~ 20.4 ~

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Meine Schritte wurden automatisch langsamer, als das mittlerweile mehr als vertraute Freizeichen ertönte und das monotone Tuten an mein Ohr drang.

Beinahe wütend blinzelte ich vereinzelte, mir in die Augen steigende Tränen beiseite, als ich nach einigen Minuten frustriert den ausgehenden Anruf beendete.

Zumindest die Tatsache, dass er sein Handy nicht schon wieder gänzlich ausgeschaltet hatte, ließ mich etwas Hoffnung schöpfen.

Die kühle, morgendliche Winterluft blies unablässig durch die mittlerweile kahlen Baumkronen der riesigen alten Tannen, die beinahe wie ein dichter Schutzwall das Anwesen der Jeons umzingelten, leise drang das Rascheln des knorrigen Geästs an meine, vor Kälte schon kaum mehr Gefühl in ihnen innewohnenden, Ohren.

Wie auf Kommando stellte mein Körper sämtliche Bewegungen ein und mein Gehirn meldete sich nach langer Absenz auch mal wieder zu Wort.

Könnte ich es wagen, einfach so das Anwesen zu betreten?
Selbst wenn ja, was sollte ich schon groß anrichten können?

Im Prinzip hatte sich die Situation zu der noch vor einem Tag, als ich derart unüberlegt den Stein durch ihr Fenster geschmettert hatte, kaum verändert.

Und ich glaubte kaum, dass ich einen bloßen Faustkampf gegen seine Erzeuger tatsächlich gewinnen konnte, wenn nichtmal der starke Jeongguk es schaffte, sich gegen sie zu wehren, mal ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich im Generellen ein sehr friedliebender und pazifistisch veranlagter Mensch war.

Auf den Fußballen balancierend stand ich nun also grübelnd vor dem alten Gemäuer. Mein, noch vor wenigen Stunden, schier überwältigender Kampfgeist wurde schmerzlich niedergetrampelt von etwas rationaleren Gedankengängen.

Die Gefühle, die in meinem Körper Amok liefen, und die Gedanken, die in meinem Kopf herumgeisterten, schienen völlig konträre Ziele zu verfolgen, ich müsste allmählich mal einer strikteren Linie, einem durchdachteren Plan folgen, um nicht gänzlich nutzlos wie ein kopfloses Huhn durch dieses Kaff zu irren.

Frustriert presste ich etwas Luft zwischen den Zähnen hervor, sobald ich, wutentbrannt über meine sträfliche Unzulänglichkeit der Situation gegenüber, mich wieder umwandte und im Begriff war, gänzlich umzukehren, da blitzte am Rande meines Blickfelds durch die hohen Tannen, gleich einem letzten Hoffnungsschimmer, etwas Funkelndes auf und zog unmittelbar meine Aufmerksamkeit auf sich.

Im selben Moment kamen mir Jeongguks zu mir geäußerten Worte in den Sinn; der Ort, an den er sich zurückzog, bevor er die Trauerweide entdeckt hatte.

Wie von selbst schienen mich meine Schritte dorthin zutragen, schneller und schneller schob ich achtlos das kahle Geäst und die störrischen Sträucher, die verstreut den kühlen Waldboden schmückten, zur Seite, mein Augenmerk galt voll und ganz dem Ziel, welches ich erfasst hatte; imposant und, im Licht des beginnenden Tages angenehm schimmernd, erhob sich der alte Waggon verlassen vor mir auf der kleinen Lichtung, dessen Flora und Fauna sich mittlerweile fast gänzlich dem anbrechenden Winter gebeugt hatte.

Winzige Eiskristalle breiteten sich glitzernd auf den herzförmigen Blättern, die zu einer der dutzenden Schlingpflanzen, mit der das Metall seit geraumer Zeit bereits einen erbitterteren Kampf zu führen schien, aus; ihr ehemals sattes grün war einem matten braun gewichen, mühsam hielten die letzten Blätter der kämpferischen Pflanze dem Gewicht des sie umspannenden Eisnetzes stand.

Fasziniert trat ich einige Schritte näher heran. Die Aura dieses Ortes hatte sich trotz der gänzlich anderen Witterungsverhältnisse keinesfalls verändert.

Die knisternde Atmosphäre, der angehaltene Atem, der förmlich in der Luft zu hängen schien; mit einem mulmigen Gefühl im Bauch trat ich durch den verbeulten Türrahmen und tat einige erste Schritte auf dem morschen Untergrund.

DAS LACHEN DER TRAUERWEIDEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt