Kapitel 12

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Jonathan rieb sich über die Stirn und sah sie schon fast besorgt an. „Nichts. Ich denke nur, dass es bestimmt nur ein Traum war und du zu viel hineininterpretierst.", lenkte er ab, aber Lyra merkte, dass es nicht die Wahrheit war. „Lüg mich nicht an, ich merkte, wenn du lügst. Sag was du wirklich denkst.", forderte sie. Jonathan beugte sich vor und stützte sich auf die Unterarme. „Ich denke, dass ich in meinem ganzen bisherigen Leben noch keine Hexe getroffen habe, die so wahnsinnig ist wie du. Bist du nicht einmal auf die Idee gekommen, dass diese Blutmagie gefährlich sein könnte? Sie verändert dich. Als wir uns kenne gelernt haben, wolltest du einfach nur deine Magie zurück, damit du etwas hast, was dich an Tabea erinnert. Und was willst du jetzt? Was denkst du wirst du machen, wenn du so viel Macht besitzt? Das war nicht der Plan, den deine Mutter für dich hatte.", seine Stimme wurde mit jedem Satz lauter. „Ich will das zurück, was mir zusteht. Wie soll ich den Coven sonst zurückbekommen? Ich komme mit dem was ich jetzt habe nie im Leben gegen Lydia an." Jonathan holte Luft für die nächste Standpauke, aber Lyra ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Erzähl mir nichts davon was meine Mom für mich gewollt hätte! Wenn sie überhaupt irgendeinen Plan hatte, dann den, dass ich den Coven nach ihr übernehme." Jonathan musste schlucken. Sie hatte ja Recht, auch wenn ihm das nicht gefiel. 

„Ich will nicht, dass dir dabei das gleiche wie ihr passiert.", gab er schließlich zu. Es kam einfach so aus ihm heraus, er hatte eigentlich gar nicht vor es zu sagen. Lyra sah ihn ungläubig an. „Was soll mir nicht passieren?"

„Tabea wollte genau dasselbe wie du. Ich dachte sie wäre verrückt geworden, weil ich diese Art von Magie vorher noch nie gesehen hatte. Sie hatte auch keinen Beweis dafür, dass es sie gibt, weil sie im Gegensatz zu dir, nicht in der Lage war... sowas zu machen. Sie war am Ende wie besessen.", erzählte er. Vielleicht half es ihm, ihr einfach die Wahrheit zu sagen. Lyra sah ihn ungläubig an. Sie konnte nicht fassen, dass er ihr das verschwiegen hatte.

„Du lügst nicht.", stellte sie verwirrt fest. Sie hätte es lieber gehabt, wenn er sie angelogen hätte.

„Das hättest du mir nicht sagen sollen. Du solltest mir gar nichts über sie erzählen, ich will meine Erinnerungen so behalten wie sie sind und du verdrehst sie. Als wenn meine Mom eine schlechte Hexe gewesen wäre."

„Das habe ich gar nicht sagen wollen. Ich will nur nicht, dass du irgendwann den Verstand verlierst."

„Du machst dir doch nicht ernsthaft Sorgen um mich."

„Wenn ich das nicht tun würde, wärst du jetzt nicht hier.", schrie er und konnte selbst nicht fassen, dass er ihr das tatsächlich gesagt hatte. Lyra konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn Jonathan die meiste Zeit über sehr anstrengend war, schaffte er es manchmal das Richtige zu sagen.

„Ich sollte nachhause gehen, das ist glaube ich besser für uns. Es ist schon wieder viel zu früh am Morgen.", stellte sie nach einem kurzen Blick auf ihre Uhr fest.

„Ich wollte dich nicht anschreien, Lyra. Es tut mir leid.", entschuldigte sich Jonathan, der sich fast sicher war sie mit seinem Gefühlsausbruch verjagt zu haben.

„Das glaube ich dir. Aber ich muss trotzdem gehen.", versuchte Lyra ihn zu besänftigen.

„Wenn die Hexen dein Haus belagern kannst du auch hierbleiben. Das ist kein Problem.", bot Jonathan ihr an.

„Ich mag es, wenn du dir Sorgen machst.", gab Lyra zu. „Es zeigt, dass du irgendwo noch menschlich bist. Auch wenn du das nicht zugeben willst."

Das einzige was sie darauf zur Antwort bekam, war Jonathans Blick, der von besorgt zu betrübt änderte. „Ich habe dich noch vorgewarnt. Warum hörst du nie auf mich?"

Lyra schreckte hoch. Sie hatte schlecht geschlafen und das Gebrüll eine Etage höher hatte sie geweckt.  Sie blieb noch eine Weile liegen und lauschte, ob auf die Frage, die sie soeben gehört hatte noch eine Antwort folgte. Falls nicht, hätte sie auch kein Problem damit. Sie könnte beruhigt weiterschlafen. Jonathan hätte sie auch nachhause gebracht, aber sie war so müde, dass sie sein Angebot zu bleiben trotz ihrer Skepsis angenommen hatte.

