Tote Menschen leben nicht

610 20 0
                                    

Langsam wandere ich über das Schlachtfeld. Die Regentropfen platschen auf meine durchnässten Haare. Fallen auf die schon schlammige Erde. Die gefallenen Menschen. Es hört sich unterschiedlich an, wenn das Wasser auf Leder, Stoff oder Stahl aufkommt. Das, schon langsam geronnene Blut, wird durch die neue Flüssigkeit wieder aufgewirbelt und in den Vertiefungen, die von dem vorherigen Kampf stammen, sammelt sich das Gemisch aus Blut, Wasser und Körperflüssigkeiten. Bis auf den Regen und meine eigenen Schritte ist nichts zu hören. Keine Vögel, die sich sonst sofort auf das gefundene Fressen stürzen. Keine Überlebenden. Keine Trauerrufe. Alles ist einsam. Still. Zumindest kann ich nichts hören. Wobei meine Ohren noch vom Lärm der aufeinander treffenden Schwerter, Beile und Speeren dröhnen. Das Geschrei der Männer. Das Wiehern der Pferde, wenn sie getroffen wurden. Ein albtraumhafter Anblick für ein Kind.

Meine eh schon dünne Kleidung, welche mich selbst an einem normalen Tag kaum wärmen würde, klebt an meinem Körper und macht Bewegungen schwieriger. Mir ist kalt. Wind kommt auf und lässt mich vor Kälte erzittern. Meine dunkelbraunen Haare hängen in Strähnen in mein Gesicht und verdecken teils die Sicht auf das Schlachtfeld. Ich habe Schwierigkeiten im Schlamm und ohne Schuhe halt zu finden. Der feuchte Untergrund quetscht sich bei jedem Schritt zwischen meinen Zehen hoch und ich habe schon kein Gefühl mehr in ihnen. Weit und breit ist niemand zu sehen, der mir helfen könnte. Oder eine Gefahr wäre.

Überrascht kreische ich auf, als sich eine Hand um meinen Unterschenkel windet und sofort springe ich auf die Seite. Keuchend und mit riesigen Augen starre ich auf die Stelle. Ein Mann liegt auf dem Rücken. Die Augen halb offen. Die langen schwarzen Haare liegen wirr auf dem Boden. Der Bart ist blutgetränkt. Seine Rüstung ist die eines Heerführers. Hat er den Angriff gestartet? Hat er den Angriff versucht zu bezwingen? Ich weiß es nicht. Ich war nicht dabei, als es begonnen hat. Seine Stimme ist leise und ich sehe mich schnell um. Mein erster Gedanke ist das weglaufen! Aber lange wird er eh nicht mehr leben. Hier ist alles abgeschlachtet worden. Und er wird als eine unbekannte Leiche in die Erde aufgenommen werden.

Mein Herz rast vor lauter Angst und Unsicherheit! Dennoch knie ich mich zu ihm hinunter. Direkt neben seinen Kopf. "Schlaft, Herr. Zwingt Euch nicht zum Leben. Es ist alles vorbei. Niemand lebt mehr, außer Ihr.", sage ich leise und mit meiner kindlichen Stimme. Aber laut genug, um den Regen zu übertünchen. Sein Mund geht auf, um etwas zu erwidern und ich habe Mitleid. Ein sanftes Lächeln zeigt sich auf meinem Gesicht und die Umgebung ist mir egal. Vorsichtig lehne ich mich nach vorn und lege ihm eine Hand auf die Wange. "Schlaft nun. Ich werde-" "SCHNAPPT SIE!", brüllt jemand und ich reiße meinen kleinen Kopf herum. Männer kommen auf mich zu. In schweren Rüstungen. Panisch springe ich auf und weiche zurück. Ein letztes Mal sehe ich dem sterbenden Mann in die Augen, ehe ich mich umdrehe und laufe.

