Kapitel 30

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In der Bar hatte sich nichts geändert. Laura war immer noch wütend auf Lyra und blickte sie jedes Mal eiskalt an, wenn sie an ihr vorbeiging. Lyra konnte, nicht verstehen, warum sich Laura nicht wieder beruhigte. Leo hatte nicht damit gerechnet Lyra noch einmal wieder zu sehen. Er hatte gedacht, dass sie mit Jonathan durchgebrannt wäre oder sich ihren Traum vom Linguistikstudium doch noch erfüllt hatte. Umso glücklicher war er als sie die Bar betrat, sich ihre rote Schürze umband und ihre Locken in einem Pferdeschwanz bändigte. „Das du dich hier nochmal blicken lässt.", wunderte er sich, als sie ein Tablett nahm und ein paar Tische abräumte.

„Ich hatte ein paar Probleme, die ich klären musste und das hat länger gedauert, als ich dachte.", versuchte sie zu erklären.

„Du hättest dich ja mal melden können."

„Tut mir leid. Ich hatte... es war nicht so einfach die letzten Tage."

„Dir sei vergeben.", sagte Leo mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Er war so viel unkomplizierter als Laura. Leo konnte man nicht so schnell wütend machen und besonders nachtragend war er auch nicht. Trotzdem konnte das seine schlechten Eigenschaften nicht wieder aufwiegen. „Natürlich nur unter der Bedingung, dass du morgen zu meiner Feier kommst. Du hast meinen Geburtstag doch nicht vergessen, oder?", Lyra merkte wie ihr die Kinnlade runterfiel und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie es tatsächlich vergessen hatte. „Wie könnte ich denn sowas vergessen?", antwortete sie und sah zu Laura rüber. „Aber ich denke Laura wird ziemlich schlecht drauf sein, wenn ich dabei bin, also..."

„Sie wird sich ja wohl mal einen Abend zusammenreißen können. Du musst kommen!"

Lyra gab nach. Sie wusste, dass Leo sie so lange mit seiner Party nerven würde, bis sie „Ja" sagte. Vielleicht gab es ja eine Chance mit Laura zu reden und wenn nicht, dann könnte sie auch jeder Zeit wieder gehen.

Jonathan war von Leos Einladung nicht besonders begeistert. Er konnte sich denken, was Leo von Lyra wollte und verstand nicht warum sie so naiv war zu glauben, dass er sie auf der Party nicht Angaben würde. Dieser Kerl hatte das gute Benehmen eines Hooligans aus Westham geerbt, wenn man das überhaupt noch als Benehmen bezeichnen könnte. Jonathan hatte sich fest vorgenommen niemals Sätze wie: „Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben." zu sagen, denn das taten nur alte Menschen. Aber irgendwie hatte sie ja schon Recht und alt war er streng genommen auch.

„Ich habe kein gutes Gefühl, wenn du alleine zu Leo gehst.", versuchte er Lyra umzustimmen. Er wollte nicht direkt sagen, wie sehr er ihren Arbeitskollegen, oder was auch immer dieser Mensch für sie war, nicht mochte.

„Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Ich gratuliere ihm, trinke ein Bier, versuche mich mit Laura zu versöhnen und bin hoffentlich innerhalb einer Stunde wieder zu hause.", beruhigte sie ihn.

„Du gehst nicht wegen Leo hin, oder? Du gehst wegen Laura.", stellte Jonathan erleichtert fest. Er sah, dass es Lyra nicht leicht fiel über Laura zu sprechen. „Ruf mich an, wenn irgendwas ist.", verabschiedete er sich von ihr bevor sie auf dir Party ging.

Sie hätte vielleicht Fragen sollen, ob sie Jonathan mitnehmen könnte. Allerdings war ihr schon klar, dass Leo von dieser Idee nicht überzeugt gewesen wäre und sie es wohl hätte vergessen können mit Laura zu reden. Außerdem hätten dann sicherlich alle gedacht, dass Jonathan und sie sowas wie ein Paar wären und das wäre wirklich seltsam. Wenn sie schon wegen etwas in Erklärungsnot geraten sollte, dann nicht wegen ihm. Leo feierte in der Bar und als sie dort ankam, waren bereits mehrere Leute dort und der Alkoholpegel sichtlich erhöht. Sie erkannte Leo sofort, der mit einer Flasche Schnaps in der Hand irgendein Mädchen antanzte. Er hörte damit sofort auf, als er Lyra sah. „Lyyyyyraaaaaa! Komm her Süße und trink was mit mir.", brüllte er ihr entgegen und fing sofort an ein Mixgetränk für sie zu mischen. Er drückte es ihr in die Hand und sie nippte kurz daran. Es schmeckte scheußlich. „Das schmeckt ja super.", log sie ohne die Miene zu verziehen. „Und: Alles Gute zum Geburtstag. Ich habe dir ja heute noch gar nicht gratulieren können.", fuhr sie fort, nippte nochmal an ihrem Glas und beschloss das Getränk bei nächster Gelegenheit in einen Blumentopf zu kippen. Sie entschuldigte sich, um ihre Jacke ins Lager zu bringen, da wusste sie immerhin, dass sie nicht wegkam. Außerdem konnte sie so quer durch die Bar laufen und Ausschau nach Laura halten. Sie fand Laura an einem Tisch mit ein paar alten Schulkameraden, die Lyra sofort erkannten und sie baten sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen. Sie schaute Laura an um sicher zu gehen, ob das für sie in Ordnung wäre, aber die rollte nur gleichgültig mit den Augen.

