Kapitel 8

14 2 0
                                    

„WAS ZUM TEUFEL HAST DU DIR DABEI GEDACHT?", brüllte Jonathan, als er die Tür zu Lydias Bibliothek aufriss. Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass Lyra es selbst von Lydia erfahren wollte, aber sie schien zunächst keine Absichten zu haben, die Hohepriesterin zu sehen. Wütend schritt er auf Lydia zu, er hätte ihr am liebsten die Kehle aufgerissen, doch er kam nicht weit. Lydia hatte einen Schutzzauber gesprochen, der sie vor ihm zu schützte. Eine feige Reaktion, welche Jonathan keines Falls abschreckte. Er konnte zwar nicht nah an sie herantreten, aber das brachte er fürs erste auch nicht. „Den Dolch in Tränen einer Banshee zu tauchen hätte ich nicht mal von dir erwartet.", fuhr er sie an und ging den Raum auf und ab, wenn er ihr schon nicht näherkommen konnte. Lydia schien das wenig zu beeindrucken. Sie saß seelenruhig auf ihrem Sofa, legte das Buch, welches sie zuvor noch gelesen hatte zur Seite und sah Jonathan mit eiskaltem Blick an. „Mein Beileid zu deinem Verlust.", bekundete sie, musste allerdings lächeln als sie merkte wie absurd dieser Satz aus ihrem Mund klang. „Und dabei hatte ich mich schon so auf euer Verbindungsritual gefreut.", seufzte sie in sarkastischem Ton. Jonathan lachte spöttisch. „Dann freut es dich sicher zu hören, dass es nach wie vor stattfinden wird.", verkündete er und versuchte näher an die Hexe zu kommen. Lydias Mundwinkel glitten unverzüglich Richtung Boden. Sie wusste es nicht. Sie hatte tatsächlich gedacht, dass sie ihren Sohn gerächt hätte. „Was sagst du da?", flüsterte sie, mehr zu sich selbst, als zu ihrem Besuch.

„Du glaubst doch nicht, dass ich eine Navid so einfach sterben lasse? Die Hexen aus ihrer Familie pflegten schon immer einen sehr kooperativen Umgang mit meiner Art und da sie die rechtmäßige Hohepriesterin der Hexen von Devon ist...", begann Jonathan zu erklären, aber Lydia schnitt hm das Wort ab. „SCHWEIG!", unterbrach die Hexe ihn. Ihr Kopf war knallrot und Jonathan konnte das Blut in ihren Adern pulsieren hören. Er hatte wohl ihren wunden Punkt getroffen. „Was hast du getan? Sie war nicht mehr zu retten. Sie müsste tot sein!" Jonathan lachte. Lydia leiden zu sehen machte ihn auf eine gewisse Weise glücklich. „Ich bin dem Tod seit über vierhundert Jahren aus dem Weg gegangen. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mich durch ein bisschen Gift aufhalten lasse." Lydia war fassungslos. Es war schon schwer genug an die Tränen der Banshee zu gelangen. Es war eins der seltensten und gefährlichsten Gifte, das sie kannte. Sie hätte niemals daran gedacht, dass sie in ihrem Vorhaben versagen würde. „Morgen ist Neumond, Lydia. Ich erwarte, dass du der Zeremonie beiwohnst." Er hätte ihr zu gerne ihr Herz aus der Brust gerissen und einen Schluck ihres Blutes gekostet, doch die völlige Desillusionierung der Hohepriesterin durch ein Zusammentreffen mit Lyra war fürs Erste ausreichend Genugtuung für ihn.