„Es ist nicht so schlimm wie du denkst!"

Mit wem redete Jonathan da bloß? Genervt quälte Lyra sich aus dem Bett. Sie war hundsmüde und ein Blick auf ihre Uhr verriet, dass sie nur knapp zwei Stunden geschlafen hatte. Sie öffnete die Tür, stieg die Kellertreppe nach oben und sah einen Mann mit Jonathan streiten, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. „Wenn ihr euch nicht in einer normalen Lautstärke unterhalten könnt, schlafe ich zuhause. Ist mir egal, wenn Lydia versucht meine Wohnung zu sprengen, um an mich ran zu kommen, ich hätte trotzdem meine Ruhe.", erklärte sie und fing verwirrte Blicke von Jonathan und dem anderen ein. „Was soll das denn jetzt bedeuten? Ist sie etwa keine von den örtlichen Hexen des Darthmoor?", fragte der Mann mit einem angespannten Unterton. In etwa so, wie wenn Lyra Jonathan etwas erzählte, was ihn unruhig machte. Der Mann wurde ihr zusehends unsympathischer. „Das habe ich wohl vergessen...", setzte Jonathan an.

„VERGESSEN?", der Mann wurde sichtlich wütender und Lyra immer genervter. „Alles klar, Jungs. Ich gehe dann mal nachhause und ihr könnt... Was auch immer ihr über Lydias Coven ausdiskutieren müsst, macht es einfach ohne mich.", murmelte Lyra in sich hinein. Sie war zu müde, um darüber nachzudenken, was sie sagte und hoffte darauf, dass Jonathan sie schon verstehen würde. Dieser sah kurz danach aus, als wenn er sie aufhalten wollte, tat es aber nicht. Stattdessen sah er den anderen Mann strafend an. Lyra drängte sich an den beiden vorbei und war schon fast aus der Tür, als sich der Mann in ihren Weg stellte.

„Du solltest wirklich bleiben, alles andere kann John nicht mit seinem Gewissen vereinbaren.", versuchte er sie aufzuhalten. Lyra dachte kurz darüber nach wie wahrscheinlich es sein könnte, dass Vampire ein Gewissen haben. Sie brach ihren Gedankengang ab, als sie eine Kälte und ein erdrückendes Gefühl spürte, welches von dem Mann ausging. „Ohman, das kann doch nicht wahr sein.", seufzte sie Kopfschüttelnd. „Ich nehme mal an, wenn ihr mich aufhalten wollen würdet, hätte ich eh kein Mitspracherecht.", vermutete sie. Jonathan wurde inzwischen immer angespannter. „Lass sie gehen, wenn sie will. Du hast nicht das Recht über sie zu bestimmen.", fuhr er den Mann an. „Ist schon okay Jo, ich bleibe.", gab Lyra nach und drehte sich zu ihm um. „Wer ist dein Freund, der mich wachhält?"

Der Mann stand auf einmal wieder vor ihr und streckte ihr seine Hand entgegen. „Marcus Aureus. Erfreut deine Bekanntschaft zu machen.", stellte er sich vor und setzte ein elegantes Lächeln auf. „Lyra.", sagte sie nur knapp und verschränkte die Arme. Sie musste nicht jeden Vampir zum Freund haben, Jonathan reichte ihr vollkommen aus, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob Freund die passende Beschreibung wäre. „Ich gehe dann wieder runter, wenn es euch nicht stört. Es ist nämlich so, dass Menschen nachts schlafen. Nur falls ihr es vergessen habt.", verkündete Lyra etwas schnippisch und öffnete die Tür zum Keller.

„Du lässt sie bei dir schlafen?", fragte Marcus irritiert. „Hier kann ich auf sie aufpassen.", erklärte Jonathan mit einem Schulterzucken. Marcus sah ihn daraufhin mit einem durchdringenden Blick an. Es sollte ihn vermutlich daran erinnern, dass der Pakt eigentlich etwas Anderes bedeutete. Vampire sollten die Hexen vor Ihresgleichen beschützen und die Hexen sollten aufpassen, dass Ihresgleichen sich nicht gegen den Vampir richtet. Solange Lyra, das allerdings nicht wusste konnte sie auch nicht auf blöde Gedanken kommen. „Sie sieht ihr schon verdammt ähnlich.", unterbrach Marcus das Schweigen, was Jonathan ein wenig verwirrte. „Es sind die Locken und die Augen.", stimmte er zu. „Und nicht zu vergessen, das Temperament.", wurde Jonathan ergänzt. „Oh ja, da hast du eindeutig Recht."

BloodlineWhere stories live. Discover now