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Am Samstagabend klingelt mein Handy. Es ist Lia. Wir rufen uns eigentlich nicht an und wenn sie sich doch mal bei mir meldet, gehe ich nie ran. Wer weiß, was heute in mich gefahren ist, aber ich drücke auf den grünen Hörer.

Kurz herrscht Stille. „Emi?", fragt die unvergleichliche Stimme von meiner Schwester.

„Wer denn sonst?", erwidere ich und lehne mich etwas zurück. Ich bin im Wohnzimmer auf der Couch, während mein Vater in der Küche kocht.

Sie übergeht meine Frage. „Wie geht es dir?"

Ich schiele über die Couchlehne in den gegenüberliegenden Raum zu meinem Vater, der scheinbar vollkommen Gedanken versunken Gemüse schneidet. Bestimmt hat er ihr irgendwas erzählt, weswegen sie heute anruft. „Gut. Warum fragst du?"

„Zum einen bin ich deine Schwester und interessiere mich für dein Wohlergehen. Zum anderen hat Kurt nachgefragt, ob es dir inzwischen besser geht und mir ist aufgefallen, was für eine schrecklich große Schwester ich bin, weil ich das nicht weiß", erklärt sie. Ich richte mich auf, bleibe aber still. Ihren Selbstvorwurf ignoriere ich gekonnt und lasse mich auch nicht auf das Spiel ein, ihr zu erklären, dass sie gar nicht schrecklich ist. Das einzige, was in meinem Kopf herumschwirrt, ist die Frage, wie viel Kurt ihr wohl von unserem kurzen Aufeinandertreffen erzählt hat. 

„Charmanten Freund hast du dir da geholt", murre ich deswegen nur. Sie lacht.

„Stimmt, er hat mir erzählt, dass du denkst, wir wären in einer Beziehung. Wir sind aber nur befreundet." Im Hintergrund rauscht irgendwas. „Hör mal, eigentlich wollte ich wissen, ob du mich vielleicht nächstes Wochenende besuchen kommen willst? Wir könnten einen Schwesterntag unternehmen und du würdest endlich aus dem Haus rauskommen." 

Der Mist ist definitiv ein Vorschlag von meinem Vater.

„Noemi? Bist du noch dran?", hakt meine Schwester nach.

„Ja", antworte ich nach kurzem Zögern. „Wieso nicht?"


Das 'Wieso nicht?' klärt sich, sobald es Samstagmorgen ist und ich gar keine Lust darauf habe, zu meiner Schwester zu fahren. Mürrisch sitze ich am Küchentresen und versuche meinen Vater davon zu überzeugen, dass ich es mir doch anders überlegt habe.

„Lia freut sich schon so doll darauf. Und ihr habt lange nichts mehr zusammen unternommen", sagt mein Vater und wischt mit einem gelben Lappen über die Theke. „Außerdem ist es doch nicht schlecht, wenn du dir mal das College ansiehst. Schließlich musst du dich in ein paar Monaten bewerben."

Ich stöhne auf und verdrehe die Augen. Über so etwas wie Colleges mache ich mir noch gar keine Gedanken. Meine weiteren Einwürfe werden ignoriert und so sitze ich eine Stunde später im Auto.

Die Landschaft zieht am Fenster vorbei und ich konzentriere mich auf meine Atmung. 

Früher haben wir so gut wie jeden Tag etwas unternommen. Deswegen habe ich auch jetzt keine Freundschaften, da ich mich immer auf meine Schwestern gestützt habe und nie das Verlangen hatte, andere Mädchen kennenzulernen. Und jetzt fällt mir auf, dass ich weder Freunde habe noch eine Beziehung zu meiner Schwester. Im Grunde genommen bin ich vollkommen allein und ich habe nur noch meinen Vater. 

Ich schließe die Augen und lehne meinen Kopf an die kalte Scheibe, die von der Sonne beschienen wird.

Einige Minuten später halten wir. „Weißt du, wo du hin musst?", fragt mich mein Vater, während er auf dem Parkplatz vor dem Campus parkt.

„Ich denke schon. Ansonsten rufe ich halt Lia an", antworte ich und öffne die Tür. Der Campus ist voller Studenten, die anscheinend die Sonne genießen.

Wie die tote Morgenröte mich verschluckteWhere stories live. Discover now