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Mein Vater sieht nicht gut aus, als er mich zur Schule fährt. Seine Augen sind rot vom Weinen, er ist erstaunlich blass und wirkt fertig. Er sieht so aus, als hätte er die ganze Nacht lang nicht geschlafen und das hat er wahrscheinlich auch nicht.
Meine Mutter sah heute morgen aus wie immer. Sie hat mir Crêpes gemacht, obwohl ich die hasse. Als sie die Küche verlassen hat, habe ich sie in den Mülleimer geschmissen.

„Wie lange bleibt denn Maman dieses Mal?", frage ich schließlich. Die Sonne scheint und der Himmel ist blau.

Er antwortet nicht sofort. Wahrscheinlich hat er ein schlechtes Gewissen, weil er sie auch nicht bei uns haben will. „Bis Sonntag."

„Ah."

Er lässt mich auf dem Schulparkplatz raus und drückt mir vorher noch unbeholfen die Schulter. Wir haben es nicht so mit Körperkontakt.

Während ich dem Weg folge, welcher zur Schule führt, und Gruppen von Schülern ausweiche, die sich unterhalten, frage ich mich augenblicklich, was den Menschen wohl so Aufregendes in den letzten sechzehn Stunden seit Schulschluss passiert ist, dass sie das gleich am frühen Morgen mit ihren Kameraden besprechen müssen.
Hätte ich das Verlangen, mich mit jemanden unterhalten zu wollen, wüsste ich gar nicht, was ich erzählen sollte. Vielleicht, dass der Brokkoli gestern wirklich gut geschmeckt hat und dass ich diesen Cartoon geguckt habe, der eigentlich nicht witzig ist, aber ich habe ihn trotzdem nebenbei laufen lassen.

Die Mittagspause verbringe ich meistens damit, meinen Vorrat an Rauschmitteln aufzustocken oder eben diesen Vorrat zu vernichten. Das Geld, welches ich bekomme, um mir Essen zu kaufen, kriegt somit einen sinnvolleren Nutzen. Außerdem kriege ich nur Hunger, wenn ich gekifft habe, somit ist es auf jeden Fall eine gute Geldanlage.

Der Kauf ist nicht so zwielichtig, wie man sich das vielleicht vorstellt. Hinter der Turnhalle, neben den ganzen Müllcontainern, befinden sich immer drei bis vier Jungs, die sich schon viel länger die Birne wegknallen als ich und gar nichts mehr mitbekommen. Sie haben alle irgendwelche Jungennamen – Mike, Marc, Ryan oder so. Ich weiß nur, dass der, der eine eigene Cannabisplantage betreibt, Weed heißt. Wiederum ist es nicht sonderlich schwer, sich den Namen zu merken, wenn man wie ich seine Dienste in Anspruch nimmt.

Je näher ich den Containern komme, desto lauter wird die Musik. Es ist irgendein Rap, den ich nicht kenne.

Weed und zwei seiner Freunde sitzen in einer Rauchwolke, wodurch sie eine unheimliche Erscheinung abgeben würden, wenn sie nicht die gesamte Zeit lachen würden.

„Krücke!", sagt Weed, bevor er aufspringt und auf mich zu geht. Krücke. So nennt er mich, seitdem ich das erste Mal bei ihm gewesen bin, noch auf Krücken gestützt, weil ich mit dem Bein nicht sicher genug laufen konnte. Keine Ahnung, ob er überhaupt meinen richtigen Namen kennt.

Wie jedes Mal versucht er mich in eine Umarmung zu ziehen und wie jedes Mal blocke ich ihn ab. Ich ringe mich zu einem schmallippigen Lächeln ab.

„Hi.", sage ich und verlagere mein Gewicht von einem Bein zum anderen. Ich habe keine Angst davor, erwischt zu werden, aber ich fühle mich unwohl in deren Gesellschaft, obwohl sie diejenigen sind, die ich auf diesem ganzen Planeten am wenigsten nicht mag. „Sag mal, hast du noch-" Weiter muss ich nicht sprechen, er hält mir schon ein Tütchen voll Entspannung vor die Nase.

Ich krame ein paar Scheine aus meiner Hosentasche und reiche sie ihm; im Gegenzug lässt er mir die Tüte in die offene Hand fallen.

„Immer wieder schön, mit Ihnen Geschäfte zu machen." Er salutiert vor mir und ausnahmsweise muss ich sogar grinsen, bevor ich das Beweismittel für einen Rauswurf von der Schule in einer Tasche verschwinden lasse und mich auf den Rückweg aus dieser Gasse begebe.

Als ich um die Ecke biege, werde ich von jemanden abgefangen, den ich nicht kenne. Obwohl er mir bei genauerem Hinsehen doch bekannt vorkommt.

„Hey.", raunt er und stößt sich von der Wand ab, an der er gelehnt hat.

Verwirrt blicke ich ihn an. „Hast du mich verfolgt?"

Er lacht und spannt dabei seine Muskeln an. Die Erkenntnis, dass es sich um meinen Gegenüber um den handelt, der mich bereits unter der Tribüne angesprochen hat, drängelt sich in den Vordergrund.

„Ich wollte dich fragen, ob wir zusammen ausgehen wollen.", sagt er und seine Augen blitzen auf. Ich runzele die Stirn und betrachte ihn genauer. Sein Blick liegt auf meinem Gesicht, nicht auf meinem Körper, beziehungsweise auf dem Bein, welches sozusagen eine magische Anziehungskraft auf alle Leute hat, die davon wissen. Was in der Schule so gut wie alle sind in den höheren Klassenstufen.

„Ich kenne deinen Namen gar nicht.", bemerke ich schließlich.

Wieder lacht er. „Nicht? Darius."

Ich überlege einen Moment lang und lasse ihn nicht aus den Augen. „Gut, Darius. Dann gib mir deine Nummer und vielleicht rufe ich dich an."






Wie die tote Morgenröte mich verschluckteWhere stories live. Discover now