chapitre vingt-quatre

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Ich wusste wirklich nicht mehr, ob mir nach Lachen oder Heulen zumute war. Denn das erste, was mir unter die Augen kam, war eine Doppelseite gänzlich dem Weihnachtswahn Hamingtons gewidmet. Bilder des geschmückten Marktplatzes, eine junge Mary als Helferin beim Flohmarkt des Winterdorfs – es glichen alle Bilder beinahe einer modernen Momentaufnahme, mit der Ausnahme, dass diese hier allerdings einige Jahrzehnte zurücklag.

Voller Faszination glitt mein Blick über jedes Foto, jede händisch hinzugefügte Notiz. Es war der absolute Wahnsinn. Zu Anfang zeigten die Bilder noch vor allem Mrs.Smith alleine, doch je weiter ich durchblätterte, desto häufiger stahl sich Brian mit dazu. Ein Lachen entlockte mir ein wirklich putziges Foto, dass das junge Liebespaar vor der hölzernen mit einer Lichterkette behangenen Tafel am Ortseingang zeigte, das auf die stolze Herkunft des Ortes nach einem gewissen Sir Latpig benannt hinwies.

Die beiden standen eng umschlungen vor der großen Reklame - es war ein überaus inniger Moment, den ich hier nacherleben durfte und meine Augen wurden tatsächlich ein klein wenig feucht, da in Harrys Boulangerie mittlerweile ein ganz ähnliches Bild hing. Nämlich von uns beiden. Das wir vor vielleicht zwei Wochen mit seiner Polaroid-Kamera vor eben genau diesem Täfelchen geschossen hatten. Gut, vielleicht lagen wir uns dabei nicht ganz so innig in den Armen, doch das Foto hatte etwas so Natürliches, aber dennoch Privates, dass Harry es unbedingt an der Kaffeebilderwand anbringen wollte.

Das war aber ja noch längst nicht alles. Denn das Album gab noch einige Fotografien und Anekdoten mehr her. Da war zum Beispiel eine Aufnahme von Mary und ihrem Gatten beim gemeinsamen Kochen. Kein Witz. Darunter gepinnt war ein vergilbter Schmierzettel. Darauf wiederum das Rezept für das weltbeste Spaghetti aglio e olio. Dass es mich dabei fast von der Treppenstufe fegte, musste ich wohl nicht weiter erwähnen.

Wie in Manie sog ich immer mehr Seiten in mich auf, speicherte Infos ab, verglich diese und litt schließlich an regelrechter Schnappatmung. Mein Herz raste. Das spürte ich, als ich meinen Kopf auf meinen Händen abstützte und zwischen meinen Oberschenkeln hindurch das Holz der Treppe musterte.

Etliche handgeschriebene Zitate aus The Notebook" hatte ich gefunden, die versehen waren mit eigenen Gedankengängen von Brian über seine geliebte Mary. Ein Bild war drin gewesen, dass beide mit einer enormen Tüte Popcorn auf der Rückfahrbank eines Volkswagen zeigte – im Hintergrund weitere Autos und eine riesige Leinwand. Das war doch alles schier unmöglich. Ein Zufall? Okay. Aber so viele? Harry und ich, die uns seit unserer Kindheit kannten? Mary, die auch irgendwo sicherlich noch eine Erinnerung an mich haben musste, trotz ihrer Altersdemenz. Das sagte man doch schließlich auch, dass diese Leute im Alter dann in der Regel ein sehr schlechtes Kurzzeitgedächtnis besaßen aber unfassbares Gedankengut an frühere Zeiten behielten.

Doch weiterhin einfach nur die Maserung des Holzes anzustarren würde mich auch nicht weiterbringen. Ich musste dringend zu Harry. Mit ihm reden, reinen Tisch machen und ihm vor allem auch mein eigenes Kindheitsalbum zeigen. Um Gottes Willen, was saß ich hier noch tatenlos rum?

Neuen Mutes und vielleicht ein klein wenig zu energiegeladen sprang ich also auf, um mich auf den Weg in die Stube zu machen, als aus dem Buch in aller Seelenruhe ein Stück loses Papier heraussegelte. Es schien paradox, wie langsam es zu Boden fiel und wie sehr sich mein Körper mit einem Mal dieser Geschwindigkeit anpasste – ich hielt inne, beobachtete seinen Weg und bückte mich schließlich, um es aufzuheben.

Doch für eine Bildaufnahme war das Rechteck zu groß, zudem stellte ich bei näherer Betrachtung fest, dass es zusammengefaltet worden war. Also machte ich mich zuallererst darüber, den Zettel auszubreiten.

Darling, wie schön, dass du bis hierhin gekommen bist."

Als wäre das Ding mit einem Mal glühend heiß, ließ ich das gesamte Trumm sofort fallen. Das Album klatschte dumpf auf den Dielen auf, der Brief wiederum segelte wieder gemächlich hinterher, wurde sogar noch ein wenig aufgewirbelt von dem rasanten Abflug des Buches.

Un rêve de noël (larry stylinson)Where stories live. Discover now