Lyra hatte es sich gerade auf ihrem Sofa gemütlich gemacht, hielt in deiner Hand eine Tasse Tee und in der anderen ihre Fernbedienung, da klingelte es an ihrer Tür. Sie hoffte, dass es nicht Jonathan wäre, er war so ziemlich die letzte Person, die sie an ihrem letzten Tag in Freiheit sehen wollte. Nachdem sie erfahren hatte, was seine wahren Intentionen bezüglich ihrer Familiengeschichte waren, hatte sie einen Grund mehr ihm aus dem Weg zu gehen. Selbst wenn die Geschichte von dieser ‚Meisterin' nur eine Legende war - und Legenden sind üblicher Weise erfunden - war sie sich nicht sicher, ob sie den Rest ihres Lebens mit einem Fanatiker verbringen wollte. Es war schon schlimm genug als Kind mit den Obsessionen ihres Vaters klar zu kommen. Es war ja in Ordnung seinen Job zu lieben, aber dass er sich mehr um persische Tontafeln als um seine eigene Tochter kümmerte, war für Lyra nur schwer zu verkraften. Sollte sie es jetzt wieder mit so einem Antiquitätenfanatiker zu tun haben musste sie irgendwas finden um Jonathan davon abzubringen. Zögerlich stellte Lyra ihre Teetasse auf dem Tisch ab und ging Richtung Tür.

In der Tür stand glücklicherweise Laura mit einem großen Becher Eis in der Hand. „Zeit für die Henkersmahlzeit.", verkündete sie mit trällernder Stimme und stürmte in die Wohnung. „Das ist keine Hinrichtung, mir steht nur ein Pakt mit einem Vampir bevor, der mich für immer an ihn binden...verdammt du hast ja Recht. Ich bin totgeweiht.", schloss Lyra. Dabei fiel ihr auf, dass sich das Wort ‚Vampir' für sie seltsamer anhörte, als Laura Recht zu geben. Mit einem Seufzer schmiss sie sich zu ihrer Freundin auf das Sofa und öffnete den Eisbecher. „Wenigstens scheinst du wieder besser mit ihm klarzukommen. Immerhin hast du bei ihm geschlafen.", plapperte Laura, wobei ihr Gesicht verriet, dass sie von Lyra erwartete das ‚bei' durch ein ‚mit' zu ersetzen. „Vergiss es, Laura. Da ist nichts passiert. Ich war nur krank und er hat mir geholfen. Das ist alles." Lyra kam sich vor als würde sie lügen. Tat sie ja auch, denn sie verschwieg ihrer besten Freundin, dass sie fast gestorben wäre. Andererseits wusste Laura für einen Menschen ohnehin viel zu viel und Lyra wollte sie mit so wenig wie möglich belasten. Es war erschreckend genug, dass Laura die Tatsache, dass Jonathan ein Vampir war mit einem Schulterzucken hingenommen hatte und nur meinte: „Du bist 'ne Hexe. Mich wundert gar nichts mehr." Trotzdem war sie einer der wenigen Menschen, der Lyra auf dem Boden hielt. Jetzt starrte sie Lyra allerdings ungläubig an. Natürlich erwartete sie die Story des Jahrzehnts, vor allem, weil es bei ihr mit den Männern eher mäßig lief. „Ich habe ihm in den Vorgarten gekotzt. Glaub mir, spätestens ab der Stelle war es nur noch seltsam.", versuchte Lyra ihre Freundin abzuwimmeln. Diese sah sie verdutzt an und begann sofort darauf an zu lachen. Es war ein Lachen, das andere sofort mitriss und so musste auch Lyra bald darauf losprusten. Beide lagen sich mit Tränen in den Augen in den Armen und schnappten nach Luft. „Wir haben schon echt Glück mit den Männern.", meinte Laura. „Das stimmt wohl.", erkannte Lyra.

Den nächsten Abend war Lyra nur halb so gelassen wie an dem zuvor. Es war Neumond und sie wusste nicht genau was auf sie zukommen würde. Zwar hatte sie in den alten Büchern ihrer Mutter nach dem Pakt gesucht, den sie in ein paar Stunden schließen würde, konnte ihn aber nicht finden. Überhaupt hatte ihre Mutter in ihren Grimmoirs kein einziges Wort über etwas wie einen Pakt verloren. Über Vampire hatte sie genau so viel geschrieben - gar nichts. Lyra fühlte sich wieder so verlassen wie an dem Tag an dem ihr Vater meinte, sie soll zu Lydia ziehen. Auch wenn sie ihre Zukunft mit Jonathan verbringen würde, konnte ihr keiner das Gefühl nehmen alleine zu sein.

Laura versuchte sie die Schicht über aufzumuntern, aber es gelang ihr nicht so richtig. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie ebenfalls nicht so ganz von dem Pakt überzeugt war. Lyra wischte gerade die Theke ab, als das Türglöckchen klingeln hörte. Jonathan kam in die Kneipe um sie abzuholen. Er setzte sich zu ihr an die Bar und schenkte ihr ein charmantes Lächeln. "Du bist zu früh, ich habe noch zehn Minuten.", bemerkte Lyra mit einem Blick auf die Uhr. Noch zehn Minuten die nur ihr gehören sollten.  "Ich dachte mir, dass du vielleicht was trinken willst.", war Jonathans Antwort. Lyra musste lachen und schüttelte den Kopf. "Gar nicht mal so eine schlechte Idee.", erkannte sie und schenkte sich selbst und Jonathan Whiskey ein. Die Situation war seltsam. So sehr sie sich auch bemühte sich in irgendeiner Weise mit Jonathan anzufreunden widerstrebte ein Teil in ihr der Gesellschaft des Vampirs. Sie fühlte sich in zwei Hälften gerissen, die eine, die ihrer Mutter vertrauen und sich mit dem Pakt arrangieren wollte, und die andere, die in ihr schrie die Beine in die Hände zu nehmen und so schnell wegzulaufen wie sie nur konnte. Auf die lange Bank würde das nicht gut gehen, das wusste sie, aber was hatte sie denn für Optionen?

"Wir sollten los.", sagte Jonathan als die Gläser leer waren. Er sah, dass Lyra deutlich lockerer war, wenn sie nur etwas getrunken hatte. Auch wenn ihm die lockere Lyra besser gefiel als die ernste, gelegentlich etwas aggressive Lyra, erschreckte es ihn wie wenig Alkohol sie vertrug. Er hatte sein Auto vor der Kneipe geparkt, so würden sie schneller ins Dartmoor gelangen. Die Hexen hatten darauf bestanden, dass die Zeremonie in einem Hain stattfand, vielleicht dachten sie so mehr Macht zu haben, falls er ein Massaker starten sollte. Zu ihrem Glück war ihm in dieser Nacht nicht danach. Er wollte Lyra die Wagentür öffnen, aber sie war, zu seinem Erstaunen, schneller als er. "Ich kann alleine einsteigen.", erklärte sie mit leicht gereiztem Unterton. Ein Drink für Unterwegs wäre nicht falsch gewesen. Er startete den Motor und ließ sich von Lyra soweit navigieren wie sie mit dem Auto fahren konnten. Er war froh, dass er nicht alleine herfinden musste. Auch wenn er nachts sehr gut sehen konnte, sah das Dartmoor überall gleich aus. Wie zu erwarten stieg Lyra genauso alleine aus wie sie eingestiegen war. Wie sollte er sie davon überzeigen, dass er eigentlich eine sehr nette Person war, wenn sie ihm nicht die Chance dazu gab. "Wir müssen in diese Richtung laufen.", erklärte sie und zeigte in den Wald hinein. Sie begann sich ihren Weg in den Wald zu bahnen, stellte sich aber sehr ungeschickt an. Schon nach den ersten Metern fiel sie über eine Baumwurzel. "Scheiße, warum liegt hier ein beschissener Ast rum?", fluchte sie. Jonathan musste erkennen, dass ihre Tollpatschigkeit in gewisser Weise süß war. Sie rappelte sich wieder auf, nur um gleich darauf wieder zu stolpern. "Warte ich geh' vor, nimm meine Hand.", bot Jonathan an. Schritt an Lyra vorbei und nahm ihre Hand. Sie zog diese sofort wieder zurück. "Wenn ich mit dir Händchen halten wollen würde wären wir jetzt im Kino und nicht auf dem Weg zu einem verfluchten Hexenhain.", pampte sie ihn an und ging weiter. "Ich denke nicht, dass wir dort ankommen werden, wenn du so weiter machst." Lyra rollte die Augen, sah aber anscheinend ein, dass Jonathan Recht hatte. Sie griff nach seinem Arm und stapfte hinter ihm her. "Nicht mit den Augen rollen.", sagte er um sie zu ärgern. „Das kannst du unmöglich gesehen haben."   "Ich bin ein Vampir, vergiss das nicht."

BloodlineWhere stories live. Discover now