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Nach dem kleinen Abstecher zu Weed fahren mein Vater und ich wenig später zu meinem Onkel, der mit dem Auto etwa zwanzig Minuten entfernt von uns in der Nähe des Stadtzentrums wohnt. Er hat sich da ein schickes Haus geholt, welches aufgrund der Lage eine riesige Stange Geld kostet. Aber als Anwalt kann man sich das anscheinend leisten. 
Mein Vater flucht über den Feierabendverkehr, da wir deswegen in der Innenstadt nur stockend vorwärts kommen. Ich sitze still daneben und fummle an einem Loch im Sitz herum, aus welchem Schaumstoff hervorblitzt. Ich habe Angst, dass mein Vater sofort weiß, dass ich ihn bestohlen habe, sobald ich den Mund aufmache, weswegen ich einfach die Klappe halte. 

Nach einer halben Ewigkeit schaffen wir es tatsächlich, vor dem gusseisernen Tor zu halten, welches uns an dem Heranfahren an das Haus hindert. Mein Vater kurbelt sein Fenster runter und drückt einen Knopf an der Freisprechanlage. Anstatt die Frage zu bekommen, wer wir denn sind, wird einfach nur das Tor geöffnet. 

Sollte Alfie so mit all seinen Besuchern umgehen, könnte er sich die Sicherheitsmaßnahmen auch sparen.

Das Auto fährt weiter und bremst nach wenigen Metern wieder ab. Nach einem kurzen Blickwechsel mit meinem Vater steige ich vorsichtig aus.

„Was zum-" Bevor ich meinen Satz vollenden kann, werde ich von meinen Beinen gerissen und lande äußerst unsanft auf der betonierten Auffahrt. Ein unglaubliches Gewicht stellt sich auf meinen Bauch und ich schnappe nach Luft. Als Antwort darauf wird mir etwas Nasses ins Gesicht geklatscht.

„Thor! Komm her!"

Augenblicklich verschwindet die Schwere von mir und ich halte mir den schmerzenden Bauch. Nur langsam rapple ich mich auf und blicke zu dem Hauseingang, von welchem die Stimme gekommen ist. Dort steht Onkel Alfie, neben ihm Lia und vor den beiden sitzt ein geradezu monströser Hund, der sich von meiner Schwester den Kopf streicheln lässt. Das graue Vieh blickt mir in die Augen, wackelt mit den Ohren und rennt wieder auf mich zu.

Schnell krabbele ich nach hinten und knalle dabei gegen das hintere Rad unseres Autos. „Der will nur spielen!", ruft Lia lachend. Lustig, wirklich lustig. 

Der riesige Hund bleibt stockend vor mir stehen und sieht mich für einen Moment bedeppert an, während ich schützend die Hände vor meinem Körper gestreckt halte. Dann ertönt ein Zungenschnalzen ein paar Meter neben mir. Der Hund legt den Kopf schief, leckt mir einmal über die Handflächen und verschwindet dann zu seinem nächsten Opfer, welches offensichtlich mein Vater ist.

Bevor ich noch einmal attackiert werden kann, richte ich mich schnell auf und erst dann fällt mein Blick auf etwas Ungewöhnliches.

„Du willst mich doch wohl verarschen", sage ich schneidend an meinen Onkel gewandt, der nun locker auf mich zu geschlendert kommt. Er trägt einen grauen Anzug, wodurch seine dunkle Haut und die schwarzen Haare ganz vortrefflich zur Geltung kommen. Man sieht sofort die Ähnlichkeit zwischen ihm und meinen Vater und damit auch zwischen mir und ihm.

Mit einem breiten Grinsen breitet er die Arme aus. „Nicht alles dreht sich um dich, weißt du? Und nun gibt deinem Onkel eine Umarmung." Widerwillig lasse ich mich einmal kurz von ihm drücken, wende mich dann jedoch wieder dem Hund zu, der gerade von meinem Vater bespaßt wird. „Eine deutsche Dogge. Ich habe ihn vor ein paar Monaten geholt. Er ist-"

„Behindert", beende ich den Satz. Alfie schenkt mir ein schiefes Grinsen und pfeift dann den Hund zu sich. Dieser kommt begeistert, aber humpelnd zu ihm. Anstatt einer rechten Vorderpfote steckt bei ihm nämlich eine Prothese dran.

Argwöhnisch betrachte ich den Hund, der mit seinem Kopf locker bis zu meinem Ellbogen reicht. Das ist viel weniger ein Hund als ein Pony!

„Was kompensierst du mit ihm? Du weißt schon, je größer der Hund desto kleiner-"

Wie die tote Morgenröte mich verschluckteWhere stories live. Discover now