Laufen, Laufen, immer nur laufen. So weit und so schnell es geht! Wer auch immer das war. Was auch immer sie wollten. Sie werden mich nicht bekommen. Sie werden es nicht schaffen, mein Leben auch noch auszulöschen! Oder waren das überhaupt Soldaten? Sie hatten schwere Rüstungen an. Schwerter und Speere. Ich muss weiter. Immer weiter! Fliehen! Mein Leben behalten! Diesmal ohne Angst vor den Leichen, laufe ich an ihnen vorbei. Springe über sie drüber. Das Kleid macht es mir nicht einfach. Es verhakt sich oftmals und zerreißt mit einem ekelhaften Geräusch. Doch das ist, so glaube ich, eines meiner kleinsten Probleme. Der Regen wird durch den Wind peitschend gegen mein Gesicht und meinen Körper geschlagen. Es brennt. Es tut weh.

Aber so tun es auch meine Beine. Sie brennen. Meine Füße tun weh. Mein Atem geht stoßweise. Immer wieder rutsche ich auf dem schlammigen Boden fast aus. Stolpere mehr als einmal über Leichen, Waffen oder sonst irgendetwas, was ich im Eifer des Gefechts nun wirklich nicht benennen kann. Gebrüll ist hinter mir zu hören. Sie kommen näher. Wieso kommen sie näher? Ich laufe so schnell ich kann! Und sie haben die Rüstung an! Hinter mir sind die Schritte zu hören. Platschende Schuhe, die nach mir durch den Schlamm laufen. Schwer und doch verdammt schnell. Zu schnell für mich. Ich bin doch nur ein Kind. Sieben Jahre! In der ferne kann ich den Anfang des Waldes sehen. Darin kann ich mich verstecken! Das ist meine einzige Rettung, bevor mit mir... was weiß ich angestellt wird. Ich will es nicht wissen.

Trotz der sich langsam einstellenden Erschöpfung, da ich das Laufen nicht wirklich gewohnt bin, nehme ich mir noch einmal alle Kraftreserven zusammen und nutze sie, so gut es geht. Meine Panik und Angst macht einen Großteil meiner Geschwindigkeit aus. Meine Lungen brennen. Der Regen läuft mir in meine Augen, aber ich wische ihn nur weg und laufe weiter. Lasse mich von nichts irritieren. Bahne mir meinen Weg durch die tausenden Toten, die hier überall herum liegen und wirklich tot sind. Niemand greift mehr nach mir. Immer wieder brüllen die Männer, dass ich anhalten soll. Hat das jemals funktioniert? Hat dieser Satz jemals funktioniert?! Gedanken an mein Heim kommen hoch. An meine Familie. Ich kann sie nicht allein lassen. Ich muss wieder zurück! Ich will zu meiner Mama!

Die Bäume kommen immer näher und immer mehr habe ich das Gefühl, dass ich sicher sein könnte. Ich hätte meiner Neugierde nicht folgen sollen. Wieso folge ich immer meiner verdammten Neugierde! Ich wäre überraschter, wenn ich mal nicht in Probleme geraten würde. Aber bisher stand noch nie so wirklich mein Leben dabei auf dem Spiel! Ich will nicht sterben. Ich will wieder zurück zu meiner Familie! Sie wird sich eh schon fragen, wo ich bin. Werden sie sich Sorgen machen? Als ich die Grenze des Waldes erreiche und in das Gewirr aus Stämmen, Büschen und mir unbekannten Pflanzen eintrete, ändert sich sofort die Stimmung und ich fühle mich mit einem Mal wohler. Noch nicht ganz außerhalb der Gefahr, aber sicherer. So gut es mir möglich ist versuche ich, mich um die Bäume zu winden und den Männern hinter mir keine Chance zu lassen, mich zu schnappen. Solche Berg- und Talfahrten der Gefühle und Emotionen hatte ich schon lange nicht mehr. Das letzte Mal, als ich länger aufgeblieben bin, als Mama es erlaubt hat!

Once I was seven years oldWhere stories live. Discover now