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Die nächste Woche vergeht in einem Nebel, den ich kaum durchbrechen kann. Es ist alles in Watte gepackt und ich habe nur selten einen klaren Moment. Die Tage vergehen so schnell, dass ich gar keinen Orientierungspunkt habe, welcher Wochentag überhaupt ist. 

Yuna und Weed gehe ich kontinuierlich aus dem Weg. Ich habe nicht vergessen, dass ich Weed noch Geld schulde, aber da ich es noch nicht zusammen kratzen konnte, verschwinde ich einfach ganz schnell, wenn ich ihn in der Ferne sehe.

Von Kurt habe ich gar nichts mehr gehört, selbst wenn ich seit unserem letzten Aufeinandertreffen so oft kurz davor gewesen bin, ihn anzurufen, dass ich es gar nicht mehr zählen kann. Statt der Sehnsucht jedoch nachzugeben, habe ich in diesen Momenten einfach mein Handy ausgeschaltet und einen Joint angezündet.

Meinem Vater ist all das natürlich aufgefallen und er hat öfter als sonst versucht, ein Gespräch mit mir aufzubauen. Er hat selbst Lia dazu angehalten, mich mal anzurufen, aber ich konnte sie relativ schnell abwimmeln.

Da es endlich etwas wärmer wird, verbringe ich den Großteil meiner freien Zeit auf dem kleinen Wiesenabschnitt hinter unserem Haus und starre Löcher in die Luft. Es ist dort so, als wäre man in einer anderen Dimension. Ich setze mich nach der Schule auf die Verandastufen, atme aus, blinzle und schon geht die Sonne unter und ich gehe wieder ins Bett.

Aus meinem Schleier werde ich gerissen, als ich am Dienstag aus der Schule komme und mir der Joint blitzschnell aus dem Mundwinkel gerissen wird, als ich diesen gerade anzünden will. Mein Verstand braucht etwas, um sich durch die immer noch herrschende Nebelwand zu kämpfen und zu reagieren. Bedeppert blicke ich mich um.

„Du raurst?!" Mit in den Hüften gestemmten Händen steht meine Mutter vor mir. Ihre hellblonden Haare sind wie so oft immer noch in einem strengen Dutt und sie trägt ihre Stewardess Uniform. Sie schafft es nicht, wirklich wütend auszusehen. Die einzige Regung in ihrem Gesicht besteht darin, die Nase zu rümpfen.

„Maman", sage ich atemlos, denn mein Gehirn schafft es nicht, ihre Erscheinung in das Gesamtbild einzufügen.

Ihre Gesichtszüge werden sanfter. Sie drückt mir einen Kuss auf jede Wange, legt den Arm um mich und schmeißt den Joint in einen nahegelegenen Mülleimer. Am liebsten wäre ich sofort hinterhergesprungen, aber ihr umklammernder Griff lässt das nicht zu.

„Isch wollte disch ab'olen", erklärt sie mir und schiebt mich den Gehweg entlang, vorbei an einigen Schüler, die sich ebenfalls auf den Weg nach Hause machen. „Wir se'en uns zwar 'eute Abend noch, aber isch darte, isch marre dir eine Überraschung." Trotz ihrer wohl nett gemeinten Worte blickt sie starr geradeaus. Sind diese zwei Wochen etwa schon vorbei? Offensichtlich, sonst wäre sie nicht hier.

Am Straßenrand steht ein gelbes Taxi, welches anscheinend auf uns wartet. Stimmt, meine Mutter hat keinen Führerschein. „Hascht du schon gepackt?", fragt sie mich, als sie die hintere Tür des Autos öffnet. Ich starre abwechselnd sie und das Auto an. Sie muss doch wissen, dass ich dort nicht einsteigen kann. Anstatt sich jedoch daran zu erinnern, hebt sie eine Augenbraue und blickt mich abwartend an, unterstützt von einem nervösen Fußwippen ihrerseits.

„Ich steige da nicht ein", sage ich entschieden und verschränke die Arme vor der Brust. Einen Augenblicke meine ich zu sehen, dass sie die Augen verdreht, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir nicht eingebildet habe.

„Hab disch nischt so." Sie schnalzt mit der Zunge und wedelt mit ihrer feingliedrigen Hand in das Autoinnere.

„Ich steige da nicht ein", wiederhole ich beharrlich. Wir starren uns an und es fällt mir schwer, mich auf ihre hellen Augen zu konzentrieren, aber schließlich gewinne ich das Blickduell. Entnervt stöhnt sie, beugt sich in das Taxi und sagt etwas zu dem Fahrer. Sie drückt ihm einige Scheine in die Hand und befördert ihren Koffer aus dem Kofferraum. Dann stellt sie sich mir gegenüber, ebenso mit dem Armen vor der Brust verschränkt und pustet sich eine Strähne aus dem Gesicht, welche sich aus ihrem Dutt gelöst hat.

Wie die tote Morgenröte mich verschluckteWhere stories live. Discover now