Menschen erzeugten Geräusche.

Stumm rannen einige salzige Tränen meine Wangen hinab, es dauerte nicht lang und mit einem Schlag hatte sich meine sture Entschlossenheit in bloße Trauer verwandelt, hoffnungslos ließ vergrub ich das Gesicht zwischen den Händen und begann bitterlich zu weinen.

Ich ließ alle aufgestauten Emotionen raus, jedoch ohne sie mich überwältigen zu lassen. Beinahe war es, als würde die Last auf meinen Schultern etwas leichter werden, alleine durch das Ablassen des, mir selbst auferlegten, Drucks.

Es entzog sich meiner Aufmerksamkeit, wie lange ich dort so saß, das Gesicht verborgen und Tränen der Verzweiflung weinte, doch meine leisen Schluchzer verstummten abrupt, als ich am Rande meines Bewusstseins ein gedämpftes Knacken vernahm, gefolgt von einem kaum hörbaren Zischen.

Zunächst hielt ich es nur für ein Kaninchen oder Fuchs, der durchs Unterholz schlich, als ich daraufhin jedoch meinen Kopf leicht hob und meine geschwollenen Augen auf die Quelle des Geräusches richtete, dachte ich im ersten Moment, ich würde halluzinieren:

DAS LACHEN DER TRAUERWEIDEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt