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Blut. Jede Menge Blut. An meinen Händen, in meinem Mund. Ich schmecke es, fühle, wie es sich warm mit meiner Spucke vermischt. Ich kann mich nicht bewegen. Etwas steckt fest. Mein Blick ist verschwommen und ich weiß nicht, wo ich bin. Das Bein. Mein Bein. Es steht komisch von meinem Körper ab und klemmt fest. Mir wird übel. Ich weine. Die Luft wird mir abgeschnürt und ich versuche, mich aus dem Gurt zu befreien, aber es geht nicht. Ich kann nichts bewegen. Mein Blick fliegt zu meiner Linken. Der Schrei bleibt mir in der Kehle stecken. Ich will die Augen zusammenkneifen, aber es geht nicht. Sie sind weit aufgerissen. Genauso wie ihre Augen. Ihr schlaffer Körper hängt verdreht über dem Lenkrad, der Kopf hat ein Loch in die Windschutzscheibe geschlagen.

Plötzlich blinzelt sie mich an. „Hallo, Emi."


Ruckartig setze ich mich auf, lehne mich zur linken Seite meines Bettes und erbreche. Mein Magen rebelliert, während ich alles heraushole. Es ist ein widerliches Gefühl und ein noch viel widerlicherer Geruch.

Mein Rachen brennt von der Magensäure und ich bin Schweißnass, aber mein Magen entspannt sich langsam wieder und ich kriege nichts mehr raus. Ich fahre mir mit der Hand über den Mund, schalte die Lampe an, schließe die Augen und lehne mich zurück. Ich muss mich beruhigen. Es ist nur ein Traum gewesen. Nur ein Traum.

„Es ist eher eine Erinnerung, oder nicht?"

Schlagartig öffne ich die Augen und erstarre. Das ist nicht möglich. Das muss hier ein Albtraum sein. Obwohl mir mein Herz bis zum Halse schlägt und sich eine furchtbare Panik in mir ausbreitet, zwinge ich mich dazu, die Augen zusammenzukneifen. Gleich ist es wieder weg. Das wird schon wieder.

Erst öffne ich das eine Auge, dann das andere, als die Luft rein ist. Ich muss noch geträumt haben. Verdammt seien die Joints, die mir sonst immer eine traumfreie Nacht beschert haben.

„Das solltest du schnell wegmachen. Sonst stinkt das ganze Zimmer."

Nein, nein, nein. Das kann nicht wahr sein. Steif wende ich den Kopf nach links und da steht sie, genau so, wie ich sie in Erinnerung habe. Ihre glatten, dunkelbraunen Haare glänzen, ihre vollen Lippen sind zu einem Lächeln verzogen, wodurch ihre Grübchen zum Vorschein kommen. Sie trägt ein lockeres, schwarzes Kleid und betont damit ihre gesunde Hautfarbe.

Das ist einfach nicht möglich.

Selbstsicher macht sie ein paar Schritte auf das Bett zu und ich strample mich auf die andere Seite der Matratze. Mit ihrer gerümpften Stupsnase setzt sie sich auf die Bettkante. Dann blickt mich die Brünette an und trotz der schlechten Beleuchtung erkenne ich ihre blauen Augen, die mich spitzbübisch anfunkeln.

„Begrüßt man etwa so seine Schwester, die von den Toten auferstanden ist?"

Ich starre sie an. „Das ist nicht möglich. Du bist tot. Seit fast zwei Jahren." Am liebsten würde ich den Blick abwenden, aber ich habe Angst vor ihr

Die Erscheinung verdreht die Augen und strahlt mich an. Ihre Zähne sind so unfassbar hell und gerade. „Du Dummerchen, natürlich bin ich das. Ich bin deiner Fantasie entsprungen, höchstwahrscheinlich wegen dem Drogenentzug, aber wer weiß das schon so genau. Und jetzt-" Sie deutet mit ihrem Kopf auf den Boden. „Wärst du so lieb und würdest das wegmachen? Mir wird durch den Geruch echt übel und ich weiß nicht, ob ich kotzen kann, aber ich will es auch nicht unbedingt herausfinden."

Wie ferngesteuert nicke ich. Ganz langsam krieche ich aus dem Bett, ohne dieses Wesen dabei aus den Augen zu lassen. Sie betrachtet in der Zwischenzeit ihre Fingernägel.

Vorsichtig umrunde ich das Bett. Sie sieht so echt, so lebendig aus. Jede Strähne ihres Haares liegt perfekt.

Rückwärts verlasse ich das Zimmer und so schnell ich kann, hole ich einen Eimer und Lappen und stürze zurück zu ihr. Ich habe gehofft, dass sie nicht mehr da ist, aber falsch gedacht. Sie sitzt genauso da wie vorher, die Beine überschlagen und immer noch so lieblich lächelnd. Leise schließe ich die Tür und als sie mich bemerkt, strahlt sie mich wieder an.

Wie die tote Morgenröte mich verschluckteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt