Kapitel 19

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Kenma war bewusst, dass Kuroo nicht mehr viel Zeit blieb.

Er sah es überall in seinem Gesicht, hörte es jeden Tag an dem Herzmonitor, der immer leiser wurde. Er war nur noch ein Schatten der Person, die Kenma vor all diesen Jahren kennengelernt hatte; die Schatten haben sein ganzes Licht vertrieben. Sein dauerndes Lächeln wurde ersetzt durch leidendes Nichts, das Kenma jeden Tag aufs Neue das Herz brach.

Aber Kuroo hatte die drei Wörter noch nicht gesagt; daran erinnerte er sich jeden Morgen selbst. Solange er sie nicht sagt, hatten sie noch Zeit.

Das furchtbare Ziehen an Kenma's Herzfäden warnte ihn, dass sie es nicht wirklich länger herauszögern sollten.

Er versuchte es zu ignorieren.

Er saß im Schneidersitz an Kuroo's Bettende und beobachtete ihn. Beobachtete das schwere Heben und Senken seiner Brust, wobei klar war, dass er mit jedem vergangenen Atemzug mehr Schmerz empfand. Man erkannte nur an seiner hochgezogenen Augenbraue, dass er wach war. Kenma hat in den letzten Wochen gelernt ihn zu lesen.

Kenma kämpfte mit den Tränen, wenn er daran dachte was sein Seelenverwandter durchmachen musste; wie er sich fühlen muss. Kuroo war derjenige mit Schmerzen; und Kenma benahm sich wie ein Kleinkind. Das fühlte sich nicht richtig an. Er wusste nicht mal was er machen soll. Wie machtlos Kenma sich fühlte, wurde zu einem immer größer werdenden Problem. Egal was er sagte oder machte, er konnte Kuroo nicht helfen. Er war nutzlos.

Doch wollte Kenma noch nicht sagen, dass es hoffnungslos ist.

„Kuro" sagte Kenma. Er hatte, außer seinem Bauchgefühl, keinen Grund dies zu tun.

Kuroo murrte, Augenlider weiterhin geschlossen.

Das war das erste Zeichen dafür, dass es viel schlimmer war, als er gedacht hatte; schlimmer, als er zugeben wollte.

„Kuro?" rief er nochmal.

Nichts.

Kenma versuchte sich auf das schwache Piepsen des Herzmonitors zu konzentrieren. Eine sichere Erinnerung, dass Kuroo nicht fort war, dass er immer noch in Reichweite war. Dass er noch da war. Dass Kenma noch nicht alleine war.

Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit bis Kuroo sprach, seine Stimme zittrig und schwach. „Kenma."

Kenma krabbelte vom Bett, kniete sich neben Kuroo und nahm seine blasse Hand, um ihm zu zeigen, dass er da war. „Ich bin hier, baby. Was ist los?"

„Kenma, es tut weh."

Und oh, Kenma's Herz zerbrach.

Kein eines Mal hat Kuroo sich über irgendwas beschwert. Er hat sich nicht beschwert, als er diagnostiziert wurde, nicht als die Symptome seine Persönlichkeit eingenommen haben, nicht einmal darüber, wie das alles enden wird. All das was das Universum ihm in den Weg gelegt hat, er hat es immer mit Verständnis angenommen, etwas, wozu Kenma niemals in der Lage gewesen wäre.

Er wurde nicht getäuscht. Ihm war sehr wohl bewusst, dass Kuroo mehr Zeit damit verbrachte Kenma zu beschützen, als sich um seine eigenen Probleme zu kümmern. Egal wie oft Kenma ihm gesagt hatte, es wäre okay, er ist nie eingeklappt; so sturr, wie er schon immer war.

Kenma konnte sich nicht vorstellen in was für einem Schmerz er sein musste, dass er es endlich zugab.

„Soll ich eine Schwester holen?" fragte Kenma. Seine Stimme brach und seine Unterlippe zitterte.

Kuroo ignorierte seine Frage; nicht mal ein 'nein', da ihm die nötige Kraft dazu fehlte, zumindest dachte Kenma das.

„Kann ich es dir jetzt sagen?" Er fragte so ruhig, so zart, als hätte er Angst, dass er Kenma's Herz bricht; seine Welt zerstört.

Und das würde es auch.

Kenma biss sich auch die Lippe und schüttelte den Kopf. „Nein, Nein Kuroo, bitte nicht." Er kämpfte nicht gegen seine Tränen an und sie strömten über seine Wangen.

Ein weiches Winseln verließ Kuroo's Hals. „Ich kann das nicht mehr." Jede Silbe war ein Stottern, jede war ein Stich in Kenma's Herz.

War es egoistisch ihn zu fragen, ob er weiter kämpfen kann?

