Die Gerüchteküche brodelt

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Langsam drehe ich meinen Kopf und sehe Lady Integra direkt in die Augen. "Sie wollen ihm Vampirblut geben?", frage ich ein wenig fassungslos und kann es einfach nicht glauben. Vampirblut. Es ist mächtig. Heilt alles, wenn es um Verletzungen geht. Aber es ebnet den Weg für ein unwiderrufliches emotionales Band, wenn der Vampir von der Person trinken sollte, welcher er das Blut gegeben hat. "Ich bin vielleicht schon länger keinem anderen Vampir mehr begegnet. Aber ich meine zu wissen, dass das Band immer noch existiert. Das ist ein verdammt großes Risiko!" Und etwas anderes fällt mir auch noch ein und ich deute auf mich. "Und wie soll ich erklären, dass mein Patient eine Wunderheilung hatte? So eine Wunde braucht Monate, bis sie wieder einigermaßen in Ordnung ist! Egal, wie schnell eine menschliche Wundheilung sein kann! Wie?!"

Zufrieden lächelt die Lady nur. Sie ist mehr als gelassen. "Es wäre doch nur unauffälliger, wenn Sie zu mir kämen, nicht wahr? Alucard wird Pip so oder so sein Blut geben." Ihr lächeln wird ein wenig... nicht bösartig. Dämonisch. "Also entweder sie finden eine Erklärung, wieso die Wunde so wunderbar schnell zugeheilt ist, oder Sie kommen mit. Für mich ist es kein Problem, Sie aus diesem Krankenhaus zu bringen. Verträge konnte ich schon immer schnell auflösen." Kalte Wut steigt in mir auf. Das hat sie geplant. Sie hat es geplant! Ich kann es nicht fassen. Sie hat das alles bis auf die kleinste Reaktion meinerseits ausgetüftelt. Bin ich so vorhersehbar? Kann man mich so leicht durchschauen? Es braucht meine gesamte Selbstbeherrschung, sie jetzt nicht einfach zur Sau zu machen. Meine Wut zu zügeln. Trotzdem merke ich, wie mein linkes Auge zuckt.

Für einen Moment schließe ich meine Augen. Beruhige dich. Beruhige dich. Wenn du jetzt sauer wirst, passiert etwas noch Schlimmeres. Und du willst hier kein Massaker anrichten. Mit Seras könnte ich es wahrscheinlich noch aufnehmen. Alucard wird etwas schwieriger. Wenn nicht sogar unmöglich. Langsam öffne ich meine Augen wieder und sehe in die, meines Gegenübers. "Ich werde weder zulassen, dass Sie ihn verlegen. Noch, dass ihm Blut eingeflößt wird. Und damit..." Ich drehe mich um und rase zu Alucard, der schon eine blutende Hand zu Mister Bernadotte ausstreckt. Schnell packe ich ihn an seinem Handgelenk und sehe ihn warnend an. "Werde ich gleich anfangen. Finger weg von meinem Patienten." Der schwarzhaarige sieht zu mir hinunter, ehe seine Mundwinkel hoch gehen und er abwehrend seine Hände hebt, während er einen Schritt zurück weicht und ich ihn los lasse.

"Ach kommen Sie schon, Doktor Kindred. Sie würden doch nichts verpassen, wenn Sie nicht hier sind, oder?", fragt Mister Bernadotte und ich sehe ihn an. "Und wie kommen Sie auf diese Idee?" Mein Blick geht wieder zu Alucard und zu Seras, die aber beide neben Lady Integra stehen. "Ich habe einiges mitgekriegt. Es gehen Gerüchte um, Frau Doktor. Affären. Kündigungen. Drohungen. Es ist nicht alles so schön, wie Sie es sich einreden und behaupten." Ernster als ich kann man im Moment nicht sein. Und mehr Selbstbeherrschung aufbringen, als ich es im Moment tue, tut wahrscheinlich keiner. "Gerüchte sind Gerüchte, Mister Bernadotte. Die gibt es überall." Der langhaarige fängt das Schmunzeln an. "Aber von anderen Ärzten höre ich nichts. Weder Gerüchte. Noch, dass sie Sie verteidigen würden."