Lyra setzte sich also neben die Person, die ihr den Tag zuvor noch Todesblicke zugeworfen hatte und hörte sich an wie erfolgreich alle anderen außer sie selbst waren. „Und studierst du auch?", fragte ihr alter Sitznachbar aus dem Mathekurs. Lyra seufzte als sie erkannte, dass sie eine der wenigen war, die es nicht wirklich zu etwas gebracht hatten. „Du wolltest doch immer Sprachwissenschaften studieren und dann wie dein Vater nach Mumien in Pyramiden suchen."

„Mein Vater war nie in den Pyramiden.", versuchte sie diesem ernüchternden Gespräch aus dem Weg zu gehen und mischte sich ein Getränk, welches genießbarer war, als das vorherige. Die Gespräche an diesem Tisch waren für Lyra ein absoluter Höllentrip. Es war die Bestätigung, dass sie in ihrem Leben versagt hatte. Leo kam ein paar Mal vorbei und jedes Mal wurde ein Schnaps getrunken. Sie überlegte wie sie Laura dazu bringen konnte mit ihr zu sprechen, aber jedes Mal, wenn sie Laura etwas fragte bekam sie bloß einen bösen Blick zugeworfen. In dieser Hinsicht war ihr Plan also gescheitert.

Lyra spürte wie sich die Wirkung des Alkohols in ihrem Körper ausbreitete und beschloss zu gehen, bevor sie völlig betrunken war. Jonathan hatte Recht, es war eine absolut blöde Idee gewesen zu dieser Party zu gehen. Sie ging ins Lager, wo ihre Jacke hing und bemerkte kaum, dass sie verfolgt wurde. Gerade als sie ihre Jacke anzog, hörte sie wie die Schwere Tür hinter ihr zugeschmissen wurde. „Warum willst du denn schon gehen? Wir haben noch nicht mal getanzt.", beschwerte sich Leo und ging auf Lyra zu, welche sich daran erinnerte was Leo das letzte Mal versucht hatte, als er so betrunken war, „Es ist schon spät, Leo. Ich muss wirklich nachhause.", versuchte sie ihn loszuwerden und versuchte sich an ihm vorbei zu drängen. Auch wenn Leo zu diesem Zeitpunkt schon sehr betrunken war, schaffte er es doch sie aufzuhalten und hielt sie an der Hüfte fest. „Was willst du Leo?", fragte Lyra unsicher und wurde gegen die Tür gedrückt. Leo kam ihr so nah, dass sie allein von seinem Atem hätte betrunken werden können. „Du weißt genau was ich will.", raunte er in ihr Ohr und kam ihr dabei immer näher. Eine seiner Hände wanderte zwischen ihre Oberschenkel, während er an ihrem Ohrläppchen knabberte. „Nein, Leo!", sagte sie entschlossen und versuchte ihn von sich wegzudrücken, vergeblich. Bevor sie hätte schreien können presste er seine Lippen auf ihre. Sein Atmen wurde schneller, seine andere Hand wanderte unter ihr Shirt und drückte Lyra weiter gegen die Tür. Alles in ihr zog sich zusammen. Sie wollte schreien, rebellieren, sich irgendwie gegen Leo wehren, aber sie schaffte es nicht. Sie war zu schwach. Das letzte Mal als ihr Leo zu nah gekommen war, hatte Jonathan sie aus der Situation befreien können. Er meinte, er könnte es spüren, wenn sie in Schwierigkeiten steckte. Wo war er jetzt? Lyra spannte ihren Kiefer an und versuchte keine Schwäche zu zeigen. Sie versuchte immer noch ihn von sich wegzudrücken, aber sie war einfach zu schwach dafür. Zwischen ihren Beinen spürte sie nicht mehr nur seine Hand auf und abgleiten. Sie konnte deutlich seine Erektion spüren. Lyra würde übel und sie schloss ihre Augen, in der Hoffnung, dass es gleich vorbei sei.

„Es wird nur ganz kurz wehtun und danach ist es gar nicht mehr schlimm.", erklärte Lydia ihr, doch sie verstand nur die Hälfte. Die Schmerzmittel raubten ihr jeden Verstand, trotzdem erfüllten sie nicht ihren Zweck. Alles was sie hörte war, dass es wehtun würde. Sie sah Daniel auf sie zukommen mit einem Steinharten Gesichtsausdruck. Er war entschlossen. Sie war verzweifelt. Er beugte sich über sie und strich mit einem Finger über ihren Körper, bis zwischen ihre Beine. Ihr wurde schwindelig. Sie versuchte ihn wegzustoßen.

Als Lyra ihre Augen wieder öffnete, sah sie in Leos vor Angst verengte Pupillen. Sein Atem war stehen geblieben, seine Hände berührten ihren Körper nicht mehr. Er drückte sie nicht länger gegen die Lager Tür und Lyra realisierte, dass sie ihre Hand gegen sein Herz drückte. Leo röchelte ein „Was ist das?", bevor er vor ihr zusammensackte und auf den Boden aufschlug. Sie zitterte am ganzen Körper und schaute auf ihre Hände und dann auf Leo herab. Er bewegte sich nicht. Wie versteinert stand Lyra im Lager und starrte auf Leo, der reglos am Boden lag. Erst später begriff sie was geschehen war und sie löste sich aus ihrer Starre. „Leo?", fragte sie erschrocken und rüttelte an seinen Schultern. „LEO!", schrie sie ihn an, aber er reagiere nicht. Panik stieg in ihr auf. Was hatte sie getan? Zitternd zog sie ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die einzige Nummer, die ihr einfiel.

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