14. Verstohlene Blicke

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Vier Tage sind bereits vergangen, als die Monster versucht haben, mich anzugreifen. Ich weiß nicht genau, wie ich es geschafft habe, am nächsten Tag mein Zimmer zu verlassen und jeden Tag zur Arbeit zu erscheinen. Ich habe es einfach getan, obwohl ich jedes Mal Angst vor dem Tod hatte.

Der Vorfall vom letzten Mal ist so gut wie vergessen. Die Kunden verhalten sich so, wie sie es immer tun. Sie konzentrieren sich auf sich selbst und haben mich so weit wie möglich ignoriert. Keiner hat über den Vorfall gesprochen. Mir kommt es fast so vor, als sei es nie passiert, aber ich weiß, dass es geschehen ist.

Stefan hat sich bei mir entschuldigt, weil er weggelaufen ist, anstatt mich zu unterstützen. Aber ich kann es ihm nicht verübeln. Wie soll er mir denn helfen, wenn er nicht mal sich selbst retten kann. Und trotzdem spüre ich etwas in mir, das ich nicht ganz beschreiben kann. Ich verstehe Stefan, aber gleichzeitig fühle ich mich in seiner Nähe nicht mehr wohl.

Aber das ist nicht das einzige, was mich verwirrt. Seit ein paar Tagen isst mein Chef während meiner Arbeitszeit vor den Augen aller Kunden. Ich verstehe nicht genau, warum. Früher hat er immer in seinem Büro gegessen und dort seine Arbeit erledigt, aber seit ein paar Tagen isst er hier vor allen Leuten. Es ist seltsam ihn zu sehen. Er sitzt immer in meiner Nähe und beobachtet alle, während er isst. Manchmal bringe ich ihm etwas zu essen. Manchmal tut es aber auch Leonie, die seit zwei Tagen neu hier ist. Ihre Vorgängerin hat Selbstmord begangen und sie ist der Ersatz.

Leonie ist, im Gegensatz zu Stefan, ein sehr offener und fröhlicher Mensch. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, frage ich mich, wie sie so sympathisch und hübsch sein kann. Sie ist lustig und weiß, wie man mit anderen umgeht. Sie ist nett und scheint alles im Handumdrehen zu erledigen. Manchmal plaudert sie mit den Kunden und bisher habe ich noch nie erlebt, dass jemand versucht hat, sie anzugreifen. Sogar der Chefkoch mag sie. Und das überrascht mich ein bisschen, denn er hasst mich und Stefan total.

Heute sitzt mein Chef wieder an seinem üblichen Tisch. Er sieht mich nicht an, sondern lässt seinen Blick über seine Kunden schweifen. Er scheint zu grübeln. Aber ich kann ihn nicht lange anstarren, denn ich muss schon die nächsten Bestellungen zu den Kunden bringen.

Ganz vorsichtig gehe ich zu dem Kunden mit der Bestellung, stelle das Essen auf den Tisch und frage, ob der Kunde noch etwas möchte. Zum Glück lehnt der Kunde ab und greift direkt zu Messer und Gabel, um das Fleish in kleine Stücke zu schneiden. Ich gehe wieder zurück.

Zur gleichen Zeit sehe ich, wie Leonie die Bestellung für unseren Chef bringt. Sie lächelt ihn mit einem breiten Grinsen an und stellt ihm das Essen auf den Tisch. Sie begrüßt ihn und erklärt ihm, was sich alles auf dem Teller befindet. Seit ich hier bin, habe ich immer noch das Problem, einige der Bestellungen richtig auszusprechen. Die Sprache dieser Wesen ist völlig anders als die Sprache, die ich spreche. Die Aussprache ist mein größtes Problem. Einige der Begriffe kann ich tatsächlich aussprechen und ich kenne die Bedeutung, aber ich stoße auch immer wieder auf einige Begriffe, die zu schwierig für mich sind. Sie ist erst seit ein paar Tagen hier und kann schon alles gut aussprechen. Ich bin neidisch.

Leonie redet auf ihn ein und ich verstehe jetzt, was Stefan gestern gemeint hat. Leonie ist eine sehr selbstbewusste Person. Sie scheint sich sicher zu sein in dem, was sie tut, und sie zeigt keine Schwäche. Es scheint, dass sie keine Angst hat und immer ihr Bestes gibt. Und der Chef scheint das zu honorieren. Er bedankt sich. Er hat sich nie bedankt, wenn ich ihm seine Bestellung gebracht habe. Ich beiße mir auf die Lippe und wende meinen Blick ab, als ich sehe, wie er seinen Blick von ihr abwendet und in meine Richtung starrt. Ich fühle mich ertappt und schaue weg.

Ich erledige meine Arbeit. Ich spüle ab, bringe den Müll raus und räume die Tische ab. All diese Aufgaben lenken mich ab und ich muss sagen, dass ich es wirklich genieße, etwas zu tun und nicht nutzlos zu sein. Zu Hause bei meinen Eltern bin ich die ganze Zeit zu Hause gewesen. Ich habe mich in meinem Zimmer verkrochen, mit Musik und Videos, um mich anderweitig zu beschäftigen. Ich habe nie etwas zu tun gehabt. Ich habe keine Freunde gehabt, mit denen ich etwas unternehmen konnte. Meine Eltern haben sich nie um mich gekümmert, obwohl ich oft ihre Nähe gesucht habe. Hier ist das anders. Ich werde gebraucht.

Irgendwie habe ich auch keine Angst mehr. Seit mein Chef vorne mit den Kunden isst, scheinen die Kunden sehr diskret und freundlich zu sein. Es gibt keine Streitereien. Keiner ist unhöflich. Alle sind nur hier, um zu essen und zu reden. Ich habe eher das Gefühl, dass es an meinem Chef liegt. Ich habe das Gefühl, dass er mich beschützt, und das nur, weil er hier ist.

Mein Blick wandert zurück zu ihm. Er isst nicht mehr. Er beobachtet seine Umgebung. Er sieht heute ziemlich gut aus. Er trägt ein schwarzes Hemd und eine dunkle Hose. Sein Haar ist zerzaust.

Plötzlich schaut er wieder in meine Richtung. Ich fühle mich wieder ertappt und schaue weg. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich schnappe mir das schmutzige Messer und laufe zum Waschbecken. Ich reinige das Messer und versuche, nicht wieder in seine Richtung zu schauen. Ich schlucke. Es ist so schwer.

Aus irgendeinem Grund spüre ich immer noch seinen Blick auf mir. Es fühlt sich an, als würde er leicht meine Haut berühren. Wie kann es sein, dass ich so etwas spüre? Ich bekomme eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper.

Denkt er, dass ich keine gute Arbeit leisten kann? Ich halte mich an alle Regeln. Ich bin jedes Mal hierher gekommen, egal was passiert ist. Ich habe noch nie einen Arbeitstag versäumt. Ich bemühe mich so sehr, alles richtig zu machen. Weiß er das? Sieht er meine Bemühungen? Ich lege das Messer zurück in den Schrank. Dann hebe ich den Blick, um nach ihm zu suchen. Aber sein Platz ist leer. Ich bin enttäuscht.

,,Heute hat unser Chef wirklich viel bestellt. Er muss sehr hungrig gewesen sein", sagt Leonie, als sie plötzlich neben mir auftaucht. Das Lächeln in ihrem Gesicht verwirrt mich.


Monster -Die schöne IllusionWhere stories live. Discover now