„Kuro..." Kenma wusste nicht, was er sonst sagen sollte, stattdessen drückte er erneut Kuroo's Hand. Er versuchte die Tränen weg zu blinzeln, seine Sicht auf Kuroo sollte nicht verschwommen sein, nicht in einem Moment wie diesem. Er blieb auf seinen Knien und betete leise, dass es gut ausgehen wird.

„Tut mir leid, Kitten"

„Kuro, wenn- wenn du es nicht sagst, haben wir immer noch eine Chance, oder?" Kenma's Worte waren sinnloses Gebrabbel. Er hielt an Kuroo's Hand fest, als würde sein Leben daran abhängig sein. „Es kann nicht das Ende sein."

Kenma hat Monate damit verbracht sich selbst auf diesen Moment vorzubereiten. Er hatte zahllose Selbstgespräche, in denen er jede Möglichkeit durchging, wie er damit umgehen kann, was er sagen wird. Aber nichts hätte ihn tatsächlich auf seinen schlimmsten Alptraum vorbereiten können.

„Bitte?"

Kenma wäre verflucht, wenn er das ablehnen würde. Er atmete tief ein und schaute auf den Boden.

War er bereit das Einzige, was er nicht ersetzen kann, zu verlieren?

War er bereit sein Universum zu verlieren?

Auf keinen Fall war er das.

Aber Kuroo's Bitte abzulehnen, wäre grausam. Wie könnte er der Person, die er so sehr liebt, so viel Schmerz aufdrängen?

Er schaute durch seine Tränen hoch zu Kuroo.

„Okay."

Kuroo's Schultern fielen in Erleichterung; als könnte er endlich das Gewicht der Welt ablegen. Oder zumindest, das Gewicht von Kenma's Welt.

„Ich liebe dich."

Kenma konnte sich danach nicht mehr zurück halten. So viele Jahre hatte er gehofft, er würde diese Worte niemals hören, dass ihm nicht mal bewusst war, wie sehr er sie gebraucht hatte. Ein lautes Schluchzen kam tief aus seinem Hals, gefolgt von dem Nächsten, und dem Nächsten. Seine komplette Brust schmerzte, als wäre sein Herz gerade in zwei Stücke gerissen worden.

Wegen seinen Tränen, übersah er, dass sein Seelenverwandten Zeichen gold aufleuchtete und ihm zeigte, dass nun wirklich Zeit war Abschied zu nehmen.

An alles was er denken konnte, war der Fakt, dass sein Kuroo, sein Stern in der Dunkelheit, verblasste.

„Tetsurou, bitte" brachte Kenma zwischen gebrochenen Schluchzern heraus. „Ich kann das nicht ohne dich."

Er drückte leicht Kenma's Hand. Kenma schaute hoch zu Kuroo, um zu sehen, wie das Licht in seinen Augen erlosch und einzelne Tränen aus diesen herausflossen; das Leben verließ Kuroo's Körper mit jedem vergehenden Atemzug.

„Bitte verlass mich nicht."

Die Worte verließen Kenma's Lippen ohne, dass er ihre Wichtigkeit realisierte.

Aber als er es tat, zerbrach sein Universum in unendlich viele Teile.

Sein Schluchzen wurde zu einem schreienden Weinen, jedes Geräusch belastete seinen Körper so gewaltig, dass es ihn zerbrechen hätte können; Er wünschte, dass es das auch getan hätte. „Sag etwas, Tetsurou, bitte?"

Kuroo hatte diese letzte Bitte nicht mehr gehört.

Er wusste nicht, wie lang er da noch so blieb, weinend auf seinen Knien und Kuroo's kalte Hand in seine Brust drückend. Er wusste nicht, wann die Ärzte reinkamen, entweder hatte Kuroo's Herzmonitor sie alarmiert, oder die Lautstärke von Kenma's Weinen. Er war viel zu verloren, um irgendwas davon zu verstehen.

Er verlor jede Koordination, die er jemals besaß, schenkte der Schwester, die ihn zart aus dem Zimmer führte und sich entschuldigte, keine Aufmerksamkeit. Sobald er in dem sterilen, weißen Krankenhausflur war, fiel er zurück auf seine Knie und rief nach der einzigen Person, die nicht mehr da war, um ihn zu beruhigen. Ihm war egal, wer ihn sehen konnte; wer ihn hören konnte, seine einzigen Gedanken waren Kuroo. Kuroo. Kuroo.

Kenma blieb auf dem Boden. Auf Händen und Knien und bettelte jeden Gott, der ihn hörte, Kuroo zurückzubringen.

Keiner von ihnen hatte ihn gehört.

the galaxy is endless (I thought we were, too) (german)Where stories live. Discover now