Kapitel 6

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„Ich habe einen Gottkönig gesehen." Lyra wachte in einem Bett auf, das nicht ihres war. Für einen kurzen Moment blieb ihr das Herz stehen. Es war dunkel und kalt, die Luft war feucht. In einer Ecke des Raumes schien eine kleine Lampe zu leuchten, doch ihr Licht reichte nicht, um zu erkennen wo sie war. Ihr gegenüber war nur eine kahle Wand und zu ihrer Seite stand ein alter halbkaputter Beistelltisch, auf dem ihr Handy lag.  Lyra versuchte sich daran zu erinnern was passiert war, aber es waren nur ein paar Gedankenfetzen in ihrem Kopf hängen geblieben. Der Vampir hatte versucht ihr zu helfen. Es hatte anscheinend funktioniert, sonst wäre sie nicht hier. Erleichtert stelle sie fest, dass er sie nicht umgebracht hatte, aber sie wusste immer noch nicht wo sie war. Unsicher und mit rasendem Herzen wagte sie es sich aufzusetzen. Dabei bemerkte sie, dass ihre Hand nicht mehr schmerzte wie am vorherigen Tag. Sie strich sich über die Handinnenfläche und spürte glatte, weiche Haut anstelle des tiefen Schnittes vom Ritualdolch. Ihr Blick wanderte weiter zur Lichtquelle.

Auf einem Sessel neben dem Bett schlief, in einer vermutlich sehr unbequemen Position, Jonathan. Sein Kopf war zu Seite gekippt und Lyra konnte erkennen, dass er aus einem Ohr blutete.  Lyras Unterkiefer begann zu zittern.  Sie musste ohnmächtig geworden sein und er hatte sie in dieses Zimmer gebracht. Ihr schwirrten Gedanken im Kopf herum, was er sonst mit ihr angestellt haben könnte, auch wenn sie versuchte diese zu verdrängen. „Was hast zu getan?", fragte sie entsetzt. „Ist okay. Lass mich einfach hier liegen.", murmelte Jonathan leise und schläfrig. Bei näherer Betrachtung, sah er gar nicht mal so gut aus, irgendwie krank. Er machte nicht den Eindruck, dass er ihr irgendwas angetan haben könnte, außer natürlich ihr Blut getrunken zu haben. Eine absurde Vorstellung.

„Ist das normal, dass du aus dem Ohr blutest?", fragte Lyra zaghaft. Es hätte ja durchaus sein können, dass Vampire tagsüber aus allen Körperöffnungen bluten und ihren Verlust dann nachts wieder ausgleichen müssten. „Dein Blut hat mich vergiftet, aber ich werde schon wieder.", war Jonathans Antwort, als er langsam seine Augen öffnete. Er setzte sich auf, betastete sein Ohr und sah das Blut an seinen Fingern daraufhin angewidert an. Lyra fühlte sich unwohl, aber trotzdem auf seltsame Weise sicher, in dem Wissen ihn vergiftet zu haben. Er sah schwach aus und könnte sie vermutlich nicht daran hindern wegzulaufen.  Sie stand auf, nahm ihre Tasche, steckte ihr Handy in die Hosentasche und ging zu der einzigen Tür in dem Raum. Sie musste so schnell es möglich wäre zu Lydia. Die Scheiße von gestern konnte sie nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Außerdem musste sie Laura sagen, dass es ihr wieder gut ging. Als sie die Klinke berührte hörte sie ein erschrockenes „Nein, nein, nein.", von Jonathan. Der hatte sich sogar dazu überwunden aufzustehen, um sie davon abzuhalten die Tür zu öffnen, schnell genug wäre er aber nicht gewesen. „Ich muss jetzt wirklich gehen.", meinte Lyra, aber Jonathan hatte sich mittlerweile zwischen sie und die Tür gestellt. Eine Eiseskälte durchfuhr Lyras Knochen und ihr Fluchtinstinkt meldete sich erneut.  „Wenn du die Tür öffnest, kommt hier Sonnenlicht rein, das ist keine gute Idee.", erklärte er. Darauf hätte sie ja auch selber kommen können, jetzt wurde ihr auch klar, warum dieser Raum fensterlos war. Sie blickte in Jonathans Gesicht und versuchte sich daran zu erinnern wie sie sich gefühlt hatte, als sie ihre Kräfte noch nicht zurückhatte. Jetzt spürte sie nur Abneigung und ein bisschen Angst. Alles in ihr widerstrebte sich hier zu bleiben, aber ihr blieb wohl nichts anderes übrig. Er hatte ihr Leben gerettet und sie hatte sich noch nicht dafür bedanken können.

„Du sieht scheiße aus.", bemerkte sie, nachdem sie Jo etwas länger als gewollt ins Gesicht gesehen hatte. Er lächelte daraufhin und setzte sich wieder in den Sessel. Lyra setzte sich wieder auf das Bett und schrieb Laura eine SMS, dass es ihr gut ging. „Was machst du so wenn du hier unten bist.", fragte sie, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Bis Sonnenuntergang würden noch einige Stunden vergehen und solange wollte sie nicht in peinlichem Schweigen versinken. Jonathan meinte darauf, dass er schlief, weil die Zeit so schneller vergehen würde.

BloodlineWhere stories live. Discover now