Kapitel 10

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Das grelle Licht blendet mich und ich versuche dieses kleine Problem schnellst möglich in den Griff zu bekommen. Meine Augen haben sich an die Helligkeit gewöhnt und ich sehe mich schnell um. Wasser. Hinter den Plattformen auf denen wir alle im Kreis stehen ist Wasser. Darüber bin ich gerade ziemlich glücklich, denn ich, aus Distrikt 4, kann natürlich schwimmen, doch andere Tribute nicht. Das beschafft mir einen verheerenden Vorteil gegenüber ihnen. Auch beim Training konnte man das Schwimmen nie üben, sodass man es sich hätte dort beibringen können. Vor den Plattformen in Richtung Füllhorn ist grüne Wiese. Ich erblicke einige Rucksäcke die um das Füllhorn herumliegen. Neben mir, ungefähr 10 Meter links und rechts, stehen zwei andere Tribute. Das Mädchen links von mir erkenne ich. Sie ist aus Daitrikt 2 und gehört zu den Karierros. Levi kann ich jedoch nirgends entdecken. Der Countdown läuft runter. ,,9,8,7.." Ich fixiere mich auf einen grünen Rucksack, der mir am nächsten ist, denn ich will ihn mir schnellst möglichst schnappen und dann bloß weg von dem Füllhorn. Ich muss definitv vermeiden ins Blutbad zu gelangen. ,,4,3,2,1." Ich renne los, schaue weder nach links noch nach rechts. Bin fixiert auf den Rucksack. Ich weiss, dass wenn ich schnell genug wieder von hier weg komme, mir das Blutbad am Füllhorn erspart bleibt. Meine Hand greift nach dem Rucksack und ich ändere die Richtung. Weg vom Füllhorn. Plötzlich trifft mich ein Messer am linken Arm und ich stolpere. Panisch drehe ich mich zu meinem Angreifer um und sehe, dass er noch mal wirft. Ich rolle mich zur Seite ab und weiche somit dem zweiten Messer aus. Schell stemme ich mich auf und renne los. Ich glaube, dass der Angreifer das Interesse an mir verloren hat, als ich mit einem Köpfer ins Wasser springe. Nach einigen Metern endet das Wasser und ich stehe vor einer relativ steilen Klippe. Eher einen Abgang. Das Füllhorn steht auf der Spitze eines Berges. Ich blicke zurück zum Blutbad. Einige tote Tributen liegen bereits am Boden. Einige machen sich noch am Füllhorn zu schaffen und das wären wohl hauptsächlich die Karierros. Der Rest steht entweder vor dem Wasser und überlegt, wie er nun das Wasser überqueren soll ohne jegliche Schwimmerfahrung, oder ist bereits verschwunden. Levi kann ich immer noch nicht entdecken. Ich laufe den Abhang hinab. Ich muss vorsichtig sein, damit ich den Halt nicht verliere. Vor mir erstreckt sich ein Nadelwald. Ich beschließe, dort erstmal Zuflucht zu finden, um den Inhalt meines Rucksackes zu erforschen. Am Ende des Hügels angekommen, sprinte ich sofort in den Wald voller Nadelbäume. Nach guten 200 Metern muss ich eine Pause einlegen und setze mich auf einen Baumstumpf. Ich nehme den Rucksack auf den Schoß und begutachte den Inhalt. Ein grauer Schlafsack,eine Packung Trockenfleisch, eine leider leere Wasserflasche und eine Stoffband zum Verbinden von Wunden, was mir ziemlich gelegen kommt, weil ich am Arm verletzt wurde. Meine Jacke hat durch das Messer auch einen großen Riss bekommen, doch das ist eher das leichtere Übel. Ich verbinde die offene Wunde vorsichtig mit dem Band. Es ist nicht so schlimm, doch etwas belastend. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich Rechtshänder bin. Ein Problem ist jedoch, dass ich keine einzige Waffe habe, um mich zu verteidigen.
Ich packe die Materialen wieder zurück in den Rucksack und durchforste erst einmal den Wald nach Süßwasser, denn das Wasser, durch welches ich vorhin schwimmen musste, war salzig.
Ich glaube, dass ich schon seit einer Stunde hier im Wald herumirre, ohne bis jetzt irgendwas gefunden zu haben außer Nadelbäumen. In diesem Augenblick stockt mein Atem. Ich höre ihn schreien. So voller Angst und Schmerz, dass mir das Blut in den Adern gefriert. Wie wild geworden renne ich tiefer in den Wald. Ich erkannte ganz klar die Stimme meines kleinen Bruders. ,,Was hat er in der Arena zu suchen?! Was ist ihm zugestoßen?!" Die Schreie werden immer und immer stärker. Ich höre ganz klar heraus, dass er in Not geraten ist. Ich rufe seinen Namen, doch es kommt immer die selbe Antwort: ,,Jane!? Jane, hilf mir!" Langsam mischen sich weitere Stimmen unter. Jacob, der in Not steckt. Meine Mutter, wie sie entsetzlich schreit. Doch ich sehe sie nicht. Warum kann ich sie nicht finden!? Die Rufe, Schreie, die leidenden Stimmen dringen immer mehr in meinen Kopf ein. Ich sehe nach oben in den Himmel und entdecke mehrere Vögel, die über meinem Kopf kreisen. Aus ihnen kommen die Laute. ,,Natürlich! Schnattertölpel!", denke ich mir. Obwohl mir klar ist, dass die Stimmen nur aus den Vögeln stammen, macht mich der Gedanke verrückt, dass meinen Liebsten all diese Laute einst entfahren sein müssen, denn Schnattertölpel kopieren und wiederholen das, was sie hören. Ich weiss nur noch eines: Ich muss hier sofort weg. Ich renne in Richtung Rand des Waldes und bin auch schon fast draußen, da krache ich an eine Scheibe. Ein Art unsichtbare Barriere. Ich bin hier gefangen. Es werden immer mehr und mehr Vögel und ich kann nichts dagegen tun, außer mich an die transparente Wand zu lehnen, mir die Ohren so fest wie möglich zu zuhalten und einfach nur zu schreien.
Ich weiss nicht ganz, wie lange ich schon in dieser Position verharre, doch als mir jemand auf die Schulter fasst, fahre ich wie verrückt herum. ,,Alles gut, ich will dir nichts tun. Jane, richtig? Mein Name ist  Claire.", sagt sie und reicht mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Ich sitze immer noch auf dem Boden, zitternd. Eigentlich sollte ich niemandem hier vertrauen, weil die Person mir jeder Zeit in den Rücken fallen könnte. ,,Ich war im Sektor neben dir. Hab dich gesehen, die ganze Zeit. Es waren Schnattertölpel, oder?", fragt sie. Ich nicke leicht. Ich komme mir gerade ziemlich schwach vor. Der Anblick wie ich auf dem Boden kauere und dabei zittere, muss darauf hindeuten, dass ich eine leichte Beute wäre. Ich gebe mir etwas Kraft und rappele mich selbst auf. Jetzt kann ich Claire besser erkennen. Sie ist größer als ich, hat blondes Haar zu einem Dutt zusammengesteckt und hat, wie ich auch, einen Rucksack auf. In ihrer rechten Hand hält sie einen Speer. Ich kann gut mit Speeren umgehen, wobei ein Dreizack trotzdem ideal wäre. ,,Ich brauche Verbündete und du scheinst niemanden zu haben.", sagt Claire und lächelt mich an. Das stimmt wohl. Levi habe ich aus den Augen verloren. Vielleicht ist eine Verbündete nicht schlecht. Ich kann sie auf der Suche nach Levi gebrauchen. ,,Also, schließen wir ein Bündnis?", erfragt sie. Wieder nicke ich bloß. Der Schock, den ich durch die Schnattertölpel erhalten habe, liegt mir noch schwer im Magen. ,,Ich würde sagen, dass wir jetzt erstmal diesen Teil des Waldes verlassen, besser noch den kompletten Nadelwald. Was meinst du?", will sie wissen. Mein Gehirn verhindert im Moment, dass ich mit Worten antworte, also nicke ich wieder. ,,Scheinst nicht sehr gesprächig zu sein, Jane.", meint Claire.
Sie wird schon noch sehen wie es läuft, wenn ich wieder das Sagen habe.

Die 90. Hungerspiele- Rückkehr eines OdairsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt