Epilog

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»Die schlagen sich echt die Köpfe ein.« Luke schüttelte den Kopf. Auf seinem Schoß thronte eine gigantische Packung Chips, obwohl wir nur eine halbe Stunde zuvor zu Mittag gegessen hatten.

Ich hätte etwas dazu gesagt, würde ich nicht ebenfalls bereits wieder mit einer Tüte Gummibärchen neben ihm sitzen. Gemeinsam verfolgten wir das Geschehen im Fernsehen. Luke nahm meine Hand, als ich unter den Worten der Nachrichtensprecher zusammenzuckte, der meine Freunde als Verbrecher bezeichnete.

Ich wusste nicht, ob ich froh sein sollte, nicht in die Sache hineingezogen worden zu sein, oder beleidigt, weil sie sogar einen kleinen Kraxler engagiert hatten, von dem es auf YouTube nur wacklige Videos gab. Ich hatte meinen eigenen fangeführten Kanal!

Andererseits war ich wirklich froh, dass Tony und Steve mich aus ihrer Ehekrise heraushielten. Die Katastrophen, denen ich mit den Avengers entgegengetreten war, reichten mir für ein ganzes Leben.

Ich meine ja nur - sie hätten trotzdem anrufen können. Damit ich ihnen all das sagen konnte. Vielleicht hätte ich sie dann alle zur Vernunft bringen können.

Offenbar zogen sie das Chaos vor. Offenbar zogen sie es vor, sich in Deutschland auf einem Flughafen die Köpfe einzuschlagen (ich hätte ihnen sogar eine Rundtour geben können, immerhin hatte ich dort bis zu meinem achten Lebensjahr gelebt!).

Jarek warf sich zu uns auf die Couch. Er hatte sich tatsächlich Mikrowellenpopcorn zubereitet. Er wohnte nicht in unserer Wohnung, die früher einmal unsere WG gewesen war, tat aber so, als würde jedes Zimmer sein Terrain sein. Obwohl er sich jede Woche nur zwei- bis dreimal blicken ließ, lagen überall seine Socken herum. Manchmal saugte ich sie mit dem Staubsauger auf, und obwohl ich jedes Mal behauptete, das sei ein Versehen, muss ich zugeben, dass ich das Geräusch einer aufgesaugten Socke inzwischen zu schätzen gelernt hatte. Anders gäbe es hier keine Ordnung.

»Für wen sind wir?«, fragte Jarek. »Ich meine, klar, Caps Team wurde gerade verhaftet - aber ich kann diesen winzigen Mann irgendwie echt gerne leiden.«

Ich griff in sein Popcorn und bewarf ihn damit. »Untersteh dich, dich auf irgendeine Seite zu schlagen! Sie sind unsere Freunde. Nicht irgendwelche Fernsehprotagonisten.«

»Ach ja?« Jarek stopfte sich das von mir geworfene Popcorn in den Mund. »Warum haben sie dann nicht angerufen?«

»Vielleicht, weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, sich gegenseitig an die Gurgeln zu springen?«, entgegnete ich entnervt. Obwohl ich eigentlich damit nur nicht zeigen wollte, dass ich mir genau diese Frage ebenso gestellt hatte.

»Sieh's ein, Jas«, Jarek kaut noch immer und beschert uns einen Ausblick auf seinen Snack, »die haben uns ersetzt. Wir sind nicht mehr in. Bei den Avengers-Hashtags setzt man nicht einmal mehr unsere Namen drunter.«

Ich stemmte die Fäuste in die Hüften. Einige Gummibärchen fielen aus der Tüte und meine Hündin Upps schnappte sie aus der Luft, ehe ich das überhaupt wahrnehmen konnte. Ich ignorierte es. Wenn jemand sogar Gift verdauen könnte, dann war es Upps. (Und Luke.)

»Wir sind auch keine Avengers«, ermahnte ich Jarek mehr oder minder geduldig. Ich meine, klar, ich hätte schon gerne gesagt, ich würde zu den Avengers gehören - aber ich war lieber deren Sidekick, als mich nun mit den Problemen herumschlagen zu müssen, die sie da beschäftigten. Das Sokovia-Abkommen. Was ich davon halten sollte, wusste ich nicht recht. Im Grunde genommen klang es ganz gut: Kontrolle. Ordnung. Eine neue Welt.

Im Grunde genommen jedoch war genau aus diesen Hoffnungen Ultron entstanden und hatte vielen Menschen von Sokovia erst das Leben gekostet.

»Wir sind für Caps Team«, sagte Luke und warf sich eine Handvoll Chips ein. Er kaute so laut, dass sogar der Nachbar es hätte hören können. »Ich meine, immerhin habe ich keine Lust, dass die euch irgendwann abordern und in irgendeinen Krieg schicken.«

»Wir sind keine Avengers. Oder Superhelden«, entgegnete ich bemüht ruhig. »Wir sind ... Leute, die ab und an auftauchen, und den Leuten, die immer da sind, unter die Arme greifen.«

»Oder in den Hintern treten«, warf Jarek ein. »Das heißt, würden die das zulassen. Aber nein - wir dürfen uns das ganze Chaos im Fernsehen ansehen.«

»Wärst du da, wärst du verhaftet worden«, sagte ich.

Jarek warf sich eine weitere Handvoll Popcorn in den Mund. »Das heißt also, wir sind auf der Seite des Captain?«

»Das heißt, ihr geht mir auf die Nerven!«

»Tony hat allerdings deine Prothese gebaut«, sinnierte Jarek, ohne mich zu beachten, und legte sich die Hand ans Kinn. Er ließ sich inzwischen einen kleinen Bart wachsen, den ich so albern fand, dass ich überlegte, ihn bei Nacht heimlich wegzurasieren. (Oft genug in unserer Wohnung wäre er.)

Luke streckte sein linkes Bein; nachdem in Sokovia eine Mauer ihn kaum hatte gehen lassen wollen und er monatelange Ergotherapien und Rehas mit den besten Ärzten, die Tony hatte auftreiben können, durchgestanden hatte, wirkte die schwarze Prothese beinahe wie sein richtiges Bein. Er humpelte selten, stolperte manchmal höchstens über seine eigenen Füße. Aber das hatte er auch schon vorher getan; da änderte eine Prothese nichts dran.

»Du hast recht«, entschied Luke. »Der Cap mag euch vor Kämpfen bewahren, die ihr nicht fechten wollt, aber ich mag es lieber, durch die Gegend zu sprinten.«

Jarek hob eine Augenbraue. »Ist das etwa Sarkasmus?«

»Natürlich ist das Sarkasmus«, warf ich dazwischen. Inzwischen hatte ich den Fernseher stumm geschaltet, um diesem blöden Nachrichtensprecher nicht länger lauschen zu müssen. Als mich zuletzt das Finale einer Staffel aufgeregt hatte, waren wochenlang Kleeblätter aus dem DVD-Player gesprossen, und jetzt war ich so wütend wegen all der falschen Behauptungen, dass ich die Röhre am liebsten aus dem Fenster hätte fliegen lassen wollen. »Es ist Sarkasmus, weil wir nicht darüber diskutieren werden, welchen unserer Freunde wir lieber mögen. Wir hoffen, dass die da heil wieder herauskommen. Und dass sie bis zu unserer Standpauke überleben und sich nicht vorher gegenseitig in Fetzen reißen.«

Luke und Jarek tauschten einen Blick. Dann zuckten sie zeitgleich mit den Schultern und ließen sich gegen die zerschlissene Lehne der Couch sinken. »Ist auch eine Variante«, murmelte Jarek in seinen leider nicht mehr imaginären Bart. »Wir warten einfach darauf, wer auf der Siegerseite steht, und begeben uns dann glücklich auf dessen Seite.«

Ich schlug ihm gegen den Hinterkopf. Dann schaute ich auf die Uhr und seufzte tief. »Ich muss jetzt los. Mein Nachmittagskurs erwartet mich sicherlich bereits sehnsuchtsvoll.«

Nach kurzem Überlegen stopfte ich die angefangene Gummibärchentüte in meinen Rucksack und warf ihn mir über. Auf der Suche nach den Schlüsseln musste ich unter den Couchtisch, den Esstisch und meinen Schreibtisch kriechen. Unter Tischen gehen meine Schlüssel aus irgendeinem Grund gerne verloren - ich glaube, Upps stibitzt sie immerzu aus dem Schlüsselteller, um heimlich an dem Schlüsselanhänger - eine kleine gehäkelte, unförmige Eule, die Luke mir in seiner Langweile zwischen Reha und gar nichts gemacht hatte - zu kauen.

Als ich ihn schließlich zufällig neben Upps' Schlafplatz entdeckte, fiel mein Blick auf das Telefon auf der Anrichte. Da wir alle es kaum benutzten, verstaubte es.

Auf dem Anrufbeantworter blinkten neue Nachrichten, deren vorheriges Klingeln die Jungen in meiner Abwesenheit wohl geflissentlich ignoriert hatten. Ich wusste von wem sie waren, noch ehe ich sie abspielte.

Als sowohl Tonys Stimme als auch die von Steve mir in den Ohren klingelten, löste ich mich endlich aus meiner Erstarrung. »Luke, Jarek!«, brüllte ich. »Ihr seid sowasvon tot! Was fällt euch ein, die Anrufe der Avengers zu ignorieren?«

Und hier wäre nun offiziell das letzte Kapitel: der Epilog! (Dieser Moment, wenn man den Beginn eines Kleinkrieges verpasst, weil man nicht ans Telefon geht.)
Ich hoffe, es hat euch gefallen. Ich persönlich bin wirklich froh, dass ich diese FanFiction nun endlich zu Ende bringen konnte. Hoffentlich erscheint euch dieses Ende gegenüber der Geschichte gerecht. Ich bin eigentlich ganz zufrieden, muss ich sagen.
Im Laufe des Tages wird noch eine Danksagung folgen - und dann stelle ich diese Geschichte offiziell auf „beendet”. :D

Jasmin Strange - Wir lassen Gras darüber wachsenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt