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Die Frühlingsferien haben diese Woche begonnen.  Yuna ist vollkommen begeistert gewesen, als sie am Freitag mitbekommen hat, dass jetzt Ferien sind, da das anscheinend für sie bedeutet, sich bei uns Zuhause regelrecht einzuquartieren. Sie ist jeden Tag bei uns gewesen und hat versucht, sowohl mich als auch meinen Vater zu irgendwelchen Aktivitäten zu überreden, aber wir sind beide nicht so sonderlich darauf angesprungen. Am Dienstag habe ich sie schließlich ziemlich unwirsch rausgeschmissen, da ich endlich auch wieder etwas Zeit für mich und meine Gedanken brauchte. Beziehungsweise auch nur die Möglichkeit, mich zu bekiffen und in Ruhe Löcher in die Luft zu starren, ohne dass jemand neben mir sitzt, der mir das Ohr abquatscht. 

Die ruhige Zweisamkeit mit meinem Vater ist jetzt eine richtige Wohltat. Wir reden nicht viel, sondern schauen uns meistens nur irgendetwas im Fernsehen an und essen. Während er sich nun auch noch oft in sein Nische verzieht, um zu schreiben, kiffe ich und stricke seinen Schal weiter, der inzwischen unterschiedlich breit ist. Irgendwie kriege ich es nicht richtig hin, ein Muster zu stricken, weswegen er nur ein paar unregelmäßige Farbkleckse besitzt. 

Wehe, er trägt ihn dann nicht!

„Ich hätte nicht gedacht, dass du dich jemals mit so jemanden wie Yuna anfreunden könntest", behauptet mein Vater am Dienstagabend, als ich auf dem Sessel im Wohnzimmer sitze und den eben beschriebenen, unförmigen Schal hochhalte. 

„Hm?", mache ich nur und blicke nicht auf.

„Naja, sie ist so aufgedreht. Ich meine, ich freue mich für dich, aber sie ist schon eine Wucht."

„Oh ja", pflichte ich ihm bei.

Und was für eine Wucht sie ist. Am Mittwoch klingelt sie an unserer Tür Sturm. Ich habe mir Kopfhörer aufgesetzt, damit ich das nervtötende Klingeln ignorieren kann, doch mein Vater ist offensichtlich nicht so standhaft gewesen, denn wenig später werden mir ebendiese Kopfhörer runter gerissen, mitsamt ein paar Härchen, die sich in ihren Fingern verhangen haben.

„Autsch", sage ich und reibe mir den Kopf, nicht ohne Yuna einen bösen Blick zuzuwerfen.

„Wie siehst du denn aus?", fragt Yuna empört und schmeißt einen vollen Beutel auf mein Bett. Ich blicke an mir herunter. Weite Jeans, schwarzes Shirt, also ganz normal.

„Was machst du hier?", stelle ich die Gegenfrage, ohne auf ihre gerümpfte Nase einzugehen. Mit flinken Fingern leert sie den Beutelinhalt auf meiner Bettdecke aus. Ein ganzes Knäuel aus Klamotten hat sie anscheinend mitgebracht, welches nun zerknittert zum Teil auf meinem Bett, zum Teil auf dem Boden liegt.

„Du hast doch heute dein Date, oder nicht?" Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, bevor sie sich auf die Aufgabe vor sich konzentriert. Verschiedene Kleidungsstücke hat sie auf dem Bett ausgebreitet, die gesamte Farbpalette. Ich erkenne darunter auch diesen schrecklichen kotzgrünen Pullover, den sie angehabt hat, als sie das erste Mal zur Selbsthilfegruppe gekommen ist. Der einzige Grund, weshalb ich mich daran noch erinnere, ist der, dass ich mich schon damals insgeheim gefragt habe, woher man nur so etwas Hässliches her bekommt. 

„Erstens, es ist kein Date, sondern ein Treffen. Zweitens, das Treffen findet erst in ein paar Stunden statt. Und drittens, wieso merkst du dir eigentlich genau das?" Bei unseren letzten Treffen ist mir immer öfter aufgefallen, dass sich Yuna einige Dinge nicht merken kann, die wir besprochen haben. Vielleicht achte ich jetzt einfach auch mehr darauf, aber seitdem sie mir von ihren Gedächtnisschwierigkeiten erzählt hat, kommt es öfter vor. Beispielsweise ist so gut wie gar nichts von dem Abendessen mit meinem Vater bei ihr hängen geblieben. Also bin ich davon ausgegangen, dass sie meine Verabredung auch vergessen hätte, schließlich ist das nun wirklich kein wichtiger Aspekt ihres Lebens, aber da habe ich mich ganz offensichtlich geirrt.

Wie die tote Morgenröte mich verschluckteWhere stories live. Discover now