Kapitel 25 (Ende)

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Meine Beine fühlen sich relativ taub an. Das Adrenalin, welches durch meinen Körper floß, als wir um unser Leben rannten, hatte das Gefühl etwas vernachlässigt. Jetzt ist das Adrenalin fort und ich sprühe die Schmerzen.
Neoh rappelt sich gerade auf und hält mir seine Hand entgegen, damit ich ebenfalls aufstehen kann.
Ich nehme seine Hand und erhebe mich langsam. Nach kurzer Zeit finden meine Beide den Halt, sodass ich nicht sofort wieder umkippe. Neoh steht neben mir. Zusammen starren wir auf den brennenden Wald. Erst jetzt merke ich, dass Neoh immer noch meine Hand hält, seitdem er mir aufgeholfen hatte.
Einige Sekunden herrscht Ruhe. Das einzige was man hört, ist das Rascheln der Flammen, die die Bäume des Waldes verschlingen, und das schwere Atmen von uns beiden.
Hand in Hand stehen wir nun wie angewurzelt da und sehen, wie der Wald niederbrennt. Plötzlich holt Neoh Luft. Er will etwas sagen, doch auf einmal ist etwas anders.
Das Feuer. Es ist verschwunden. Ich wusste es. Ich wusste, dass es wieder nur eine Falle vom Kapitol und somit von Präsident Snow war.
,,Darf ich dich küssen?", fragt Neoh, ohne mich dabei anzusehen.
Ohne weitere Überlegungen antworte ich: ,,Warum nicht?"
Neoh dreht sich zu mir und berührt mit seiner Hand meine Wange. Er fängt an seine Lippen auf die meinen zu pressen. Anfangs ist es bloß ein harmloser Kuss gewesen, doch schnell wurde er verlangender. Ich weiß genau, wieso er das gefragt hat. Und zwar aus dem selben Grund, warum ich zugestimmt habe. Wir beide wollen wissen, ob das alles real ist. Ob wir der Wirklichkeit entsprechen. Ich weiß selbst, dass das wahrscheinlich nicht der richtige Weg ist, aber in diesem Moment, fühlt es sich richtig an.
Einige Sekunden später war es vorbei. Wir sitzen nebeneinander auf dem, von der Sonne leicht verbrannten, Gras. Erst jetzt spüre ich den gewaltigen Unterschied zwischen meinem früheren Ich und meinem jetzigen Ich. Früher wurden mir jetzt eine Milliarde Gedanken durch den Kopf gehen. Jetzt ist es bloß einer: Wieso konnte ich nicht schon eher draufgehen? Jetzt hänge ich in einem Zustand zwischen Leben und der unendlichen Leere. Wieso bin ich überhaupt noch hier? Wofür kämpfe ich?
,,Jane, wir sollten weiter.", meint Neoh plötzlich und reißt mich somit aus meinen Gedanken.
Nach ungefähr einer knappen halben Stunde Fußweg, kann ich bereits von weitem das fast komplett zerstörte Haus meiner Familie sehen.
Der Gedanke, dass ich meine Familie dort leblos auffinden könnte, fühlt sich so an, als hätte mir gerade jemand mit einem Dolch ins Herz gestochen und würde ihn immer weiter darin herumdrehen.
Ich beschleunige meine Schritte bis sich die Überreste meines Hauses vor mir erstrecken. Scherben, nasse Holzteile, vereinzelte Steine, aber keine Spur von menschlichen Leben. ,,Vielleicht hat das Kapitol sie auch vorher mitgenommen.", vermutet Neoh. Doch das glaube ich eher nicht. Ich will gerade auf die Trümmer zulaufen, um sicherzugehen, dass sie nicht hier sind, da ertönen plötzlich die Sirenen. Die nicht selten gehörten Sirenen der Friedenswächter. ,,Jane, wir müssen weg hier!", brüllt Neoh mir zu, doch am liebsten wäre es mir, wenn sie mich einfach nur erschießen würden. Ich hab aufgegeben und Neoh weiß das auch, denn er greift sofort nachdem er das realisierte nach meiner Hand und zieht mich aus den Resten meines Zuhauses. Er sprintet los und ich bin gezwungen mitzurennen, da ich Neoh von der Kraft her eindeutig unterlegen bin.
Da Neoh anscheinend keinen anderen Weg sah, rannte er kurz darauf hin auf den Wald zu.
Ohne mich dagegen zu wehren, lasse ich zu, dass er mich hinter sich herzieht. Im Zickzack durch die Bäume versucht Neoh die Verfolger abzuhängen, die uns meiner Meinung nach ab dem Anfang des Waldes nicht mehr nachlaufen.
Plötzlich zieht er mich am Arm zu Boden, sodass wir nun hinter einem umgefallenen Baumstamm kauern. Ich sitze mit dem Rücken zum Stamm, während Neoh über den Baum hinüber lunst und nach den Friedenswächtern Ausschau hält.
,,Sie verfolgen uns schon seit Beginn des Waldes nicht mehr.", sage ich schroff in ganz normaler Zimmerlautstärke. ,,Schhh!", zischt Neoh daraufhin nur. Genervt sehe ich von Neoh ab und starre tief in den Wald hinein. Keine zwitscherden Vögel, kein Wind. Nicht mal ein Rascheln der noch übrigen Blätter ist zu hören, als hätte jemand vergessen, den Schalter für die Geräusche im Wald wieder anzumachen.
,,Bist du bald mal fertig?", frage ich Neoh. Dieser sieht daraufhin nun endlich von der Richtung ab und sitzt nun ebenfalls mit dem Rücken zum Baumstamm.
,,Wäre ich nicht gewesen, dann wärst du jetzt in ihren Fängen und würdest in weniger als einer Stunde bereits im Kapitol gefoltert werden. Hättest dich ruhig mal bedanken können.", meint er und verschränkt die Arme vor der Brust, so wie es ein kleines Kind in dem Moment tun würde.
,,Hättest du mich nicht am Arm gepackt, hätte ich schon lange eine der herumliegenden Scherben aufgehoben, um mir damit einen Schnitt in die Kehle zu schneiden.", erwidere ich und Starre zu Boden.
Ich merke, wie Neoh's Blick auf mir haftet und er zum Reden ansetzen will. Plötzlich spüre ich bloß seine rauen Hände an meinen Wangen, die mich dazu zwingen, ihm in die Augen zu sehen.
,,Wieso sagst du so etwas?", fragt er stumpf. Ich zucke daraufhin nur mit den Schultern und versuche ihm nicht direkt in seine Augen zu starren.
,,Komm, lass' uns von hier verschwinden. Irgendwo hin, aber einfach nur weg.", sagt Neoh und nimmt seine Hände von meinem Gesicht. ,,Meinst du in die äußeren Distrikte? Da werden sie als erstes such-" ,,Nein, hinter die äußersten Distrikte. Weit dahinter. Und dort ein norm.. ein neues Leben beginnen.", erklärt Neoh voller Enthusiasmus.
,,Jane, wir beide sind durch die Hölle gegangen und das auf zwei völlig verschiedenen Arten. Denkst du nicht, dass wir es uns verdient haben, nun endlich in Frieden zu leben?"
Seine Worte dringen in meinen Kopf ein und versuchen einen klaren Gedanken zu fassen. Alles hinter sich zu lassen.. Ist das überhaupt eine Sache der Möglichkeit? Aber was haben wir noch zu verlieren?
Mit einem kurzen Nicken stimme ich Neoh's Vorschlag zu.

