Kapitel 16

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Lyra ging langsam an die Frau heran und streckte die Hand nach ihrer Schulter aus. Sie war ein Vampir. Unsicher drehte sie sich zu Marcus um, der ihr ermutigend zulächelte. Folter, daran hatte Lyra noch nie gedacht. Das war eigentlich ein Tabuthema für viele Hexen. Niemand sprach darüber, niemand tat es, jedenfalls offiziell. „Bring mir ein paar Kerzen und etwas Salz.", forderte sie Marcus auf. Sie zündete die Kerzen an und stellte sie im Kreis um sich und die Frau auf. „Dein Hokuspokus wird mich auch nicht zum Sprechen bringen.", keuchte die Frau. „Das werden wir sehen."  Lyra griff nach ihrer Hand und nach einer Kerze, woraufhin die Frau zu schreien begann. „Was machst du?", fragte Marcus, etwas beeindruckt. „Ihr das Gefühl geben, dass sie verbrennt.", war Lyras kurze Antwort. Sie musste sich auf einen anderen Zauber konzentrieren. Einen anstrengenden, aber sehr effektiven Zauber. Nur musste sie die Frau dafür sehr weit schwächen.

Sie zog einen Kreis aus Salz um sich und den Vampir. Das Ritual was sie versuchen wollte war anstrengend und gefährlich. Es hatte schon einige Hexen zu viel ihrer Kraft gekostet. Sie war sich nicht sicher, ob sie stark genug dafür wäre, hatte aber auch keine andere Idee einen Vampir zum Reden zu bringen. Die Frau hatte einen starken Willen, sie könnte sich so lange wehren, bis Lyra keine Kraft mehr hätte. Sie musste also dafür sorgen, dass die Frau schwächer wurde. Vorsichtig nahm sie die Hand der Frau, darauf bedacht, dass sie ihr keinen Schaden zufügen könnte. Sie konzentrierte sich auf das Blut in ihrem Körper, es war schwierig es ausfindig zu machen, als würde es nicht durch ihre Adern strömen. Sie konnte weder einen Herzschlag, noch einen Puls fühlen. Das Blut floss nicht durch sie hindurch. Lyra hielt einen Moment inne, um zu überlegen, was sie tun könnte.

Sie drehte sich zu Marcus um, welcher sie skeptisch ansah. „Was ist das Schlimmste, das einem Vampir passierten kann? Mal vom Tod abgesehen.", fragte sie ihn. Marcus überlegte kurz und antwortete dann entschlossen. „Sonnenlicht. Du kannst es mit UV-Lampen versuchen, wenn du willst. Aber bitte erst wenn ich weg bin." Das war genau das was Lyra hören wollte. Es war machbar. Marcus drückte ihr eine Lampe in die Hand und verließ den Keller. Auf das Licht folgten ein schmerzerfüllter Schrei und Lyra sah wie die Haut der frau begann Blasen zu bilden. „Willst du reden?", fragte Lyra, erntete aber nur einen protestierenden Blick. Sie machte weiter. Die Frau litt unerträgliche Schmerzen und Lyra musste sich erschreckender Weise eingestehen, dass es ihr egal war. Sie empfand fast Freude dabei, so viel Macht über jemanden auszuüben, der sie sonst innerhalb von Sekunden töten könnte.

Als die Frau das Bewusstsein verlor, oder zumindest jede Kontrolle über ihren Körper, machte Lyra sich an den schwierigeren Teil der Arbeit. Sie ließ die Hand los und schritt um den Stuhl herum. Ihre Hände umfassten den Kopf der Frau und si versuchte sich an die Worte zu erinnern, die ihre Mutter einmal Benutzt hatte, als sie nach einer Erinnerung einer anderen Hexe gesucht hatte.

Spiritus, anima, memoria, Praeterita

Lyra wisperte diese Wörter immer und immer wieder, während sie versuchte in den Kopf der Frau zu gelangen und nach Antworten zu suchen. Sie sah Marcus lächelnd den Kopf schütteln, was ihr die Arbeit nicht gerade einfacher machte. Sie versuchte sich zu konzentrieren, wiederholte die Wörter wie ein Mantra bis sie schließlich ein paar Fetzen aus den Gedanken des Vampirs erhaschen konnte.  Sie sah eine Kerze, die einen ganzen Raum erleuchtete. Es war ein Kerker, es war kalt, roch modrig und Lyra konnte ein paar tote Ratten auf dem Boden liegen sehen. Etwas weiter entfernt hörte sie Schreie und das Klirren von Ketten. „NEIN! NEIN DAS KÖNNT IHR NICHT MACHEN! GNADE! ICH FLEHE EUCH AN!" Darauf folgte ein lautes rasseln von Metallketten und eine Männerstimme erhob sich. „Schweig still, Weib!"

Lyra lief den Geräuschen hinterher. Sie fand die Frau in einem anderen Kerker, der etwas heller erleuchtet war. Ihre Kleidung war voller Blut und ihr Körper sah schwach und krank aus. „Ich bin es nicht. Ich bin keine von denen. Glaubt mir doch.", flehte sie auf Knien, es schien nicht zu helfen. Ein Mann sah auf sie herab und schlug sie zu Boden. Blut lief ihr aus dem Mund und sie weinte. Erst jetzt sah Lyra sie sich genauer an. Es war die Frau aus Marcus Keller. Es war ihre eigene Erinnerung.  „Ich bin keine Hexe. Ich bin keine Hexe.", wimmerte sie. „Wir haben etwas anderes gesehen.", antwortete der Mann schroff. „Ich war es nicht. Glaubt mir doch."

„Bereitet sie für die Probe vor.", befahl der Mann und die anderen begannen die Frau aus dem Kerker zu schleifen. „NEIN!", schrie sie wieder und wurde erneut geschlagen. „Ich kann euch Namen nennen.", flüsterte sie schwach. Der Mann hob die Hand und die anderen stoppten. „Was hast du da gesagt?", hakte er nach. „Ich kann euch Namen nennen.", wiederholte die Frau etwas lauter. Bevor Lyra die Namen hörte war die Erinnerung vorbei. Sie stand wieder in Marcus Keller, hinter der Frau. „Nein.", stieß sie entsetzt aus. Marcus sah sie interessiert an. „Nein, nein, nein.", wiederholte Lyra und ging um den Stuhl herum. Die Frau war wieder bei Bewusstsein. „Wer war das?", schrie sie die Frau an. „Was ist danach passiert?" Die Frau lachte nur. Es war ein verrücktes Lachen, mit einem Hauch Verzweiflung darin. „Ich werde nichts sagen.", flüsterte sie.  „Dann werde ich dir wehtun.", entgegnete Lyra, aber das schien die Frau nicht zu kümmern. „Versuch's doch."

Lyras Hand umklammerte die Kehle des Vampirs noch bevor sie selbst realisiert hatte, was sie da tat. Ihre andere Hand stützte sie auf den Oberschenkel der Frau. Sie konnte etwas spüren. Sie konnte ihr Blut spüren, es floss nicht durch sie hindurch, aber es schien zumindest existent zu sein. Der Gesichtsausdruck ihr gegenüber verwandelte sich von gelassen zu panisch. „NEIN!", schrie die Frau und versuchte sich zu bewegen. „Nein! Nicht das. Alles nur nicht das.", ihre Stimme bebte und in ihren Augen sammelten sich Tränen. „Dann sag mir was ich wissen will.", forderte Lyra erneut. Die Frau schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Ich kann das nicht.", sagte sie und zitterte am ganzen Körper. „Sag mir die Namen und ich höre auf.", erkläre Lyra ruhig. Sie konnte das Blut der Frau kochen spüren. Ihre großen eingefallen Augen sahen sie traurig an, die Verzweiflung und die Angst waren klar darin zu erkennen. „SAG MIR WEN DU VERRATEN HAST!", schrie Lyra die Frau an und festigte ihren Griff.  Die Frau versuchte sich etwas vorzubeugen, um den Namen in Lyras Ohr zu hauchen.

„Alexandra" Lyra hörte einen stumpfen Schlag von Marcus Faust, welche eine Delle in der Kellertür hinterließ. „Scheiße", konnte sie ihn noch fluchen hören, bevor er aus dem Keller verschwand.  Sie spürte einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf und rieb sich die Augen. Sie fühlte sich etwas übel.  „Was ist denn das?", murmelte sie in sich hinein und verspürte ein Kribbeln welches sich von ihren Lippen aus über ihren ganzen Oberkörper und ihre Arme legte. Es wanderte immer weiter bis zu ihren Füßen.

„Das ist der Preis.", hörte sie die Frau vor ihr lachen. Ihre Beine wurden schwer und brachen unter ihr weg. Sie fiel auf den Boden, spürte die Kälte des Untergrunds in ihrem Gesicht und ihr wurde schwarz vor Augen.

BloodlineWhere stories live. Discover now