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In der Nacht macht man sich keine Gedanken darüber, was man sagt, da man sich so beschützt durch die Dunkelheit fühlt. So ist das zumindest bei mir. Die Nacht schützt mich und lässt mich fühlen, als wäre ich in einer sicheren Blase.

Der Morgen danach bringt einen wieder auf den Boden der Tatsachen. Irgendwann sind Kurt und ich auf der Decke eingeschlafen. Es hat keinen weiteren Flüssigkeitenaustausch gegeben, dafür aber ein paar flüchtige Berührungen, die mir Herzflattern beschert haben. Wie mir schon einmal aufgefallen ist, kann es ganz angenehm sein, neben jemanden einzuschlafen und seine Wärme zu spüren. So ist es auch dieses Mal gewesen.

Wir werden von einem älteren Herren aufgeweckt, der anscheinend für die Sternwarte zuständig ist, und schnell packen wir unsere sieben Sachen zusammen und machen uns aus dem Staub. In dieser kurzen, unangenehmen Zeitspanne, in welcher wir von dem Herren mit Argusaugen beobachtet worden sind, ist es  irgendwie merkwürdig zwischen Kurt und mir gewesen.

Wie gesagt, sobald die Helligkeit einen dazu zwingt, seinem Gegenüber wieder in das Gesicht zu sehen, ist man bei Weitem nicht mehr so mutig wie ein paar Stunden zuvor.

Im Bus zurück nach Hause sind wir ebenso still wie vorher, aber es ist trotzdem angenehm auf eine gewisse Art und Weise. Ich überlege die ganze Zeit, ob und was ich sagen soll, aber mir liegt die Zunge schwer im Mund und ich bleibe stumm. Stattdessen schaue ich aus dem Fenster und linse ab und zu rüber zu Kurt, dessen Haare wild vom Kopf ab stehen. Er hat seinen Kopf hinten angelehnt und die Augen geschlossen, aber ich denke nicht, dass er schläft, denn er trommelt mit seinen Fingern auf seinem Oberschenkel herum. 

Als wir schließlich vor meinem Haus stehen, frage ich mich, wie man sich nach so einem Treffen wohl am besten verabschiedet und mir fällt auf, dass ich eigentlich nie irgendjemanden wirklich begrüße noch verabschiede. Es gibt in den seltensten Fällen eine Umarmung, und die geht eigentlich wenn nie von mir aus.

Wir stehen voreinander und ich schabe mit dem Fuß über die Steine des Weges, der zum Haus führt. Er hat seine Hände in den Hosentaschen vergraben.

„Es war schön gestern", kommt es, zu meinem eigenen Erstaunen, von mir. „Vielleicht können wir das irgendwann wiederholen, ohne dass ich dir einen Gefallen schulde."

Kurt grinst mich an und nickt. „Es würde mich freuen."

Dann drückt er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und fährt weg.


Als ich ins Haus komme, ist mein Vater bereits wach und ich höre das Klicken der Tastatur. Der Geschwindigkeit nach zu urteilen schreibt er. Ich gehe den Flur entlang und entdecke ihn in der kleinen Computernische, in welcher er angestrengt auf den Bildschirm starrt und seine Finger nur so über die Tasten fliegen. Er bemerkt mich nicht, weshalb ich ihn sanft an der Schulter berühre und er sich erschrocken zu mir herumdreht.

„Ich hab dich gar nicht gehört", meint er und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Er muss seinen Bart dringend mal wieder stutzen. „Wie war es?"

Er bekommt eine kurze Zusammenfassung von mir, die eigentlich nur beinhaltet, dass wir in einer Sternwarte waren und nichts passiert ist, was ihn zu einem frühzeitigen Großvater machen könnte. Danach begebe ich mich wieder hoch in mein Zimmer und setze mich auf mein Bett. Merkwürdigerweise bin ich nicht müde, obwohl die Nacht bei weitem nicht erholsam oder lang gewesen ist. Jetzt, wenn ich wieder allein bin, spüre ich die innere Unruhe in mir und mir fällt ein, dass ich seit gestern Nachmittag nicht mehr gekifft habe. Während ich einen Joint in meinen Schubladen suche und schließlich fündig werde, schweifen meine Gedanken zu Yuna und Weed. Dazu, dass sie mir erzählt hat, wie es mit den beiden nichts werden wird, weil er kifft.

Wie die tote Morgenröte mich verschluckteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt