Danke, aber nein danke

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"Genug! Es reicht!", ruft Integra, doch ich höre nicht ganz. "Alucard. Halte sie auf. Das ist ein BEFEHL!" Als hätte er vorhin nur gespielt, finde ich mich im nächsten Moment auf dem Boden wieder. Mein Gesicht wird auf den Boden gedrückt, sein Fuß steht darauf. Ich versuche zwar, meinen Kopf unter seinem Stiefel hervor zu ziehen, aber es klappt nicht. Ich starre ihn immer noch sauer an. Bereit, ihn weiterhin zu bekämpfen, wenn es sein muss! Meine Wut bin ich noch lange nicht los geworden. Schritte kommen auf mich zu. Schuhe treten in mein Blickfeld und ich sehe zu ihnen, ehe ich an ihnen hoch sehe. Lady Integra ist in die Hocke gegangen und sieht mich prüfend an. "Sie sind eine große Bereicherung für das Team, Doktor Kindred. Nur, vielleicht sollten Sie mal über eine Aggressionsbewältigungstherapie nachdenken."

Sie steht wieder auf. "Alucard? Lass sie los." Augenblicklich geht der Stiefel von meinem Kopf und ich rapple mich auf. Wackle mit meinem Kiefer hin und her. Kurz knackt er, bevor alles wieder gut ist. Was bildet sie sich ein. Was bildet sich dieser Mensch ein?! Zwar will ich wieder auf sie losgehen, aber Alucard würde mich sofort in Stücke reißen. Denn wenn diese Geschwindigkeit und diese Kraft das ist, was ein einzelner Befehl des Aufhaltens auslösen kann, will ich die anderen Befehle und deren Auswirkungen nicht kennen lernen. Zumindest nicht an mir. Mein Blick geht zu dem schwarzhaarigen, welcher sich gelassen Mantel und Hut anzieht, ehe er die Waffen aufhebt. Dann sehe ich zur Lady, die mir einen Kugelschreiber hin hält, um den Vertrag zu unterschreiben.

Mit einem letzten Knurren drehe ich mich um und gehe aus dem Raum. Vorbei an Seras und den restlichen Männern, die wahrscheinlich die Schüsse und den Tumult gehört haben. Sie machen mir Platz. Lassen mich durch, ohne dass ich sie anfassen muss. Ich kann noch ein: "Lass sie.", von der Lady hören, ehe ich im Schatten verschwinde und einfach nur nach draußen abhaue. An der frischen Luft komme ich wieder heraus und schließe meine Augen. Nein. Ich stehe nicht direkt vor dem Anwesen. Ich stehe AUF dem Anwesen. Sehe mich um und setze mich dann auf den kalten Untergrund. Immer wieder balle ich meine Hände zu Fäuste, lasse los und mache es erneut. Verziehe sauer mein Gesicht. Presse meine Kiefer aufeinander und starre über die weite Ebene.

Langsam aber sicher beruhige ich mich. Bin aber immer noch sauer. Nicht wegen der Lady oder Alucard. Sondern wegen mir selbst. Ich, die ruhige und eigentlich friedliche Ärztin, hatte einen Aussetzer und habe gekämpft. Blut des Urvampirs getrunken. Was jetzt im Nachhinein komplett bescheuert ist, aber mir im Eifer des Gefechts logisch erschien, da es mir Kraft verlieh. Während meine Beine über die Kante des Gebäudes nach unten hängen, lasse ich meinen Oberkörper nach hinten fallen. Mein Blick erneut hoch in die Sterne. Meine Arme zu beiden Seiten ausgestreckt. Bereue ich es? Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht! Einzelne Aktionen schon. Aber ich denke mir Mal, dass ich meinen Standpunkt klar gemacht habe. Mehr als klar. Und auch was ich gewillt bin, zu tun.