Ich lege eine Hand um das Bettgestell und lächle leicht und mehr als nur gezwungen. "Vielleicht kümmern sie sich um ihren eigenen MIST, Mister Bernadotte. So, wie Sie es auch tun sollten." Wieso provozieren sie mich heute alle? Der Tag hätte so schön verlaufen können. So schön! "Machen Sie es einfach, Doktor Kindred. Springen Sie über Ihren eigenen Schatten! Wir könnten Sie sicherlich gut gebrauchen! Umsonst würde die Lady Ihnen nicht anbieten, bei uns-" Während er angefangen hat zu reden, habe ich meine Aufmerksamkeit auch auf den beiden Vampire gehabt. Und Alucard musste sich ja wieder zu uns bewegen. Das erste Mal seit einer sehr, SEHR langen Zeit knurre ich wirklich wieder. Und während sich Alucards Knurren mehr nach Wolf anhört, ist mein Knurren tiefer. Der Vergleich von meinem alten Meister? Wie ein Alligator.

Langsam zeige ich meine Zähne, die spitz werden und merke, wie meine Augen das funkeln anfangen. Der schwarzhaarige bleibt stehen und richtet sich auf. Betrachtet mich eingehend, ehe er erneut abwehrend die Hände hebt und wieder zurück weicht. Sofort höre ich mit den Lauten auf und alles andere wird ebenfalls wieder normal. "Wenn ich einen von euch hier sehe, außer ich habe es angeordnet, weil ich den Patienten entlasse, wird es ein Problem geben. Solange er hier ist, wird keiner von euch dieses Zimmer, oder das Zimmer in welchem Mister Bernadotte ist betreten, OHNE meine ausdrückliche Erlaubnis und nur in meinem Beisein." Lady Integra sieht nun ausnahmsweise nicht so aus, als hätte sie DAS vorhergesehen.

Es braucht einen Moment, bis sie seufzt und nickt. "Verstanden. Es ist eine Schande, dass Sie nicht zu uns kommen wollen, aber ich werde dieses Angebot nicht zurück ziehen. Sollten Sie es sich noch einmal anders überlegen, dann melden Sie sich bitte." Die blondhaarige Frau holt aus einer der Jackentaschen eine Karte heraus, kommt zu mir und übergibt mir eine weiße Visitenkarte. Darauf zu sehen ist nur eine Nummer. Keine Adresse oder ähnliches. "Entschuldigen Sie bitte für die Unannehmlichkeiten. Wir werden nun gehen." Ich nicke ihr zu und beobachte aufmerksam, wie Seras die Tür öffnet, die Lady und Alucard raus gehen und die kleine blondhaarige Vampirin die Türe wieder schließt.

"War es das wirklich wert? Auf dem Anwesen-" "Wenn Sie noch ein Wort darüber verlieren, werde ich Ihnen einen langen Schlaf verpassen.", unterbreche ich sauer und stecke die Karte weg, bevor ich aus dem Krankenzimmer gehe und eine kleine Notfallbesprechung einberufe, um das Personal und die Ärzte in alles einzuweisen. Und nun wissen auch alle Bescheid, dass diese drei Individuen nur mit MIR in dieses Zimmer und zu diesem Patienten dürfen. Und untertags wird jede Stunde nachgesehen, wie es Mister Bernadotte geht. Die Nachtschicht werde ich übernehmen. Schlaf? Braucht ein Vampir. Aber nicht so viel. Da werde ich das doch wohl aushalten können.

Die nächsten Tage ist es alles andere als routinemäßig. Es kommen außergewöhnlich viele Operationen in meinem Fachgebiet auf mich zu und ich habe kaum Zeit, nach dem Herren zu sehen. Aber ich bin zufrieden, denn zwei Mal wurden die Versuche untertags unterbunden, zu Mister Bernadotte zu gelangen. Und in der Nacht habe ich Alucard sogar drei Mal aufhalten können. Beim ersten Mal war er durchaus überrascht, dass ich persönlich da bin. Beim zweiten Mal war er genervt und beim dritten Mal hat er nur den Kopf aus dem Schatten gehalten, mich gesehen und ist dann wieder verschwunden. Angenehm, wenn der Anblick schon ausreicht. Der einzige Nachteil? Ich habe schon lange nicht mehr geschlafen. Und das zehrt an mir.

Once I was seven years oldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt