Wie die tote Morgenröte mich verschluckte

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Mein Vater ist sehr sauer gewesen. Unfassbar sauer. Nicht nur, weil ich meine Mutter verpasst habe, sondern auch, weil ich vollkommen bekifft Zuhause angekommen bin. Obwohl ich normalerweise damit gesegnet bin, keine roten Augen zu bekommen, ist das ganze Zeug bei Weed wohl doch zu viel gewesen und meine Leugnungsversuche wurden durch meine feuerroten Augen und meinem Gestank  zunichte gemacht. Er ist aber nicht wirklich wütend gewesen oder hat mich angeschrien. Nein, er ist die Ich bin nicht wütend, sondern enttäuscht Schiene gefahren. Das ist viel schlimmer. Als ich jedoch raus gerannt bin, um in das Spülbecken zu kotzen, hat er mich nur hoch in mein Zimmer geschickt und gemeint, dass wir morgen darüber reden werden. Mit einer Schlaftablette bin ich dann so schnell eingeschlafen, dass ich noch nicht einmal mitbekommen habe, wie Lia das Haus verlassen hat.

Kurz vor Mitternacht wache ich schweißgebadet auf. Wahrscheinlich hat mein Körper mit dem ganzen Gras und der Tablette zu kämpfen gehabt.

Als ich mich aufrapple fühle ich mich wie erschlagen. Ich bin wacklig auf den Beinen und fühle mich ausgelaugt. Somit stelle ich mich unter die Dusche und erlaube es mir, über die vergangenen Tage nachzudenken.

Die Trennung meiner Eltern wird schnell vorbei sein. In etwa einem Monat werde ich 18, also gibt es auch keinen Sorgerechtsstreit, obwohl es den wahrscheinlich so oder so nicht gegeben hätte. Ich würde mich ohne Nachzudenken immer für meinen Vater entscheiden.

Ich versuche mir in Erinnerung zu rufen, was danach passiert ist, aber mein Gehirn ist noch etwas lahm. Dann fällt es mir wieder ein. Darius.

Darius, den ich gefragt habe, ob wir miteinander schlafen wollen.

Darius, der das Bein gesehen hat und es eklig fand.

Und Darius, dem ich zwischen die Beine getreten habe und der mich dann im Regen zurück gelassen hat.

„Oh Gott", murre ich und seife mir die Haare ein. Was hat er genau gesagt? Krass eklig. Ich schüttle mich. So habe ich mir das ganze nicht vorgestellt. Habe ich jemals schon jemanden das Bein gezeigt, der nicht zu meiner Familie gehört oder im medizinischen Bereich tätig ist? Nein. Weil ich mich genau davor gefürchtet habe. Ich weiß, dass es eine Abnormalität ist und Leute sich dadurch angewidert fühlen, aber trotzdem habe ich vielleicht gehofft, dass es irgendjemanden gäbe, der es nicht so sieht. Der mich im Ganzen sieht und kein Problem damit hat.

Meine Gedanken schweifen weiter zu Weed. Er ist lustig und cool, obwohl er dauerhaft drauf ist. Und es ist sogar wirklich ein schöner Vormittag gewesen, obwohl ich mich nicht mehr an so vieles erinnern kann. Und dann.. Ich stocke und kneife die Augen zusammen. Ich bin noch nie in so eine Episode durch Gras geraten. Aber ich kann mich noch vage daran erinnern, wie sich alles gedreht hat und bunt war. Und dann kam da dieser Typ, wie hieß er nochmal? Lutz? Paul? Ich halte die Luft an. Kurt. Wie Kurt Cobain. Ich bin auf die Straße gerannt und dachte, dass ich tot sei und habe mich darüber gefreut. Ist es das, was mich glücklich machen würde? Der Tod?

Obwohl ich mit heißem Wasser dusche, friere ich und verlasse die Dusche. Als ich mein Zimmer betrete, fällt mein Blick auf den großen Spiegel in der einen Ecke. Langsam gehe ich darauf zu und bleibe stehen. Ich ziehe die Hose aus und starre auf das Bein. Seit fast anderthalb Jahren habe ich es und es fühlt sich immer noch nicht richtig an, es zu besitzen. Ich ziehe es aus und balanciere auf dem rechten Bein.

Es stimmt nicht. Mir fällt ein, dass es noch jemand gesehen hat, das Bein. Dieser Kurt. Angestrengt versuche ich, über seine Reaktion nachzudenken, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Ich kann mich dafür aber noch an seine kleine Ansprache erinnern. Als ob es so einfach wäre, damit aufzuhören. Denkt er etwa wirklich, ich wäre nicht glücklich darüber, keine Erinnerungen zu haben, die ich nur mit Gras verdrängen kann? Nur weil bei ihm wohl alles so perfekt ist. Er muss dringend mal in der Realität ankommen.

 So ein Idiot. Er hat es gar nicht verdient, in meinem Kopf herumzuschwirren. Trotzdem denke ich über ihn nach, während ich mich wieder ins Bett lege und versuche, einzuschlafen. Komisch ist es schon, dass meine Schwester mit so einem zusammen ist. Die passen doch gar nicht zusammen. Und er mischt sich in das Leben von anderen ein, das ist wirklich unhöflich. Obwohl ich mich schon frage, was Lia ihm wohl über mich erzählt hat. Hat sie dabei auch sie erwähnt?