"Das kleine Vögelchen ist ja schon mehr ein Kätzchen, nicht wahr?" Alucards Machtausstrahlung hat ihn vor seinem dummen Kommentar angekündigt. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und sehe den schwarzhaarigen auf dem Kopf stehend. "Was willst du. Mich zusammenscheißen, weil ich gebissen habe? Meine Fresse... Tut mir ja leid.", murre ich und sehe dann wieder hoch in den Nachthimmel. Doch Alucard tritt nur in mein Sichtfeld und beugt sich genau über mir nach vorn, um meine Sicht komplett zu verdecken. Er schmunzelt. "Mitnichten, kleines Kätzchen. Mitnichten. Ich habe mich nur gefragt, wo du so das Kämpfen gelernt hast. Es ist durchaus eine... interessante Strategie." Mit verzogener Miene starre ich ihn an, ehe ich mich aufsetze und wieder über die Ebene sehe. Nur nicht zu ihm. "Mein Meister. Sonst noch Fragen?"

Offensichtlich schon. Und offensichtlich dauert das länger, wenn er sich schon neben mich setzt. "Viele. Unter anderem, wie du durch meinen Stiefel gekommen bist. Das ist hochwertige Qualität." Ein wenig amüsiert muss ich jetzt schon schnauben, bevor ich auf seinen Stiefel sehe. Mein Kiefer ist schön darauf abgezeichnet. "Ich würds mal mit regelmäßigem Zähneputzen und Zahnarztbesuchen versuchen.", erwidere ich nur mit einem leichten Schmunzeln, bevor ich wieder ernst werde und mit den Schultern zucke. "Aber Spaß beiseite. Ich habe keine Ahnung, wie ich irgendETWAS vorhin gemacht habe. Ich war einfach nur so sauer, weil sich schon wieder jemand in mein Leben eingemischt hat, ohne zu Fragen und ich den Scheiß hinter mir lassen wollte. Es ist alles wieder hochgekommen. Und dann... Klack. Als wäre ein alter Schalter gefallen."

Ich versinke in Erinnerungen an damals. An meinen Meister. Das Training. Die Zeit nach seinem Tod, in der ich nur gemordet habe. Gestohlen. Belogen und betrogen. Ich habe viele Seelen einkassiert. Und viele wieder verloren. Und meine Gedanken gehen auch an George. Ich versuchte damals, so gut es ging wie ein Mensch zu sein. So zu Leben wie sie! Also heiratete ich. George wusste von Anfang an, was ich bin. Wir waren glücklich! ER war glücklich. Ich blieb in unserem Haus. Wusch die Wäsche. Kümmerte mich um das Essen. Machte alles sauber. Es war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Anfangs lief unsere Ehe wunderbar! Er machte mir kleine Geschenke. Sagte immer wieder, dass er mich liebte. Wie sehr er sich Kinder wünschen würde. Und das nur mit mir! Er half, wo er konnte.

Aber mit den Jahren wurde es immer schlimmer. George fing das Trinken an. Er wurde handgreiflich. Befahl mir alles nur noch in einem harschen Ton. Ich konnte froh sein, wenn er mich zum Einkaufen aus dem Haus lies. Er sagte mir, wann ich aufzustehen und ins Bett zu gehen habe. Wann ich zu kochen und zu waschen habe. Wann er mit mir Sex haben wollte. Ich durfte nichts mehr allein entscheiden. Alles wurde mir vorgeschrieben. Nichts wurde mir überlassen. Und als ich nicht schwanger wurde, wie er es mir auch befohlen hatte, wurde ich einfach so ersetzt. Marinetté. Eine durchaus schöne Frau war sie. Aber dumm wie Bohnenstroh. Ich tötete beide, als ich sie in unserem Bett erwischte und setzte das Haus in Flammen. Floh in die Nacht und habe seit dem nie auch nur einen Fuß in die Nähe des Ortes gesetzt, an welchem ich die beiden umgebracht habe. Und das werde ich auch niemals, wenn sich das vermeiden lässt.

Once I was seven years oldWhere stories live. Discover now