***Time Skip, anderthalb Jahre***

Die frische Meeresbriese weht mir um die Ohren und lassen meine braunen Haare im Wind tanzen. So fühlt sich Freiheit an, vermute ich zumindest.
Seit bereits über einem Jahr lebe ich zusammen mit Neoh am anderen Ende des Meeres von Distrikt 4.
Nachdem wir uns auf den Weg hinter die äußersten Distrikte machen wollten, fiel mir die Idee ein, einfach bis zum Ende des Meeres zu fahren, um auf der anderen Seite Zuflucht zu finden.
Und tatsächlich kamen wir nach ungefähr zwei Wochen auf einem kleinen Ruderboot auf der anderen Seite an. Wir errichteten uns unser eigenes kleines Zuhause dort.

Neoh und ich führen eine vielleicht etwas eigensinnige Beziehung, die sich wohl kaum vermeiden ließ, aber mittlerweile sehe ich ihn als wirklich als Partner.

Jeden Tag laufe ich hinunter zum Wasser und setze mich in trockenen Sand, wohin das Wasser nur ganz knapp zumeist nicht gelangen kann. Danach beginne ich ihre Namen mit meinem Zeigefinger in den Sand zu schreiben. All diejenigen, die ich habe sterben sehen und die, die wegen mir allein ihr Leben gelassen haben. Auch die, die womöglich sogar noch am Leben sind und ich sie einfach nur nicht vergessen will.
Claire, Theodor, Nick und Willow, die in der Arena an meiner Seite standen und mit mir zusammen kämpften.
Ja, sogar Lion und Juanita, die zwar gegen mich kämpften, aber ich sie dennoch nicht vergessen möchte, da sie doch auch nur überleben und nach Hause zurück wollten.
Dann sind da noch meine Eltern, Finnick und Annie Odair, und mein kleiner Bruder, Cole. Ihre Namen schreibe ich ebenfalls dazu, da ich mich wahrscheinlich nie vergewissern kann, ob sie noch leben oder nicht. Aber auch meinen besten Freund aus meiner Heimat, Jacob, darf ich auf keinen Fall vergessen. Sogar Lucious, Saphira und Enzo werden täglich in den Sand geschrieben, da sie mir trotzdem unglaublich viel bedeuten.
Und zum Schluss ist da noch Levi. Die erste Person, die ich auf diese andere Art liebte und die sich wegen mir das Leben nahm.
All diese Namen schreibe ich Tag für Tag in den nassen Sand, in der Hoffnung, dass meine Erinnerungen an sie niemals verblassen werden.

Natürlich hatte Neoh, wie so oft schon, auch diesmal Recht. Wir haben uns ein friedliches Leben verdient, wobei ich wirklich ziemlich lang brauchte, um das wahrzunehmen.
Und nun führen wir endlich dieses Leben.
,,Ich danke dir, Neoh.", wispere ich, sodass meine Worte sogleich vom Wind verweht werden.

So, dies war das Ende der Reise und auch das Ende dieser Geschichte. Ich danke all meinen treuen Lesern so unglaublich dafür, dass sie dieser Geschichte eine Chance gegeben haben🙏
lg Jane♡

Die 90. Hungerspiele- Rückkehr eines OdairsWhere stories live. Discover now