12. Ein kurzer Zusammentreffen

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,,Was machst du so lange hier?"

Ich drehe mich sofort um, als ich diese vertraute tiefe Stimme höre. Es ist mein Chef. Ich habe ihn seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Er steht vor dem Hinterausgang und blickt mich mit diesen leeren Augen an. Warum ist er hier? Sollte er nicht in seinem Büro sein und sich um andere Dinge kümmern? Er wartet.

,,Ich-ich habe die Müllsäcke in den Mülleimer geworfen", antworte ich stotternd. Er nickt und macht dann einen Schritt auf mich zu. Die Hintertür knallt zu. Wir sind beide allein hier.

,,Wenn du daran denkst, von hier zu fliehen, versuche, das aus deinem Kopf zu streichen. Du kannst hier weggehen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass du außerhalb dieser Mauern überleben wirst. Du arbeitest für mich."

Ich erschaudere. Warum erzählt er mir das? Ich wollte nicht fliehen. Ich weiß selbst, dass das dämlich ist. Ich kenne diesen Ort nicht und ich würde mir den Tod holen, wenn ich fliehen würde. Ich habe nicht mal einen anständigen Plan. Hält er mich für so dumm?

,,Ich wollte nicht fliehen. Es tut mir leid, ich wollte nur ein bisschen hier draußen sein und beobachten", antworte ich ehrlich und zeige in Richtung des Tores, von dem aus man die Einkaufsstraße überblicken kann. Das Tor schützt mich, es schirmt mich vor Gefahren ab. Zahlreiche Ungeheuer laufen durch die Straßen. Ich bin gezwungen, hier zu sein, aber ich bin auch ein neugieriger Mensch. So viele verschiedene Monster erkenne ich. Manche Monster sehen aus wie Menschen, andere wie Kreaturen aus Horrorgeschichten, die man aus Filmen kennt. Es ist erstaunlich, aber gleichzeitig auch beängstigend. Dieser Ort ist ganz anders als das, was ich in all den Jahren kennen gelernt habe.

,,Wir sind anders als Menschen", antwortet er und geht wieder einen Schritt auf mich zu. Ich weiche ihm aus und versuche, Abstand zu halten, aber er kommt immer näher. Plötzlich knalle ich gegen die kalte Wand. Er kommt immer näher, bis er nur noch ein paar Zentimeter Abstand zu mir hat. Ich spüre ihn ganz nah bei mir und schaue ihn an. Seine Augen sehen anders aus. Ist er amüsiert?

Plötzlich geht er auf die Knie und dann spüre ich seine eiskalte Hand auf meinem Knöchel. Ich erstarre und sehe ihn an. Warum tut er das? Ich verstehe das nicht...

,,Weißt du, Menschen sind sehr unterschiedlich. Sie sind sehr zerbrechlich", sagt er und streicht ganz langsam mein Knie nach unten. Er hält wieder inne und öffnet wieder seinen Mund.

,,Menschen können leicht sterben, wenn sie nicht aufpassen. Ich muss aber zugeben, dass Menschen trotz allem unterhaltsam sind", fährt er fort und schiebt meine Socke, die ich bis zum Knöchel hochgezogen habe, weiter nach oben. Er blickt auf. Seine Augen blitzen mich an. Leicht streifen seine Finger über meine Haut. Ich schlucke. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus.

 ,,Aber ein Tipp von mir: Achte auf deine Umgebung", flüstert er, während sein Blick mich nicht verlässt. Plötzlich spüre ich einen scharfen Schmerz in meinem Bein. Er bricht den Kontakt ab, steht auf und hält ein kleines Tier in der Hand, dabei tropft Blut herunter. Dann wirft er das Tier auf den Boden und zerquetscht es mit einem starken Tritt. Ich zucke zusammen, als ich ihn so sehe. Ich bin wie erstarrt. Er wendet mir den Rücken zu, geht zur Tür, öffnet sie und dreht sich dann leicht zu mir um.

,,Diese kleinen Dinger beißen gerne ins Fleisch und sind nicht so leicht zu entfernen, wenn sie sehr tief in der Haut sitzen. Sie machen dich schwach und krank. Und das wollen wir doch nicht."

Kein Lächeln. Kein weiteres Wort. Er dreht sich wieder um und lässt mich ganz allein. Ich atme laut aus. Was sollte das alles? Was meint er damit? Ist das eine dieser geheimen Regeln oder ein Scherz? Meine Beine werden weich. Ich zittere leicht. Ich setze mich hin und halte mich an der Wand fest.

Eine ganze Weile sitze ich regungslos auf dem harten Boden, bis sich nach ein paar Minuten mein Herz wieder beruhigt hat und ich es endlich schaffe, meine Gedanken zu ordnen. Plötzlich spüre ich einen leichten Schmerz in meinem Bein. Ich reiße die Augen auf, als ich feststelle, dass mein Chef etwas mit meinem Bein gemacht hat. Ich untersuche meine Haut und begreife dann, was passiert ist.

Ich habe eine kleine Einstichstelle auf meiner Haut. Das Blut fließt nicht mehr über meine Haut, aber ich kann trockenes Blut sehen. Plötzlich verstehe ich seine Worte. Dieses Vieh hat an mir genagt, um sich von mir zu ernähren, und ich habe es nicht bemerkt. Ich schließe für einen Moment die Augen. Wie konnte ich das nicht bemerken? Wie konnte ich so in meine Gedanken versunken sein, dass ich nicht bemerkte, dass an mir geknabbert wurde? Plötzlich muss ich lachen, als mir die Erkenntnis kommt. Er hat mir wieder geholfen.

Regeln Nummer Acht: Pass auf deine Umgebung auf

Nach ein paar weiteren Minuten stehe ich schließlich auf und laufe zur Tür. Ich muss weg von hier. Ich bin hier nicht mehr sicher.

Ich laufe zur Tür und öffne sie. Als ich hinausgehe und die Wärme des Restaurants spüre, kommt mir ein weiterer Gedanke.

Warum ist er bei mir gewesen? Warum hat er meine Nähe gesucht?


Monster -Die schöne IllusionDonde viven las historias. Descúbrelo ahora